nicht weniger als täglich vier und zwantzig Stun- den dazu angewandt werden: d. i. eine jede Stun- de, die mir der Mensch lassen wird, der mich alle Augenblicke störet, und dem ich wegen all- zuvieler Stunden Rechenschaft geben muß, nachdem ich durch meine Thorheit in seine Hän- de gerathen bin. Jch habe gar keine Ruhe, und keinen Beruf mehr zum Schlaf. Der Schlaf hört auf ein Balsam für mein verwundetes Hertz zu seyn. Alle Stunden sind also Jhnen gewidmet, bis ich meine Erzählung geendiget habe.
Allein, werden Sie meine Brieffe annehmen wollen oder dürffen, nachdem ich mich so ver- gangen habe?
Jch mus es so gut machen, als ich kan: und ich hoffe, daß noch nicht alles verdorben ist. Davon aber bin ich überzeuget, daß ich mich darin sehr übereilt, und ohne Entschuldigung bin, daß ich ihn gesprochen habe. Alle seine Zärtlichkeit, alle seine Eydschwüre können den Vorwurf nicht heben, den ich mir selbst dar- über mache.
Der Ueberbringer dieses Brieffes soll meine Wäsche von Jhnen abhohlen, die ich Jhnen sand- te, als ich mir noch mit einer angenehmen Hoff- nung schmeichelte. Schicken Sie die Brief- schaften nicht mit, sondern die Wäsche allein: es wäre denn, daß Sie mich mit einer Zeile erfreu- en und mich Jhrer fortdaurenden Liebe versichern wollten: wie auch dessen, daß Sie nicht eher Jhr
Urtheil
der Clariſſa.
nicht weniger als taͤglich vier und zwantzig Stun- den dazu angewandt werden: d. i. eine jede Stun- de, die mir der Menſch laſſen wird, der mich alle Augenblicke ſtoͤret, und dem ich wegen all- zuvieler Stunden Rechenſchaft geben muß, nachdem ich durch meine Thorheit in ſeine Haͤn- de gerathen bin. Jch habe gar keine Ruhe, und keinen Beruf mehr zum Schlaf. Der Schlaf hoͤrt auf ein Balſam fuͤr mein verwundetes Hertz zu ſeyn. Alle Stunden ſind alſo Jhnen gewidmet, bis ich meine Erzaͤhlung geendiget habe.
Allein, werden Sie meine Brieffe annehmen wollen oder duͤrffen, nachdem ich mich ſo ver- gangen habe?
Jch mus es ſo gut machen, als ich kan: und ich hoffe, daß noch nicht alles verdorben iſt. Davon aber bin ich uͤberzeuget, daß ich mich darin ſehr uͤbereilt, und ohne Entſchuldigung bin, daß ich ihn geſprochen habe. Alle ſeine Zaͤrtlichkeit, alle ſeine Eydſchwuͤre koͤnnen den Vorwurf nicht heben, den ich mir ſelbſt dar- uͤber mache.
Der Ueberbringer dieſes Brieffes ſoll meine Waͤſche von Jhnen abhohlen, die ich Jhnen ſand- te, als ich mir noch mit einer angenehmen Hoff- nung ſchmeichelte. Schicken Sie die Brief- ſchaften nicht mit, ſondern die Waͤſche allein: es waͤre denn, daß Sie mich mit einer Zeile erfreu- en und mich Jhrer fortdaurenden Liebe verſichern wollten: wie auch deſſen, daß Sie nicht eher Jhr
Urtheil
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der Clariſſa.
nicht weniger als taͤglich vier und zwantzig Stun-
den dazu angewandt werden: d. i. eine jede Stun-
de, die mir der Menſch laſſen wird, der mich
alle Augenblicke ſtoͤret, und dem ich wegen all-
zuvieler Stunden Rechenſchaft geben muß,
nachdem ich durch meine Thorheit in ſeine Haͤn-
de gerathen bin. Jch habe gar keine Ruhe, und
keinen Beruf mehr zum Schlaf. Der Schlaf
hoͤrt auf ein Balſam fuͤr mein verwundetes
Hertz zu ſeyn. Alle Stunden ſind alſo Jhnen
gewidmet, bis ich meine Erzaͤhlung geendiget
habe.
Allein, werden Sie meine Brieffe annehmen
wollen oder duͤrffen, nachdem ich mich ſo ver-
gangen habe?
Jch mus es ſo gut machen, als ich kan: und
ich hoffe, daß noch nicht alles verdorben iſt.
Davon aber bin ich uͤberzeuget, daß ich mich
darin ſehr uͤbereilt, und ohne Entſchuldigung
bin, daß ich ihn geſprochen habe. Alle ſeine
Zaͤrtlichkeit, alle ſeine Eydſchwuͤre koͤnnen den
Vorwurf nicht heben, den ich mir ſelbſt dar-
uͤber mache.
Der Ueberbringer dieſes Brieffes ſoll meine
Waͤſche von Jhnen abhohlen, die ich Jhnen ſand-
te, als ich mir noch mit einer angenehmen Hoff-
nung ſchmeichelte. Schicken Sie die Brief-
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waͤre denn, daß Sie mich mit einer Zeile erfreu-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 523. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/529>, abgerufen am 24.11.2024.
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