nicht einmahl zugestanden wird. Mehr als diese Freyheit verlange ich nicht.
Jch könnte mich soweit wohl überwinden, daß ich Herrn Solmes Reden vierzehen Tage lang anhörte: ob ich gleich zum voraus bekennen muß, daß ich meine Abneigung ohnmöglich werde über- winden können, er mag sagen was er will. Allein der Graben um das Haus, die Capelle, die in dem Hause ist, und das wenige Mitleyden, das mein Bruder und meine Schwester, als die mir dort zugedachte Gesellschafft, bisher gegen mich bewie- sen haben, setzen mich in die aller grösseste Besorg- niß. Wie kan mein Bruder sagen, daß man mich auf Herrn Solmes Bitte weniger einschrän- cken will: da ich in der That in ein noch engeres Gefängniß eingesperret werden soll, deßen Zug- Brücke man sogar aufzuziehen drohet, und das mich von einem lieben Vatter und Mutter abson- dert, damit ich nicht zu ihrer Gütigkeit meine Zu- flucht nehmen könne, wenn die Sachen auf das äusserste kommen sollten.
Uebertragen Sie doch nicht Jhr Recht über ihr eigenes Kind an einen Bruder oder Schwester! An einen Bruder und Schwester, die ungütig und hart mit mir umgehen, und von denen ich be- fürchte, daß sie mein Betragen Jhnen auf der unrechten Seite vorstellen. Denn geschähe die- ses nicht, so wäre es nicht möglich, daß ein Kind, das bisher so ausserordentliche Liebe von Jhnen genossen hat, auf einmahl Jhre Liebe und gute Neigung so sehr verlieren sollte, als ich sie bisher leyder verlohren habe.
Ma-
Die Geſchichte
nicht einmahl zugeſtanden wird. Mehr als dieſe Freyheit verlange ich nicht.
Jch koͤnnte mich ſoweit wohl uͤberwinden, daß ich Herrn Solmes Reden vierzehen Tage lang anhoͤrte: ob ich gleich zum voraus bekennen muß, daß ich meine Abneigung ohnmoͤglich werde uͤber- winden koͤnnen, er mag ſagen was er will. Allein der Graben um das Haus, die Capelle, die in dem Hauſe iſt, und das wenige Mitleyden, das mein Bruder und meine Schweſter, als die mir dort zugedachte Geſellſchafft, bisher gegen mich bewie- ſen haben, ſetzen mich in die aller groͤſſeſte Beſorg- niß. Wie kan mein Bruder ſagen, daß man mich auf Herrn Solmes Bitte weniger einſchraͤn- cken will: da ich in der That in ein noch engeres Gefaͤngniß eingeſperret werden ſoll, deßen Zug- Bruͤcke man ſogar aufzuziehen drohet, und das mich von einem lieben Vatter und Mutter abſon- dert, damit ich nicht zu ihrer Guͤtigkeit meine Zu- flucht nehmen koͤnne, wenn die Sachen auf das aͤuſſerſte kommen ſollten.
Uebertragen Sie doch nicht Jhr Recht uͤber ihr eigenes Kind an einen Bruder oder Schweſter! An einen Bruder und Schweſter, die unguͤtig und hart mit mir umgehen, und von denen ich be- fuͤrchte, daß ſie mein Betragen Jhnen auf der unrechten Seite vorſtellen. Denn geſchaͤhe die- ſes nicht, ſo waͤre es nicht moͤglich, daß ein Kind, das bisher ſo auſſerordentliche Liebe von Jhnen genoſſen hat, auf einmahl Jhre Liebe und gute Neigung ſo ſehr verlieren ſollte, als ich ſie bisher leyder verlohren habe.
Ma-
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[48/0054]
Die Geſchichte
nicht einmahl zugeſtanden wird. Mehr als dieſe
Freyheit verlange ich nicht.
Jch koͤnnte mich ſoweit wohl uͤberwinden, daß
ich Herrn Solmes Reden vierzehen Tage lang
anhoͤrte: ob ich gleich zum voraus bekennen muß,
daß ich meine Abneigung ohnmoͤglich werde uͤber-
winden koͤnnen, er mag ſagen was er will. Allein
der Graben um das Haus, die Capelle, die in dem
Hauſe iſt, und das wenige Mitleyden, das mein
Bruder und meine Schweſter, als die mir dort
zugedachte Geſellſchafft, bisher gegen mich bewie-
ſen haben, ſetzen mich in die aller groͤſſeſte Beſorg-
niß. Wie kan mein Bruder ſagen, daß man
mich auf Herrn Solmes Bitte weniger einſchraͤn-
cken will: da ich in der That in ein noch engeres
Gefaͤngniß eingeſperret werden ſoll, deßen Zug-
Bruͤcke man ſogar aufzuziehen drohet, und das
mich von einem lieben Vatter und Mutter abſon-
dert, damit ich nicht zu ihrer Guͤtigkeit meine Zu-
flucht nehmen koͤnne, wenn die Sachen auf das
aͤuſſerſte kommen ſollten.
Uebertragen Sie doch nicht Jhr Recht uͤber ihr
eigenes Kind an einen Bruder oder Schweſter!
An einen Bruder und Schweſter, die unguͤtig
und hart mit mir umgehen, und von denen ich be-
fuͤrchte, daß ſie mein Betragen Jhnen auf der
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ſes nicht, ſo waͤre es nicht moͤglich, daß ein Kind,
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genoſſen hat, auf einmahl Jhre Liebe und gute
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/54>, abgerufen am 21.11.2024.
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