Jch schreibe noch einmahl an Euch, meine un- bewegliche Schwester, um Euch zu benachrich- tigen, daß die wohl ausgesonnene List, deren Jhr Cuch bedient habet, Euer hertzbrechendes Win- seln durch mich an Eure Eltern zu bringen, die gehofte Würckung nicht gehabt hat.
Jch versichere Euch, daß ich Euer Betragen nicht auf der unrechten Seite vorgestellet habe: und ich habe auch nicht nöthig gehabt, dieses zu thun. Jhr wisset, daß selbst Eure Mutter, so geneigt sie auch ist, Euch bey aller Gelegenheit zu entschuldigen, so vollkommen von Eurem Un- gehorsam überzeuget ist, daß sie gantz von Euch abläßt. Es ist daher nicht nöthig, daß Jhr vor ihren Augen Eur Nähen und Sticken verrichtet. Eur Winseln ist ihr unerträglich, und um ihrent willen ist es geschehen, daß Euch verboten ward, ihr nicht vor die Augen zu kommen. Sie will sich von Euch nicht vorschreiben lassen, was sie Euch erlauben oder nicht erlauben soll.
Gestern hättet Jhr beynahe Eure Base Frau Hervey so einfältig gemacht, daß sie Euch ge- trauet hätte. Sie sprach für Euch, als sie von Eurer Stube kam: als wir sie aber fragten, ob sie denn eine bessere Antwort von Euch brächte? und worin Jhr gewichen wäret? so sahe sie sich um, und wuste nichts zu sagen. Eure Mutter ward auch bey dem Anfang des Briefes, den Jhr unter meiner Aufschrift an sie und an meinen Vater geschrieben habt, übereilt: denn
ich
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der Clariſſa.
An Fraͤulein Clariſſa Harlowe.
Jch ſchreibe noch einmahl an Euch, meine un- bewegliche Schweſter, um Euch zu benachrich- tigen, daß die wohl ausgeſonnene Liſt, deren Jhr Cuch bedient habet, Euer hertzbrechendes Win- ſeln durch mich an Eure Eltern zu bringen, die gehofte Wuͤrckung nicht gehabt hat.
Jch verſichere Euch, daß ich Euer Betragen nicht auf der unrechten Seite vorgeſtellet habe: und ich habe auch nicht noͤthig gehabt, dieſes zu thun. Jhr wiſſet, daß ſelbſt Eure Mutter, ſo geneigt ſie auch iſt, Euch bey aller Gelegenheit zu entſchuldigen, ſo vollkommen von Eurem Un- gehorſam uͤberzeuget iſt, daß ſie gantz von Euch ablaͤßt. Es iſt daher nicht noͤthig, daß Jhr vor ihren Augen Eur Naͤhen und Sticken verrichtet. Eur Winſeln iſt ihr unertraͤglich, und um ihrent willen iſt es geſchehen, daß Euch verboten ward, ihr nicht vor die Augen zu kommen. Sie will ſich von Euch nicht vorſchreiben laſſen, was ſie Euch erlauben oder nicht erlauben ſoll.
Geſtern haͤttet Jhr beynahe Eure Baſe Frau Hervey ſo einfaͤltig gemacht, daß ſie Euch ge- trauet haͤtte. Sie ſprach fuͤr Euch, als ſie von Eurer Stube kam: als wir ſie aber fragten, ob ſie denn eine beſſere Antwort von Euch braͤchte? und worin Jhr gewichen waͤret? ſo ſahe ſie ſich um, und wuſte nichts zu ſagen. Eure Mutter ward auch bey dem Anfang des Briefes, den Jhr unter meiner Aufſchrift an ſie und an meinen Vater geſchrieben habt, uͤbereilt: denn
ich
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der Clariſſa.
An Fraͤulein Clariſſa Harlowe.
Jch ſchreibe noch einmahl an Euch, meine un-
bewegliche Schweſter, um Euch zu benachrich-
tigen, daß die wohl ausgeſonnene Liſt, deren Jhr
Cuch bedient habet, Euer hertzbrechendes Win-
ſeln durch mich an Eure Eltern zu bringen, die
gehofte Wuͤrckung nicht gehabt hat.
Jch verſichere Euch, daß ich Euer Betragen
nicht auf der unrechten Seite vorgeſtellet habe:
und ich habe auch nicht noͤthig gehabt, dieſes zu
thun. Jhr wiſſet, daß ſelbſt Eure Mutter, ſo
geneigt ſie auch iſt, Euch bey aller Gelegenheit
zu entſchuldigen, ſo vollkommen von Eurem Un-
gehorſam uͤberzeuget iſt, daß ſie gantz von Euch
ablaͤßt. Es iſt daher nicht noͤthig, daß Jhr vor
ihren Augen Eur Naͤhen und Sticken verrichtet.
Eur Winſeln iſt ihr unertraͤglich, und um ihrent
willen iſt es geſchehen, daß Euch verboten ward,
ihr nicht vor die Augen zu kommen. Sie will
ſich von Euch nicht vorſchreiben laſſen, was ſie
Euch erlauben oder nicht erlauben ſoll.
Geſtern haͤttet Jhr beynahe Eure Baſe Frau
Hervey ſo einfaͤltig gemacht, daß ſie Euch ge-
trauet haͤtte. Sie ſprach fuͤr Euch, als ſie von
Eurer Stube kam: als wir ſie aber fragten, ob
ſie denn eine beſſere Antwort von Euch braͤchte?
und worin Jhr gewichen waͤret? ſo ſahe ſie
ſich um, und wuſte nichts zu ſagen. Eure
Mutter ward auch bey dem Anfang des Briefes,
den Jhr unter meiner Aufſchrift an ſie und an
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ich
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/57>, abgerufen am 21.11.2024.
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