seyd, denckt mehr an die Pflichten der Kinder als an die Pflichten des Ehestandes.
Wie könnt Jhr sagen, daß Jhr alles Elend selbst tragen müsset, da Jhr Euren Eltern, Eu- ren Onckles, mir, und Eurer Schwester einen so grossen Theil davon zutragen gebt? uns, die wir Euch achtzehn Jahr lang so zärtlich geliebet haben?
Wenn ich seit kurtzem meine Aufführung ge- gen Euch geändert habe, und Jhr weder Liebe noch Mitleiden von mir habt hoffen können, so ist es aus der Ursache geschehen, weil Jhr keins von beyden verdient habt. Jch weiß wol, wor- auf Jhr zielet, niederträchtige Tadlerin, wenn Jhr schreibt: Es stehe in den Händen eines der nur Eur Bruder ist (das scheinet Euch schon eine weitläuftige Verwandschaft zu seyn) Euch die Gemüths-Ruhe und Glückselig- keit zu verschaffen, die Jhr Euch selbst, so bald es Euch beliebet, verschaffen könnt.
Die Freyheit, Nein zu sagen, kann Euch nicht zugestanden werden, artige Fräulein: Denn wir mercken alle, daß die Freyheit gegen aller Willen Ja zu sagen bald darauf folgen wird. Der liederliche Kerl, in den Jhr Euch verliebt habt, sagt das gegen jedermann deutlich, was Jhr nicht sagen wollt. Er sagt, Jhr wäret sein und Jhr soltet sein bleiben, und es sollte dem das Le- ben kosten, der sich unterstehen würde, ihm sein Eigenthum zu rauben. Wir haben Lust zu probiren, ob er sein Wort wahr machen wird.
Mein
D 3
der Clariſſa.
ſeyd, denckt mehr an die Pflichten der Kinder als an die Pflichten des Eheſtandes.
Wie koͤnnt Jhr ſagen, daß Jhr alles Elend ſelbſt tragen muͤſſet, da Jhr Euren Eltern, Eu- ren Onckles, mir, und Eurer Schweſter einen ſo groſſen Theil davon zutragen gebt? uns, die wir Euch achtzehn Jahr lang ſo zaͤrtlich geliebet haben?
Wenn ich ſeit kurtzem meine Auffuͤhrung ge- gen Euch geaͤndert habe, und Jhr weder Liebe noch Mitleiden von mir habt hoffen koͤnnen, ſo iſt es aus der Urſache geſchehen, weil Jhr keins von beyden verdient habt. Jch weiß wol, wor- auf Jhr zielet, niedertraͤchtige Tadlerin, wenn Jhr ſchreibt: Es ſtehe in den Haͤnden eines der nur Eur Bruder iſt (das ſcheinet Euch ſchon eine weitlaͤuftige Verwandſchaft zu ſeyn) Euch die Gemuͤths-Ruhe und Gluͤckſelig- keit zu verſchaffen, die Jhr Euch ſelbſt, ſo bald es Euch beliebet, verſchaffen koͤnnt.
Die Freyheit, Nein zu ſagen, kann Euch nicht zugeſtanden werden, artige Fraͤulein: Denn wir mercken alle, daß die Freyheit gegen aller Willen Ja zu ſagen bald darauf folgen wird. Der liederliche Kerl, in den Jhr Euch verliebt habt, ſagt das gegen jedermann deutlich, was Jhr nicht ſagen wollt. Er ſagt, Jhr waͤret ſein und Jhr ſoltet ſein bleiben, und es ſollte dem das Le- ben koſten, der ſich unterſtehen wuͤrde, ihm ſein Eigenthum zu rauben. Wir haben Luſt zu probiren, ob er ſein Wort wahr machen wird.
Mein
D 3
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der Clariſſa.
ſeyd, denckt mehr an die Pflichten der Kinder als
an die Pflichten des Eheſtandes.
Wie koͤnnt Jhr ſagen, daß Jhr alles Elend
ſelbſt tragen muͤſſet, da Jhr Euren Eltern, Eu-
ren Onckles, mir, und Eurer Schweſter einen
ſo groſſen Theil davon zutragen gebt? uns, die
wir Euch achtzehn Jahr lang ſo zaͤrtlich geliebet
haben?
Wenn ich ſeit kurtzem meine Auffuͤhrung ge-
gen Euch geaͤndert habe, und Jhr weder Liebe
noch Mitleiden von mir habt hoffen koͤnnen, ſo
iſt es aus der Urſache geſchehen, weil Jhr keins
von beyden verdient habt. Jch weiß wol, wor-
auf Jhr zielet, niedertraͤchtige Tadlerin, wenn
Jhr ſchreibt: Es ſtehe in den Haͤnden eines
der nur Eur Bruder iſt (das ſcheinet Euch
ſchon eine weitlaͤuftige Verwandſchaft zu ſeyn)
Euch die Gemuͤths-Ruhe und Gluͤckſelig-
keit zu verſchaffen, die Jhr Euch ſelbſt, ſo
bald es Euch beliebet, verſchaffen koͤnnt.
Die Freyheit, Nein zu ſagen, kann Euch nicht
zugeſtanden werden, artige Fraͤulein: Denn wir
mercken alle, daß die Freyheit gegen aller Willen
Ja zu ſagen bald darauf folgen wird. Der
liederliche Kerl, in den Jhr Euch verliebt habt,
ſagt das gegen jedermann deutlich, was Jhr
nicht ſagen wollt. Er ſagt, Jhr waͤret ſein und
Jhr ſoltet ſein bleiben, und es ſollte dem das Le-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/59>, abgerufen am 21.11.2024.
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