bin gewiß versichert, daß die Kinder ihrer Pflich- ten gegen die Eltern dadurch nicht erlassen wer- den, wenn die Eltern unbillig gegen sie handeln. Wie klingt das, wenn mir nachgesagt wird, ich hätte einen Proceß mit meinem Vater? Jch ha- be daher meinen Wunsch nur als eine Bitte vorgebracht, daß man mir erlauben möchte, mich nach meinem Gute zu begeben, wenn ich das Haus meines Vaters ja räumen müste. Jch kann keinen Schritt weiter gehen. Und Sie sehen, was schon dieser Wunsch für Unwillen erweckt hat.
Was bleibt mir also übrig, darauf ich hoffen könnte, als dieses, daß mein Vater seinen Ent- schluß ändern möchte? Jst es aber wohl wahr- scheinlich, daß dieses geschehen werde, da mein Bruder und meine Schwester, jetzt einen so gros- sen Einfluß in die gantze Familie haben, und da ihr Eigennutz sie antreibt, die Feindschaft gegen mich, die sie nicht mehr verheelen, ohnversöhnlich fortzusetzen?
Darüber wundere ich mich nicht, daß Herr Lovelace Jhren Vorschlag billiget: denn er siehet ohne Zweiffel ein, daß es mir fast ohn- möglich ist, ihn ohne seine Beyhülffe zu bewerck- stelligen. Wenn ich so frey und ungebunden wäre, als ich es mir wünschen wollte, so würde Herr Lovelace einen härterern Stand mit mir haben, als er aus Eigenliebe glauben wird, ohngeachtet Sie mich mit ihm aufzuziehen belie- ben. Sie können nicht wissen, was er bey al-
len
Die Geſchichte
bin gewiß verſichert, daß die Kinder ihrer Pflich- ten gegen die Eltern dadurch nicht erlaſſen wer- den, wenn die Eltern unbillig gegen ſie handeln. Wie klingt das, wenn mir nachgeſagt wird, ich haͤtte einen Proceß mit meinem Vater? Jch ha- be daher meinen Wunſch nur als eine Bitte vorgebracht, daß man mir erlauben moͤchte, mich nach meinem Gute zu begeben, wenn ich das Haus meines Vaters ja raͤumen muͤſte. Jch kann keinen Schritt weiter gehen. Und Sie ſehen, was ſchon dieſer Wunſch fuͤr Unwillen erweckt hat.
Was bleibt mir alſo uͤbrig, darauf ich hoffen koͤnnte, als dieſes, daß mein Vater ſeinen Ent- ſchluß aͤndern moͤchte? Jſt es aber wohl wahr- ſcheinlich, daß dieſes geſchehen werde, da mein Bruder und meine Schweſter, jetzt einen ſo groſ- ſen Einfluß in die gantze Familie haben, und da ihr Eigennutz ſie antreibt, die Feindſchaft gegen mich, die ſie nicht mehr verheelen, ohnverſoͤhnlich fortzuſetzen?
Daruͤber wundere ich mich nicht, daß Herr Lovelace Jhren Vorſchlag billiget: denn er ſiehet ohne Zweiffel ein, daß es mir faſt ohn- moͤglich iſt, ihn ohne ſeine Beyhuͤlffe zu bewerck- ſtelligen. Wenn ich ſo frey und ungebunden waͤre, als ich es mir wuͤnſchen wollte, ſo wuͤrde Herr Lovelace einen haͤrterern Stand mit mir haben, als er aus Eigenliebe glauben wird, ohngeachtet Sie mich mit ihm aufzuziehen belie- ben. Sie koͤnnen nicht wiſſen, was er bey al-
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Die Geſchichte
bin gewiß verſichert, daß die Kinder ihrer Pflich-
ten gegen die Eltern dadurch nicht erlaſſen wer-
den, wenn die Eltern unbillig gegen ſie handeln.
Wie klingt das, wenn mir nachgeſagt wird, ich
haͤtte einen Proceß mit meinem Vater? Jch ha-
be daher meinen Wunſch nur als eine Bitte
vorgebracht, daß man mir erlauben moͤchte, mich
nach meinem Gute zu begeben, wenn ich das
Haus meines Vaters ja raͤumen muͤſte. Jch
kann keinen Schritt weiter gehen. Und Sie
ſehen, was ſchon dieſer Wunſch fuͤr Unwillen
erweckt hat.
Was bleibt mir alſo uͤbrig, darauf ich hoffen
koͤnnte, als dieſes, daß mein Vater ſeinen Ent-
ſchluß aͤndern moͤchte? Jſt es aber wohl wahr-
ſcheinlich, daß dieſes geſchehen werde, da mein
Bruder und meine Schweſter, jetzt einen ſo groſ-
ſen Einfluß in die gantze Familie haben, und da
ihr Eigennutz ſie antreibt, die Feindſchaft gegen
mich, die ſie nicht mehr verheelen, ohnverſoͤhnlich
fortzuſetzen?
Daruͤber wundere ich mich nicht, daß Herr
Lovelace Jhren Vorſchlag billiget: denn er
ſiehet ohne Zweiffel ein, daß es mir faſt ohn-
moͤglich iſt, ihn ohne ſeine Beyhuͤlffe zu bewerck-
ſtelligen. Wenn ich ſo frey und ungebunden
waͤre, als ich es mir wuͤnſchen wollte, ſo wuͤrde
Herr Lovelace einen haͤrterern Stand mit mir
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/92>, abgerufen am 24.11.2024.
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