Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Es kommt mir bisweilen vor, als wenn meine
Mutter mit Willen so wunderlich ist, damit ich
des Lebens in ihrem Hause müde werden und mich
desto eher verändern möge. Wenn ich auf die
Spur komme, und finde, daß Hickman einen An-
theil an der Schelmerey hat, so will ich ihn nicht
wieder vor Augen dulden.

So voller Betrug und Arglistigkeit Jhr Love-
lace
auch ist, wünschte ich doch, daß Sie mit ihm
getrauet seyn möchten: so würden Sie allen die
Spitze bieten können, und Sie würden sich nicht
mehr verstecken noch von einem unbequemen Ort
an den andern flüchten dürffen. Jch bitte Sie,
versäumen Sie keine bequeme Gelegenheit, die sich
hiezu zeiget.

Abermahls meine Mutter!



Wir machen einander sonderbare Gesichter zu.
Sie thut nicht wohl, wenn sie so Harlowisch mit
mir umgehen will. Jch werde es nicht leyden.

Jch habe viel zu schreiben, und weiß doch nicht,
wo ich den Anfang machen soll. Mein Hertz ist
so voll, daß es überfliessen will.

Jch bin in einen abgelegenen Winckel im Garten
gegangen, um ihr außer den Augen zu seyn. Gott
gebe den Müttern Verstand! können sie dencken,
daß sie durch Lauren, durch Argwohn, durch Schel-
ten eine Tochter abhalten werden, das zu schrei-
ben, was sie schreiben will? Sie handelten klüger,
wenn sie sich auf ihre Töchter verließen: denn ein

edles


Es kommt mir bisweilen vor, als wenn meine
Mutter mit Willen ſo wunderlich iſt, damit ich
des Lebens in ihrem Hauſe muͤde werden und mich
deſto eher veraͤndern moͤge. Wenn ich auf die
Spur komme, und finde, daß Hickman einen An-
theil an der Schelmerey hat, ſo will ich ihn nicht
wieder vor Augen dulden.

So voller Betrug und Argliſtigkeit Jhr Love-
lace
auch iſt, wuͤnſchte ich doch, daß Sie mit ihm
getrauet ſeyn moͤchten: ſo wuͤrden Sie allen die
Spitze bieten koͤnnen, und Sie wuͤrden ſich nicht
mehr verſtecken noch von einem unbequemen Ort
an den andern fluͤchten duͤrffen. Jch bitte Sie,
verſaͤumen Sie keine bequeme Gelegenheit, die ſich
hiezu zeiget.

Abermahls meine Mutter!



Wir machen einander ſonderbare Geſichter zu.
Sie thut nicht wohl, wenn ſie ſo Harlowiſch mit
mir umgehen will. Jch werde es nicht leyden.

Jch habe viel zu ſchreiben, und weiß doch nicht,
wo ich den Anfang machen ſoll. Mein Hertz iſt
ſo voll, daß es uͤberflieſſen will.

Jch bin in einen abgelegenen Winckel im Garten
gegangen, um ihr außer den Augen zu ſeyn. Gott
gebe den Muͤttern Verſtand! koͤnnen ſie dencken,
daß ſie durch Lauren, durch Argwohn, durch Schel-
ten eine Tochter abhalten werden, das zu ſchrei-
ben, was ſie ſchreiben will? Sie handelten kluͤger,
wenn ſie ſich auf ihre Toͤchter verließen: denn ein

edles
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0120" n="106"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Es kommt mir bisweilen vor, als wenn meine<lb/>
Mutter mit Willen &#x017F;o wunderlich i&#x017F;t, damit ich<lb/>
des Lebens in ihrem Hau&#x017F;e mu&#x0364;de werden und mich<lb/>
de&#x017F;to eher vera&#x0364;ndern mo&#x0364;ge. Wenn ich auf die<lb/>
Spur komme, und finde, daß <hi rendition="#fr">Hickman</hi> einen An-<lb/>
theil an der Schelmerey hat, &#x017F;o will ich ihn nicht<lb/>
wieder vor Augen dulden.</p><lb/>
          <p>So voller Betrug und Argli&#x017F;tigkeit Jhr <hi rendition="#fr">Love-<lb/>
lace</hi> auch i&#x017F;t, wu&#x0364;n&#x017F;chte ich doch, daß Sie mit ihm<lb/>
getrauet &#x017F;eyn mo&#x0364;chten: &#x017F;o wu&#x0364;rden Sie allen die<lb/>
Spitze bieten ko&#x0364;nnen, und Sie wu&#x0364;rden &#x017F;ich nicht<lb/>
mehr ver&#x017F;tecken noch von einem unbequemen Ort<lb/>
an den andern flu&#x0364;chten du&#x0364;rffen. Jch bitte Sie,<lb/>
ver&#x017F;a&#x0364;umen Sie keine bequeme Gelegenheit, die &#x017F;ich<lb/>
hiezu zeiget.</p><lb/>
          <p>Abermahls meine Mutter!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Wir machen einander &#x017F;onderbare Ge&#x017F;ichter zu.<lb/>
Sie thut nicht wohl, wenn &#x017F;ie &#x017F;o Harlowi&#x017F;ch mit<lb/>
mir umgehen will. Jch werde es nicht leyden.</p><lb/>
          <p>Jch habe viel zu &#x017F;chreiben, und weiß doch nicht,<lb/>
wo ich den Anfang machen &#x017F;oll. Mein Hertz i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;o voll, daß es u&#x0364;berflie&#x017F;&#x017F;en will.</p><lb/>
          <p>Jch bin in einen abgelegenen Winckel im Garten<lb/>
gegangen, um ihr außer den Augen zu &#x017F;eyn. Gott<lb/>
gebe den Mu&#x0364;ttern Ver&#x017F;tand! ko&#x0364;nnen &#x017F;ie dencken,<lb/>
daß &#x017F;ie durch Lauren, durch Argwohn, durch Schel-<lb/>
ten eine Tochter abhalten werden, das zu &#x017F;chrei-<lb/>
ben, was &#x017F;ie &#x017F;chreiben will? Sie handelten klu&#x0364;ger,<lb/>
wenn &#x017F;ie &#x017F;ich auf ihre To&#x0364;chter verließen: denn ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">edles</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0120] Es kommt mir bisweilen vor, als wenn meine Mutter mit Willen ſo wunderlich iſt, damit ich des Lebens in ihrem Hauſe muͤde werden und mich deſto eher veraͤndern moͤge. Wenn ich auf die Spur komme, und finde, daß Hickman einen An- theil an der Schelmerey hat, ſo will ich ihn nicht wieder vor Augen dulden. So voller Betrug und Argliſtigkeit Jhr Love- lace auch iſt, wuͤnſchte ich doch, daß Sie mit ihm getrauet ſeyn moͤchten: ſo wuͤrden Sie allen die Spitze bieten koͤnnen, und Sie wuͤrden ſich nicht mehr verſtecken noch von einem unbequemen Ort an den andern fluͤchten duͤrffen. Jch bitte Sie, verſaͤumen Sie keine bequeme Gelegenheit, die ſich hiezu zeiget. Abermahls meine Mutter! Wir machen einander ſonderbare Geſichter zu. Sie thut nicht wohl, wenn ſie ſo Harlowiſch mit mir umgehen will. Jch werde es nicht leyden. Jch habe viel zu ſchreiben, und weiß doch nicht, wo ich den Anfang machen ſoll. Mein Hertz iſt ſo voll, daß es uͤberflieſſen will. Jch bin in einen abgelegenen Winckel im Garten gegangen, um ihr außer den Augen zu ſeyn. Gott gebe den Muͤttern Verſtand! koͤnnen ſie dencken, daß ſie durch Lauren, durch Argwohn, durch Schel- ten eine Tochter abhalten werden, das zu ſchrei- ben, was ſie ſchreiben will? Sie handelten kluͤger, wenn ſie ſich auf ihre Toͤchter verließen: denn ein edles

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/120
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/120>, abgerufen am 18.05.2024.