[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.zu bereuen haben, und da die Narbe auf ihrem Arm sie ihrer Sterblichkeit lebhaft erinnern kann. Die Zeilen die ich ihm sagte, waren aus dem Das Laster, das Gewohnheit langer Jahre Schon zur Natur gemacht, ist alten Schäden gleich. Dem frischen Vorsatz einer Stunde Weicht sein betagtes Uebel nicht: Man fühlt vorher die aufgerißne Wunde, Man zucket, wenn die träge Beule bricht. Man spürt ein innres Weh, man muß das schel- ten hören Vor dem das stärckste Hertz erbebt: Gewissens-Angst muß uns uns selbst beherr- schen lehren, Sie tödtet unsre Lust, bis daß ein neues Hertz Jn unserm busen schlägt, und eine Seele lebt Die wahre Tugend liebt. Die Tugend ist ein Schertz Des träumenden Gehirns, sie ist nur Heucheley, Wenn sie bey Schertz und Lust entstehet. Er sagte: er habe zwar diese Verse oft gelesen, al- Laster
zu bereuen haben, und da die Narbe auf ihrem Arm ſie ihrer Sterblichkeit lebhaft erinnern kann. Die Zeilen die ich ihm ſagte, waren aus dem Das Laſter, das Gewohnheit langer Jahre Schon zur Natur gemacht, iſt alten Schaͤden gleich. Dem friſchen Vorſatz einer Stunde Weicht ſein betagtes Uebel nicht: Man fuͤhlt vorher die aufgerißne Wunde, Man zucket, wenn die traͤge Beule bricht. Man ſpuͤrt ein innres Weh, man muß das ſchel- ten hoͤren Vor dem das ſtaͤrckſte Hertz erbebt: Gewiſſens-Angſt muß uns uns ſelbſt beherr- ſchen lehren, Sie toͤdtet unſre Luſt, bis daß ein neues Hertz Jn unſerm buſen ſchlaͤgt, und eine Seele lebt Die wahre Tugend liebt. Die Tugend iſt ein Schertz Des traͤumenden Gehirns, ſie iſt nur Heucheley, Wenn ſie bey Schertz und Luſt entſtehet. Er ſagte: er habe zwar dieſe Verſe oft geleſen, al- Laſter
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zu bereuen haben, und da die Narbe auf ihrem
Arm ſie ihrer Sterblichkeit lebhaft erinnern kann.
Die Zeilen die ich ihm ſagte, waren aus dem
Ulyſſes dieſes Dichters genommen; und Sie wiſſen,
daß ich dieſe Ausdruͤcke ſehr oft bewundert habe:
Das Laſter, das Gewohnheit langer Jahre
Schon zur Natur gemacht, iſt alten Schaͤden
gleich.
Dem friſchen Vorſatz einer Stunde
Weicht ſein betagtes Uebel nicht:
Man fuͤhlt vorher die aufgerißne Wunde,
Man zucket, wenn die traͤge Beule bricht.
Man ſpuͤrt ein innres Weh, man muß das ſchel-
ten hoͤren
Vor dem das ſtaͤrckſte Hertz erbebt:
Gewiſſens-Angſt muß uns uns ſelbſt beherr-
ſchen lehren,
Sie toͤdtet unſre Luſt, bis daß ein neues Hertz
Jn unſerm buſen ſchlaͤgt, und eine Seele lebt
Die wahre Tugend liebt. Die Tugend iſt ein
Schertz
Des traͤumenden Gehirns, ſie iſt nur Heucheley,
Wenn ſie bey Schertz und Luſt entſtehet.
Er ſagte: er habe zwar dieſe Verſe oft geleſen, al-
lein er haͤtte ihre Schoͤnheit noch niemahls bemerckt.
Bey ſeiner Seele (ſagte der unbußfertige Menſch)
und ſo wahr er wuͤnſchte ſeelig zu werden, es
ſey ihm nun ein Ernſt mit ſeinem guten Vorſatz. Er
haͤtte ſchon vorhin geſagt, ehe ich dieſe Verſe de_
Kowe angefuͤhret haͤtte, daß ein eingewurtze_ s
Laſter
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