Er bemerckte hierauf meine Ernsthaftigkeit, und meine rothen Augen. Jch hatte eben Jhren Brief beantwortet, und ich würde ihm einen sehr schlechten Willkommen gegeben haben, ohngeachtet wir bey seiner Abreise einen besseren Abschied nahmen, wenn er nicht bey seiner Wiederkunft sehr höflich gewesen wäre, und mir eine solche Nachricht von seinen Be- mühungen gegeben hätte, an der ich nichts auszu- setzen fand, und auf mein erstes Wort erbötig ge- wesen wäre, mich zu verlassen. Denn Jhr Brief hatte einen solchen Eindruck bey mir gemacht, daß ich meinen Verführer, der an allem meinem Unglück Schuld ist, nicht ohne Widerwillen erblickte, sobald er von der Reise zurücke kam.
Er gab mir zu erkennen, daß er ein Schreiben von der Lady Elisabeth und ein anderes von der einen Fräulein Montague erhalten hätte. Wenn sie meiner in diesen Schreiben gedencken, so wun- dere ich mich sehr, daß ich nichts von dem Jnhalt erfahre. Jch fürchte, daß seine Anverwanten mit andern der Meinung sind, daß ich einen übereilten Schritt gewaget habe. Es würde mir zu schlechter Ehre gereichen, wenn sie erfahren sollten, daß eine unnöthige Furcht mich aller Ueberlegung beraubet hat: vielleicht aber halten sie mich nicht würdig in eine Verbindung mit ihn zu treten, wenn sie mei- ne Flucht völlig für meine eigene, Wahl ansehen. Wie können uns nicht unsere Gedancken bey einem jeden zweiselhaften Falle beunruhigen, so bald wir uns bewußt sind, daß wir nicht recht gehandelt haben.
Sonn-
Q 4
Er bemerckte hierauf meine Ernſthaftigkeit, und meine rothen Augen. Jch hatte eben Jhren Brief beantwortet, und ich wuͤrde ihm einen ſehr ſchlechten Willkommen gegeben haben, ohngeachtet wir bey ſeiner Abreiſe einen beſſeren Abſchied nahmen, wenn er nicht bey ſeiner Wiederkunft ſehr hoͤflich geweſen waͤre, und mir eine ſolche Nachricht von ſeinen Be- muͤhungen gegeben haͤtte, an der ich nichts auszu- ſetzen fand, und auf mein erſtes Wort erboͤtig ge- weſen waͤre, mich zu verlaſſen. Denn Jhr Brief hatte einen ſolchen Eindruck bey mir gemacht, daß ich meinen Verfuͤhrer, der an allem meinem Ungluͤck Schuld iſt, nicht ohne Widerwillen erblickte, ſobald er von der Reiſe zuruͤcke kam.
Er gab mir zu erkennen, daß er ein Schreiben von der Lady Eliſabeth und ein anderes von der einen Fraͤulein Montague erhalten haͤtte. Wenn ſie meiner in dieſen Schreiben gedencken, ſo wun- dere ich mich ſehr, daß ich nichts von dem Jnhalt erfahre. Jch fuͤrchte, daß ſeine Anverwanten mit andern der Meinung ſind, daß ich einen uͤbereilten Schritt gewaget habe. Es wuͤrde mir zu ſchlechter Ehre gereichen, wenn ſie erfahren ſollten, daß eine unnoͤthige Furcht mich aller Ueberlegung beraubet hat: vielleicht aber halten ſie mich nicht wuͤrdig in eine Verbindung mit ihn zu treten, wenn ſie mei- ne Flucht voͤllig fuͤr meine eigene, Wahl anſehen. Wie koͤnnen uns nicht unſere Gedancken bey einem jeden zweiſelhaften Falle beunruhigen, ſo bald wir uns bewußt ſind, daß wir nicht recht gehandelt haben.
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Er bemerckte hierauf meine Ernſthaftigkeit, und
meine rothen Augen. Jch hatte eben Jhren Brief
beantwortet, und ich wuͤrde ihm einen ſehr ſchlechten
Willkommen gegeben haben, ohngeachtet wir bey
ſeiner Abreiſe einen beſſeren Abſchied nahmen, wenn
er nicht bey ſeiner Wiederkunft ſehr hoͤflich geweſen
waͤre, und mir eine ſolche Nachricht von ſeinen Be-
muͤhungen gegeben haͤtte, an der ich nichts auszu-
ſetzen fand, und auf mein erſtes Wort erboͤtig ge-
weſen waͤre, mich zu verlaſſen. Denn Jhr Brief
hatte einen ſolchen Eindruck bey mir gemacht, daß
ich meinen Verfuͤhrer, der an allem meinem Ungluͤck
Schuld iſt, nicht ohne Widerwillen erblickte, ſobald
er von der Reiſe zuruͤcke kam.
Er gab mir zu erkennen, daß er ein Schreiben
von der Lady Eliſabeth und ein anderes von der
einen Fraͤulein Montague erhalten haͤtte. Wenn
ſie meiner in dieſen Schreiben gedencken, ſo wun-
dere ich mich ſehr, daß ich nichts von dem Jnhalt
erfahre. Jch fuͤrchte, daß ſeine Anverwanten mit
andern der Meinung ſind, daß ich einen uͤbereilten
Schritt gewaget habe. Es wuͤrde mir zu ſchlechter
Ehre gereichen, wenn ſie erfahren ſollten, daß eine
unnoͤthige Furcht mich aller Ueberlegung beraubet
hat: vielleicht aber halten ſie mich nicht wuͤrdig in
eine Verbindung mit ihn zu treten, wenn ſie mei-
ne Flucht voͤllig fuͤr meine eigene, Wahl anſehen.
Wie koͤnnen uns nicht unſere Gedancken bey einem
jeden zweiſelhaften Falle beunruhigen, ſo bald wir
uns bewußt ſind, daß wir nicht recht gehandelt
haben.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/261>, abgerufen am 22.12.2024.
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