Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Als ich sahe, daß Herr Lovelace so gleichgül-
tig hierbey war, fragte ich ihn, was er mir riethe.

Darf ich Sie fragen Fräulein (sagte er) was
ihre Gedancken sind? Jch gebe die Frage zurück,
weil sie so sehr darauf dringen, daß ich sie gleich
nach ihrer Ankunft in London verlassen soll.
Jch weiß nicht was ich ihnen rathen soll ohne sie
böse zu machen.

Meine Gedancken sind, daß ich mich vor allen
Leuten, die Fräulein Howe ausgenommen, ver-
borgen halten muß: und daß sie mich den Augen-
blick verlassen sollten. Denn jederman wird glau-
ben, daß ich nicht weit von ihnen bin und es ist
leichter sie aufzuspüren als mich.

Sie werden doch nicht wünschen auf eine so ge-
waltsame Weise in ihres Bruders Hände zu fallen?
Jch will den Leuten nicht mit Willen in den Weg
kommen, allein wenn sie glaubten, daß ich ihnen
auswiche, so würden sie mehr Fleiß anwenden ih-
nen nachzuspüren, und mehr Muth haben etwas
zu wagen. Wie sollte es mir möglich seyn, eine
solche Nachrede zu erdulden, die einem jeden braven
Kerl das Hertz brechen muß?

Um Gottes willen! wie viel unglückliche Folgen
hat die Thorheit, dazu ich verleitet bin!

Meine liebe Fräulein, ich muß sie um eins bit-
ten. Enthalten sie sich so harter Ausdrücke, da sie
aus diesem Anschlage sehen, wie wenig die Jhrigen
nach gegeben haben würden, wenn ich sie gleich nicht,
wie sie es nennen, verleitet hätte. Habe ich mich
jemahls gegen die Landes-Gesetze aufgelehnet, wie

ihr
Y 3


Als ich ſahe, daß Herr Lovelace ſo gleichguͤl-
tig hierbey war, fragte ich ihn, was er mir riethe.

Darf ich Sie fragen Fraͤulein (ſagte er) was
ihre Gedancken ſind? Jch gebe die Frage zuruͤck,
weil ſie ſo ſehr darauf dringen, daß ich ſie gleich
nach ihrer Ankunft in London verlaſſen ſoll.
Jch weiß nicht was ich ihnen rathen ſoll ohne ſie
boͤſe zu machen.

Meine Gedancken ſind, daß ich mich vor allen
Leuten, die Fraͤulein Howe ausgenommen, ver-
borgen halten muß: und daß ſie mich den Augen-
blick verlaſſen ſollten. Denn jederman wird glau-
ben, daß ich nicht weit von ihnen bin und es iſt
leichter ſie aufzuſpuͤren als mich.

Sie werden doch nicht wuͤnſchen auf eine ſo ge-
waltſame Weiſe in ihres Bruders Haͤnde zu fallen?
Jch will den Leuten nicht mit Willen in den Weg
kommen, allein wenn ſie glaubten, daß ich ihnen
auswiche, ſo wuͤrden ſie mehr Fleiß anwenden ih-
nen nachzuſpuͤren, und mehr Muth haben etwas
zu wagen. Wie ſollte es mir moͤglich ſeyn, eine
ſolche Nachrede zu erdulden, die einem jeden braven
Kerl das Hertz brechen muß?

Um Gottes willen! wie viel ungluͤckliche Folgen
hat die Thorheit, dazu ich verleitet bin!

Meine liebe Fraͤulein, ich muß ſie um eins bit-
ten. Enthalten ſie ſich ſo harter Ausdruͤcke, da ſie
aus dieſem Anſchlage ſehen, wie wenig die Jhrigen
nach gegeben haben wuͤrden, wenn ich ſie gleich nicht,
wie ſie es nennen, verleitet haͤtte. Habe ich mich
jemahls gegen die Landes-Geſetze aufgelehnet, wie

ihr
Y 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0355" n="341"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Als ich &#x017F;ahe, daß Herr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> &#x017F;o gleichgu&#x0364;l-<lb/>
tig hierbey war, fragte ich ihn, was er mir riethe.</p><lb/>
          <p>Darf ich Sie fragen Fra&#x0364;ulein (&#x017F;agte er) was<lb/>
ihre Gedancken &#x017F;ind? Jch gebe die Frage zuru&#x0364;ck,<lb/>
weil &#x017F;ie &#x017F;o &#x017F;ehr darauf dringen, daß ich &#x017F;ie gleich<lb/>
nach ihrer Ankunft in <hi rendition="#fr">London</hi> verla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;oll.<lb/>
Jch weiß nicht was ich ihnen rathen &#x017F;oll ohne &#x017F;ie<lb/>
bo&#x0364;&#x017F;e zu machen.</p><lb/>
          <p>Meine Gedancken &#x017F;ind, daß ich mich vor allen<lb/>
Leuten, die Fra&#x0364;ulein <hi rendition="#fr">Howe</hi> ausgenommen, ver-<lb/>
borgen halten muß: und daß &#x017F;ie mich den Augen-<lb/>
blick verla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollten. Denn jederman wird glau-<lb/>
ben, daß ich nicht weit von ihnen bin und es i&#x017F;t<lb/>
leichter &#x017F;ie aufzu&#x017F;pu&#x0364;ren als mich.</p><lb/>
          <p>Sie werden doch nicht wu&#x0364;n&#x017F;chen auf eine &#x017F;o ge-<lb/>
walt&#x017F;ame Wei&#x017F;e in ihres Bruders Ha&#x0364;nde zu fallen?<lb/>
Jch will den Leuten nicht mit Willen in den Weg<lb/>
kommen, allein wenn &#x017F;ie glaubten, daß ich ihnen<lb/>
auswiche, &#x017F;o wu&#x0364;rden &#x017F;ie mehr Fleiß anwenden ih-<lb/>
nen nachzu&#x017F;pu&#x0364;ren, und mehr Muth haben etwas<lb/>
zu wagen. Wie &#x017F;ollte es mir mo&#x0364;glich &#x017F;eyn, eine<lb/>
&#x017F;olche Nachrede zu erdulden, die einem jeden braven<lb/>
Kerl das Hertz brechen muß?</p><lb/>
          <p>Um Gottes willen! wie viel unglu&#x0364;ckliche Folgen<lb/>
hat die Thorheit, dazu ich verleitet bin!</p><lb/>
          <p>Meine liebe Fra&#x0364;ulein, ich muß &#x017F;ie um eins bit-<lb/>
ten. Enthalten &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;o harter Ausdru&#x0364;cke, da &#x017F;ie<lb/>
aus die&#x017F;em An&#x017F;chlage &#x017F;ehen, wie wenig die Jhrigen<lb/>
nach gegeben haben wu&#x0364;rden, wenn ich &#x017F;ie gleich nicht,<lb/>
wie &#x017F;ie es nennen, verleitet ha&#x0364;tte. Habe ich mich<lb/>
jemahls gegen die Landes-Ge&#x017F;etze aufgelehnet, wie<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Y 3</fw><fw place="bottom" type="catch">ihr</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[341/0355] Als ich ſahe, daß Herr Lovelace ſo gleichguͤl- tig hierbey war, fragte ich ihn, was er mir riethe. Darf ich Sie fragen Fraͤulein (ſagte er) was ihre Gedancken ſind? Jch gebe die Frage zuruͤck, weil ſie ſo ſehr darauf dringen, daß ich ſie gleich nach ihrer Ankunft in London verlaſſen ſoll. Jch weiß nicht was ich ihnen rathen ſoll ohne ſie boͤſe zu machen. Meine Gedancken ſind, daß ich mich vor allen Leuten, die Fraͤulein Howe ausgenommen, ver- borgen halten muß: und daß ſie mich den Augen- blick verlaſſen ſollten. Denn jederman wird glau- ben, daß ich nicht weit von ihnen bin und es iſt leichter ſie aufzuſpuͤren als mich. Sie werden doch nicht wuͤnſchen auf eine ſo ge- waltſame Weiſe in ihres Bruders Haͤnde zu fallen? Jch will den Leuten nicht mit Willen in den Weg kommen, allein wenn ſie glaubten, daß ich ihnen auswiche, ſo wuͤrden ſie mehr Fleiß anwenden ih- nen nachzuſpuͤren, und mehr Muth haben etwas zu wagen. Wie ſollte es mir moͤglich ſeyn, eine ſolche Nachrede zu erdulden, die einem jeden braven Kerl das Hertz brechen muß? Um Gottes willen! wie viel ungluͤckliche Folgen hat die Thorheit, dazu ich verleitet bin! Meine liebe Fraͤulein, ich muß ſie um eins bit- ten. Enthalten ſie ſich ſo harter Ausdruͤcke, da ſie aus dieſem Anſchlage ſehen, wie wenig die Jhrigen nach gegeben haben wuͤrden, wenn ich ſie gleich nicht, wie ſie es nennen, verleitet haͤtte. Habe ich mich jemahls gegen die Landes-Geſetze aufgelehnet, wie ihr Y 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/355
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/355>, abgerufen am 22.12.2024.