Fassen Sie einen Muth; lassen Sie sich nicht niederschlagen; verzweifeln Sie nicht, meine liebe und unvergleichliche Freundin. Gott ist gerecht und gnädig, und er wird sich nicht brau- chen lassen, alle übereilte und unmenschliche Flüche- zu erfüllen: sonst würde die Bosheit, der Neid und alle schwartzen Leidenschaften eines lasterhaften Her- tzens das Haupt empor heben, und der bessere Theil seiner Geschöpfe, der sich vor der Bosheit würde bücken müssen, würde in dieser und in jener Welt unglücklich seyn.
Der Fluch zeiget mir welches Geistes Kinder die Jhrigen sind, und wie ein grosses Uebergewichte die Niederträchtigkeit selbst über die väterliche Liebe bey ihnen hat. Blos die Wuth, darüber, daß ih- re Absichten zu nichte gemacht sind, und zwar Ab- sichten die keiner Erfüllung werth waren, schäumet solche Flüche aus: Sie brauchen sich vor nichts an- ders zu fürchten, als daß der Grimm Jhrer Anver- wandten ihre eigene Folter werden wird. Gott kann ohnmöglich einen solchen verwegenen Fluch genehm halten, der sich unterstehen will ihm so gar in der andern Welt, über die er allein zu befehlen hat, Gesetze vorzuschreiben.
Pfuy der Leute! Ein jeder wird auf sie ausspeyen, der davon höret, wie sehr der böse Schatz ihres Her- tzens überfliesset: sonderlich wenn er weiß, daß sie selbst an dem Unglück allein schuld sind, über das sie sich dergestalt entrüsten. Meine Mutter selbsten ist mit dem gottlosen Briefe nicht zufrieden und hat mit Jhnen Mitleyden. Sie verlangt von freyen
Stü-
Faſſen Sie einen Muth; laſſen Sie ſich nicht niederſchlagen; verzweifeln Sie nicht, meine liebe und unvergleichliche Freundin. Gott iſt gerecht und gnaͤdig, und er wird ſich nicht brau- chen laſſen, alle uͤbereilte und unmenſchliche Fluͤche- zu erfuͤllen: ſonſt wuͤrde die Bosheit, der Neid und alle ſchwartzen Leidenſchaften eines laſterhaften Her- tzens das Haupt empor heben, und der beſſere Theil ſeiner Geſchoͤpfe, der ſich vor der Bosheit wuͤrde buͤcken muͤſſen, wuͤrde in dieſer und in jener Welt ungluͤcklich ſeyn.
Der Fluch zeiget mir welches Geiſtes Kinder die Jhrigen ſind, und wie ein groſſes Uebergewichte die Niedertraͤchtigkeit ſelbſt uͤber die vaͤterliche Liebe bey ihnen hat. Blos die Wuth, daruͤber, daß ih- re Abſichten zu nichte gemacht ſind, und zwar Ab- ſichten die keiner Erfuͤllung werth waren, ſchaͤumet ſolche Fluͤche aus: Sie brauchen ſich vor nichts an- ders zu fuͤrchten, als daß der Grimm Jhrer Anver- wandten ihre eigene Folter werden wird. Gott kann ohnmoͤglich einen ſolchen verwegenen Fluch genehm halten, der ſich unterſtehen will ihm ſo gar in der andern Welt, uͤber die er allein zu befehlen hat, Geſetze vorzuſchreiben.
Pfuy der Leute! Ein jeder wird auf ſie ausſpeyen, der davon hoͤret, wie ſehr der boͤſe Schatz ihres Her- tzens uͤberflieſſet: ſonderlich wenn er weiß, daß ſie ſelbſt an dem Ungluͤck allein ſchuld ſind, uͤber das ſie ſich dergeſtalt entruͤſten. Meine Mutter ſelbſten iſt mit dem gottloſen Briefe nicht zufrieden und hat mit Jhnen Mitleyden. Sie verlangt von freyen
Stuͤ-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0418"n="404"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#in">F</hi>aſſen Sie einen Muth; laſſen Sie ſich nicht<lb/>
niederſchlagen; verzweifeln Sie nicht, meine<lb/>
liebe und unvergleichliche Freundin. Gott<lb/>
iſt gerecht und gnaͤdig, und er wird ſich nicht brau-<lb/>
chen laſſen, alle uͤbereilte und unmenſchliche Fluͤche-<lb/>
zu erfuͤllen: ſonſt wuͤrde die Bosheit, der Neid und<lb/>
alle ſchwartzen Leidenſchaften eines laſterhaften Her-<lb/>
tzens das Haupt empor heben, und der beſſere Theil<lb/>ſeiner Geſchoͤpfe, der ſich vor der Bosheit wuͤrde<lb/>
buͤcken muͤſſen, wuͤrde in dieſer und in jener Welt<lb/>
ungluͤcklich ſeyn.</p><lb/><p>Der Fluch zeiget mir welches Geiſtes Kinder die<lb/>
Jhrigen ſind, und wie ein groſſes Uebergewichte die<lb/>
Niedertraͤchtigkeit ſelbſt uͤber die vaͤterliche Liebe<lb/>
bey ihnen hat. Blos die Wuth, daruͤber, daß ih-<lb/>
re Abſichten zu nichte gemacht ſind, und zwar Ab-<lb/>ſichten die keiner Erfuͤllung werth waren, ſchaͤumet<lb/>ſolche Fluͤche aus: Sie brauchen ſich vor nichts an-<lb/>
ders zu fuͤrchten, als daß der Grimm Jhrer Anver-<lb/>
wandten ihre eigene Folter werden wird. Gott<lb/>
kann ohnmoͤglich einen ſolchen verwegenen Fluch<lb/>
genehm halten, der ſich unterſtehen will ihm ſo gar<lb/>
in der andern Welt, uͤber die er allein zu befehlen<lb/>
hat, Geſetze vorzuſchreiben.</p><lb/><p>Pfuy der Leute! Ein jeder wird auf ſie ausſpeyen,<lb/>
der davon hoͤret, wie ſehr der boͤſe Schatz ihres Her-<lb/>
tzens uͤberflieſſet: ſonderlich wenn er weiß, daß ſie<lb/>ſelbſt an dem Ungluͤck allein ſchuld ſind, uͤber das ſie<lb/>ſich dergeſtalt entruͤſten. Meine Mutter ſelbſten<lb/>
iſt mit dem gottloſen Briefe nicht zufrieden und hat<lb/>
mit Jhnen Mitleyden. Sie verlangt von freyen<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Stuͤ-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[404/0418]
Faſſen Sie einen Muth; laſſen Sie ſich nicht
niederſchlagen; verzweifeln Sie nicht, meine
liebe und unvergleichliche Freundin. Gott
iſt gerecht und gnaͤdig, und er wird ſich nicht brau-
chen laſſen, alle uͤbereilte und unmenſchliche Fluͤche-
zu erfuͤllen: ſonſt wuͤrde die Bosheit, der Neid und
alle ſchwartzen Leidenſchaften eines laſterhaften Her-
tzens das Haupt empor heben, und der beſſere Theil
ſeiner Geſchoͤpfe, der ſich vor der Bosheit wuͤrde
buͤcken muͤſſen, wuͤrde in dieſer und in jener Welt
ungluͤcklich ſeyn.
Der Fluch zeiget mir welches Geiſtes Kinder die
Jhrigen ſind, und wie ein groſſes Uebergewichte die
Niedertraͤchtigkeit ſelbſt uͤber die vaͤterliche Liebe
bey ihnen hat. Blos die Wuth, daruͤber, daß ih-
re Abſichten zu nichte gemacht ſind, und zwar Ab-
ſichten die keiner Erfuͤllung werth waren, ſchaͤumet
ſolche Fluͤche aus: Sie brauchen ſich vor nichts an-
ders zu fuͤrchten, als daß der Grimm Jhrer Anver-
wandten ihre eigene Folter werden wird. Gott
kann ohnmoͤglich einen ſolchen verwegenen Fluch
genehm halten, der ſich unterſtehen will ihm ſo gar
in der andern Welt, uͤber die er allein zu befehlen
hat, Geſetze vorzuſchreiben.
Pfuy der Leute! Ein jeder wird auf ſie ausſpeyen,
der davon hoͤret, wie ſehr der boͤſe Schatz ihres Her-
tzens uͤberflieſſet: ſonderlich wenn er weiß, daß ſie
ſelbſt an dem Ungluͤck allein ſchuld ſind, uͤber das ſie
ſich dergeſtalt entruͤſten. Meine Mutter ſelbſten
iſt mit dem gottloſen Briefe nicht zufrieden und hat
mit Jhnen Mitleyden. Sie verlangt von freyen
Stuͤ-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/418>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.