Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Fassen Sie einen Muth; lassen Sie sich nicht
niederschlagen; verzweifeln Sie nicht, meine
liebe und unvergleichliche Freundin. Gott
ist gerecht und gnädig, und er wird sich nicht brau-
chen lassen, alle übereilte und unmenschliche Flüche-
zu erfüllen: sonst würde die Bosheit, der Neid und
alle schwartzen Leidenschaften eines lasterhaften Her-
tzens das Haupt empor heben, und der bessere Theil
seiner Geschöpfe, der sich vor der Bosheit würde
bücken müssen, würde in dieser und in jener Welt
unglücklich seyn.

Der Fluch zeiget mir welches Geistes Kinder die
Jhrigen sind, und wie ein grosses Uebergewichte die
Niederträchtigkeit selbst über die väterliche Liebe
bey ihnen hat. Blos die Wuth, darüber, daß ih-
re Absichten zu nichte gemacht sind, und zwar Ab-
sichten die keiner Erfüllung werth waren, schäumet
solche Flüche aus: Sie brauchen sich vor nichts an-
ders zu fürchten, als daß der Grimm Jhrer Anver-
wandten ihre eigene Folter werden wird. Gott
kann ohnmöglich einen solchen verwegenen Fluch
genehm halten, der sich unterstehen will ihm so gar
in der andern Welt, über die er allein zu befehlen
hat, Gesetze vorzuschreiben.

Pfuy der Leute! Ein jeder wird auf sie ausspeyen,
der davon höret, wie sehr der böse Schatz ihres Her-
tzens überfliesset: sonderlich wenn er weiß, daß sie
selbst an dem Unglück allein schuld sind, über das sie
sich dergestalt entrüsten. Meine Mutter selbsten
ist mit dem gottlosen Briefe nicht zufrieden und hat
mit Jhnen Mitleyden. Sie verlangt von freyen

Stü-


Faſſen Sie einen Muth; laſſen Sie ſich nicht
niederſchlagen; verzweifeln Sie nicht, meine
liebe und unvergleichliche Freundin. Gott
iſt gerecht und gnaͤdig, und er wird ſich nicht brau-
chen laſſen, alle uͤbereilte und unmenſchliche Fluͤche-
zu erfuͤllen: ſonſt wuͤrde die Bosheit, der Neid und
alle ſchwartzen Leidenſchaften eines laſterhaften Her-
tzens das Haupt empor heben, und der beſſere Theil
ſeiner Geſchoͤpfe, der ſich vor der Bosheit wuͤrde
buͤcken muͤſſen, wuͤrde in dieſer und in jener Welt
ungluͤcklich ſeyn.

Der Fluch zeiget mir welches Geiſtes Kinder die
Jhrigen ſind, und wie ein groſſes Uebergewichte die
Niedertraͤchtigkeit ſelbſt uͤber die vaͤterliche Liebe
bey ihnen hat. Blos die Wuth, daruͤber, daß ih-
re Abſichten zu nichte gemacht ſind, und zwar Ab-
ſichten die keiner Erfuͤllung werth waren, ſchaͤumet
ſolche Fluͤche aus: Sie brauchen ſich vor nichts an-
ders zu fuͤrchten, als daß der Grimm Jhrer Anver-
wandten ihre eigene Folter werden wird. Gott
kann ohnmoͤglich einen ſolchen verwegenen Fluch
genehm halten, der ſich unterſtehen will ihm ſo gar
in der andern Welt, uͤber die er allein zu befehlen
hat, Geſetze vorzuſchreiben.

Pfuy der Leute! Ein jeder wird auf ſie ausſpeyen,
der davon hoͤret, wie ſehr der boͤſe Schatz ihres Her-
tzens uͤberflieſſet: ſonderlich wenn er weiß, daß ſie
ſelbſt an dem Ungluͤck allein ſchuld ſind, uͤber das ſie
ſich dergeſtalt entruͤſten. Meine Mutter ſelbſten
iſt mit dem gottloſen Briefe nicht zufrieden und hat
mit Jhnen Mitleyden. Sie verlangt von freyen

Stuͤ-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0418" n="404"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p><hi rendition="#in">F</hi>a&#x017F;&#x017F;en Sie einen Muth; la&#x017F;&#x017F;en Sie &#x017F;ich nicht<lb/>
nieder&#x017F;chlagen; verzweifeln Sie nicht, meine<lb/>
liebe und unvergleichliche Freundin. Gott<lb/>
i&#x017F;t gerecht und gna&#x0364;dig, und er wird &#x017F;ich nicht brau-<lb/>
chen la&#x017F;&#x017F;en, alle u&#x0364;bereilte und unmen&#x017F;chliche Flu&#x0364;che-<lb/>
zu erfu&#x0364;llen: &#x017F;on&#x017F;t wu&#x0364;rde die Bosheit, der Neid und<lb/>
alle &#x017F;chwartzen Leiden&#x017F;chaften eines la&#x017F;terhaften Her-<lb/>
tzens das Haupt empor heben, und der be&#x017F;&#x017F;ere Theil<lb/>
&#x017F;einer Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe, der &#x017F;ich vor der Bosheit wu&#x0364;rde<lb/>
bu&#x0364;cken mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, wu&#x0364;rde in die&#x017F;er und in jener Welt<lb/>
unglu&#x0364;cklich &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>Der Fluch zeiget mir welches Gei&#x017F;tes Kinder die<lb/>
Jhrigen &#x017F;ind, und wie ein gro&#x017F;&#x017F;es Uebergewichte die<lb/>
Niedertra&#x0364;chtigkeit &#x017F;elb&#x017F;t u&#x0364;ber die va&#x0364;terliche Liebe<lb/>
bey ihnen hat. Blos die Wuth, daru&#x0364;ber, daß ih-<lb/>
re Ab&#x017F;ichten zu nichte gemacht &#x017F;ind, und zwar Ab-<lb/>
&#x017F;ichten die keiner Erfu&#x0364;llung werth waren, &#x017F;cha&#x0364;umet<lb/>
&#x017F;olche Flu&#x0364;che aus: Sie brauchen &#x017F;ich vor nichts an-<lb/>
ders zu fu&#x0364;rchten, als daß der Grimm Jhrer Anver-<lb/>
wandten ihre eigene Folter werden wird. Gott<lb/>
kann ohnmo&#x0364;glich einen &#x017F;olchen verwegenen Fluch<lb/>
genehm halten, der &#x017F;ich unter&#x017F;tehen will ihm &#x017F;o gar<lb/>
in der andern Welt, u&#x0364;ber die er allein zu befehlen<lb/>
hat, Ge&#x017F;etze vorzu&#x017F;chreiben.</p><lb/>
          <p>Pfuy der Leute! Ein jeder wird auf &#x017F;ie aus&#x017F;peyen,<lb/>
der davon ho&#x0364;ret, wie &#x017F;ehr der bo&#x0364;&#x017F;e Schatz ihres Her-<lb/>
tzens u&#x0364;berflie&#x017F;&#x017F;et: &#x017F;onderlich wenn er weiß, daß &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t an dem Unglu&#x0364;ck allein &#x017F;chuld &#x017F;ind, u&#x0364;ber das &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich derge&#x017F;talt entru&#x0364;&#x017F;ten. Meine Mutter &#x017F;elb&#x017F;ten<lb/>
i&#x017F;t mit dem gottlo&#x017F;en Briefe nicht zufrieden und hat<lb/>
mit Jhnen Mitleyden. Sie verlangt von freyen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Stu&#x0364;-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[404/0418] Faſſen Sie einen Muth; laſſen Sie ſich nicht niederſchlagen; verzweifeln Sie nicht, meine liebe und unvergleichliche Freundin. Gott iſt gerecht und gnaͤdig, und er wird ſich nicht brau- chen laſſen, alle uͤbereilte und unmenſchliche Fluͤche- zu erfuͤllen: ſonſt wuͤrde die Bosheit, der Neid und alle ſchwartzen Leidenſchaften eines laſterhaften Her- tzens das Haupt empor heben, und der beſſere Theil ſeiner Geſchoͤpfe, der ſich vor der Bosheit wuͤrde buͤcken muͤſſen, wuͤrde in dieſer und in jener Welt ungluͤcklich ſeyn. Der Fluch zeiget mir welches Geiſtes Kinder die Jhrigen ſind, und wie ein groſſes Uebergewichte die Niedertraͤchtigkeit ſelbſt uͤber die vaͤterliche Liebe bey ihnen hat. Blos die Wuth, daruͤber, daß ih- re Abſichten zu nichte gemacht ſind, und zwar Ab- ſichten die keiner Erfuͤllung werth waren, ſchaͤumet ſolche Fluͤche aus: Sie brauchen ſich vor nichts an- ders zu fuͤrchten, als daß der Grimm Jhrer Anver- wandten ihre eigene Folter werden wird. Gott kann ohnmoͤglich einen ſolchen verwegenen Fluch genehm halten, der ſich unterſtehen will ihm ſo gar in der andern Welt, uͤber die er allein zu befehlen hat, Geſetze vorzuſchreiben. Pfuy der Leute! Ein jeder wird auf ſie ausſpeyen, der davon hoͤret, wie ſehr der boͤſe Schatz ihres Her- tzens uͤberflieſſet: ſonderlich wenn er weiß, daß ſie ſelbſt an dem Ungluͤck allein ſchuld ſind, uͤber das ſie ſich dergeſtalt entruͤſten. Meine Mutter ſelbſten iſt mit dem gottloſen Briefe nicht zufrieden und hat mit Jhnen Mitleyden. Sie verlangt von freyen Stuͤ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/418
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/418>, abgerufen am 22.12.2024.