nommen. Nichts verdrießt mich mehr, als daß ich jetzt gewahr werde, daß er sich eben so viel auf meine Schwachheit verlassen hat, als ich mich auf meine eigenen Kräfte verließ. Nicht er, sondern ich habe mich betrogen; und er hat einen Sieg über mich erlanget, der eben um dieser Ursache willen meiner Ehre am nachtheiligsten ist. Wie kann ich ihn mit Geduld vor Augen sehen!
Nun schreiben Sie mir, liebste Fräulein, ob Sie mich nicht in Jhrem Hertzen verachten, wenn Sie Jhrem Hertzen keine Gewalt anthun? Sie müssen mich gewiß verachten, denn ich komme mir selbst verächtlich vor: und ehemahls waren wir beyde beständig von einerley Sinn und Meinung. Mit Recht komme ich mir verächtlich vor. Denn hätte das liederlichste Mädchen in England eine That vornehmen können, die schwärtzer vor den Augen der Welt aussehen muß, als meine Flucht? denn was ich gethan habe, das wird jedermann erfahren, ohne zu wissen, was mir die Meinigen für Anlaß dazu gegeben haben, und wie listig er mich verleitet hat: (denn für listig und unergründ- lich muß ich ihn jetzt wahrhaftig ansehen) und eben dadurch wird meine Schuld vergrössert werden, daß man sich von mir eine bessere Vorstellung als von vielen andern Frauenzimmern gemacht hat.
Sie rathen mir, die Trauung bey der ersten Gelegenheit zu beschleunigen. Allein eine neue Frucht meiner Thorheit! Jch habe dieses jetzt eben so wenig in meiner Gewalt, als ich selbst in mei- ner Gewalt bin. Denn wie kann ich seinen arg-
listi-
nommen. Nichts verdrießt mich mehr, als daß ich jetzt gewahr werde, daß er ſich eben ſo viel auf meine Schwachheit verlaſſen hat, als ich mich auf meine eigenen Kraͤfte verließ. Nicht er, ſondern ich habe mich betrogen; und er hat einen Sieg uͤber mich erlanget, der eben um dieſer Urſache willen meiner Ehre am nachtheiligſten iſt. Wie kann ich ihn mit Geduld vor Augen ſehen!
Nun ſchreiben Sie mir, liebſte Fraͤulein, ob Sie mich nicht in Jhrem Hertzen verachten, wenn Sie Jhrem Hertzen keine Gewalt anthun? Sie muͤſſen mich gewiß verachten, denn ich komme mir ſelbſt veraͤchtlich vor: und ehemahls waren wir beyde beſtaͤndig von einerley Sinn und Meinung. Mit Recht komme ich mir veraͤchtlich vor. Denn haͤtte das liederlichſte Maͤdchen in England eine That vornehmen koͤnnen, die ſchwaͤrtzer vor den Augen der Welt ausſehen muß, als meine Flucht? denn was ich gethan habe, das wird jedermann erfahren, ohne zu wiſſen, was mir die Meinigen fuͤr Anlaß dazu gegeben haben, und wie liſtig er mich verleitet hat: (denn fuͤr liſtig und unergruͤnd- lich muß ich ihn jetzt wahrhaftig anſehen) und eben dadurch wird meine Schuld vergroͤſſert werden, daß man ſich von mir eine beſſere Vorſtellung als von vielen andern Frauenzimmern gemacht hat.
Sie rathen mir, die Trauung bey der erſten Gelegenheit zu beſchleunigen. Allein eine neue Frucht meiner Thorheit! Jch habe dieſes jetzt eben ſo wenig in meiner Gewalt, als ich ſelbſt in mei- ner Gewalt bin. Denn wie kann ich ſeinen arg-
liſti-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0045"n="31"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
nommen. Nichts verdrießt mich mehr, als daß<lb/>
ich jetzt gewahr werde, daß er ſich eben ſo viel auf<lb/>
meine Schwachheit verlaſſen hat, als ich mich auf<lb/>
meine eigenen Kraͤfte verließ. Nicht er, ſondern<lb/>
ich habe mich betrogen; und er hat einen Sieg<lb/>
uͤber mich erlanget, der eben um dieſer Urſache<lb/>
willen meiner Ehre am nachtheiligſten iſt. Wie<lb/>
kann ich ihn mit Geduld vor Augen ſehen!</p><lb/><p>Nun ſchreiben Sie mir, liebſte Fraͤulein, ob<lb/>
Sie mich nicht in Jhrem Hertzen verachten, wenn<lb/>
Sie Jhrem Hertzen keine Gewalt anthun? Sie<lb/>
muͤſſen mich gewiß verachten, denn ich komme mir<lb/>ſelbſt veraͤchtlich vor: und ehemahls waren wir<lb/>
beyde beſtaͤndig von einerley Sinn und Meinung.<lb/>
Mit Recht komme ich mir veraͤchtlich vor. Denn<lb/>
haͤtte das liederlichſte Maͤdchen in England eine<lb/>
That vornehmen koͤnnen, die ſchwaͤrtzer vor den<lb/>
Augen der Welt ausſehen muß, als meine Flucht?<lb/>
denn was ich gethan habe, das wird jedermann<lb/>
erfahren, ohne zu wiſſen, was mir die Meinigen<lb/>
fuͤr Anlaß dazu gegeben haben, und wie liſtig er<lb/>
mich verleitet hat: (denn fuͤr liſtig und unergruͤnd-<lb/>
lich muß ich ihn jetzt wahrhaftig anſehen) und eben<lb/>
dadurch wird meine Schuld vergroͤſſert werden,<lb/>
daß man ſich von mir eine beſſere Vorſtellung als<lb/>
von vielen andern Frauenzimmern gemacht hat.</p><lb/><p>Sie rathen mir, die Trauung bey der erſten<lb/>
Gelegenheit zu beſchleunigen. Allein eine neue<lb/>
Frucht meiner Thorheit! Jch habe dieſes jetzt eben<lb/>ſo wenig in meiner Gewalt, als ich ſelbſt in mei-<lb/>
ner Gewalt bin. Denn wie kann ich ſeinen arg-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">liſti-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[31/0045]
nommen. Nichts verdrießt mich mehr, als daß
ich jetzt gewahr werde, daß er ſich eben ſo viel auf
meine Schwachheit verlaſſen hat, als ich mich auf
meine eigenen Kraͤfte verließ. Nicht er, ſondern
ich habe mich betrogen; und er hat einen Sieg
uͤber mich erlanget, der eben um dieſer Urſache
willen meiner Ehre am nachtheiligſten iſt. Wie
kann ich ihn mit Geduld vor Augen ſehen!
Nun ſchreiben Sie mir, liebſte Fraͤulein, ob
Sie mich nicht in Jhrem Hertzen verachten, wenn
Sie Jhrem Hertzen keine Gewalt anthun? Sie
muͤſſen mich gewiß verachten, denn ich komme mir
ſelbſt veraͤchtlich vor: und ehemahls waren wir
beyde beſtaͤndig von einerley Sinn und Meinung.
Mit Recht komme ich mir veraͤchtlich vor. Denn
haͤtte das liederlichſte Maͤdchen in England eine
That vornehmen koͤnnen, die ſchwaͤrtzer vor den
Augen der Welt ausſehen muß, als meine Flucht?
denn was ich gethan habe, das wird jedermann
erfahren, ohne zu wiſſen, was mir die Meinigen
fuͤr Anlaß dazu gegeben haben, und wie liſtig er
mich verleitet hat: (denn fuͤr liſtig und unergruͤnd-
lich muß ich ihn jetzt wahrhaftig anſehen) und eben
dadurch wird meine Schuld vergroͤſſert werden,
daß man ſich von mir eine beſſere Vorſtellung als
von vielen andern Frauenzimmern gemacht hat.
Sie rathen mir, die Trauung bey der erſten
Gelegenheit zu beſchleunigen. Allein eine neue
Frucht meiner Thorheit! Jch habe dieſes jetzt eben
ſo wenig in meiner Gewalt, als ich ſelbſt in mei-
ner Gewalt bin. Denn wie kann ich ſeinen arg-
liſti-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/45>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.