Als wir nach Hause kamen, so redeten wir viel von der Predigt: mein Kind mußte es mercken, daß ich Achtung gegeben hatte: denn ich wiederhohlte das nachdrücklichste und beste aus der Predigt, und merckte die Stellen an, wo der Prediger seinem Tex- te kein Genüge geleistet hatte. Denn Bruder, es ist die artigste und beweglichste Geschichte, die ich mein Tage gelesen habe. Jch war bey allem diesen so ernsthaft, daß mein Kind immer vergnügter über mich ward, und ich zweifele nun nicht mehr daran, daß sie uns morgen Abend ihre Gefellschaft gönnen wird.
Sonntag Abends.
Wir haben zu Mittage bey der Frau Sinclair gegessen. Es ist alles ungemein wohlgethan. Die beyden Mädchens haben ihre Person wohl gespielet, und die Frau Sinclair auch. Mein Kind ist noch nie so vergnügt gewesen. Sie sagt: sie hätte sich vorhin wunderliche Gedancken von den Leuten im Hause gemacht: Frau Sinclair hätte zuerst etwas unangenehmes in ihrem Wesen: allein ihre Basen wären artiger, und sie möchte sich wohl wünschen mit ihnen mehr bekannt zu seyn. Wir sollten in der That uns sehr in acht nehmen unseren Nächsten zu beurtheilen. Einige Leute besserten sich durch un- sern Umgang. Die Witwe wäre gut genug. (Weiter ging ihr gantzes Lob nicht.) Jungfer Mar- tin und Jungfer Horton hätten guten Verstand, und schienen artige Bücher gelesen zu haben. Was Jungfer Martin von ihrer Heyrath und von ihrem unterthänigen Diener gesagt hätte, wäre sehr ver-
nünftig-
Als wir nach Hauſe kamen, ſo redeten wir viel von der Predigt: mein Kind mußte es mercken, daß ich Achtung gegeben hatte: denn ich wiederhohlte das nachdruͤcklichſte und beſte aus der Predigt, und merckte die Stellen an, wo der Prediger ſeinem Tex- te kein Genuͤge geleiſtet hatte. Denn Bruder, es iſt die artigſte und beweglichſte Geſchichte, die ich mein Tage geleſen habe. Jch war bey allem dieſen ſo ernſthaft, daß mein Kind immer vergnuͤgter uͤber mich ward, und ich zweifele nun nicht mehr daran, daß ſie uns morgen Abend ihre Gefellſchaft goͤnnen wird.
Sonntag Abends.
Wir haben zu Mittage bey der Frau Sinclair gegeſſen. Es iſt alles ungemein wohlgethan. Die beyden Maͤdchens haben ihre Perſon wohl geſpielet, und die Frau Sinclair auch. Mein Kind iſt noch nie ſo vergnuͤgt geweſen. Sie ſagt: ſie haͤtte ſich vorhin wunderliche Gedancken von den Leuten im Hauſe gemacht: Frau Sinclair haͤtte zuerſt etwas unangenehmes in ihrem Weſen: allein ihre Baſen waͤren artiger, und ſie moͤchte ſich wohl wuͤnſchen mit ihnen mehr bekannt zu ſeyn. Wir ſollten in der That uns ſehr in acht nehmen unſeren Naͤchſten zu beurtheilen. Einige Leute beſſerten ſich durch un- ſern Umgang. Die Witwe waͤre gut genug. (Weiter ging ihr gantzes Lob nicht.) Jungfer Mar- tin und Jungfer Horton haͤtten guten Verſtand, und ſchienen artige Buͤcher geleſen zu haben. Was Jungfer Martin von ihrer Heyrath und von ihrem unterthaͤnigen Diener geſagt haͤtte, waͤre ſehr ver-
nuͤnftig-
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Als wir nach Hauſe kamen, ſo redeten wir viel
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das nachdruͤcklichſte und beſte aus der Predigt, und
merckte die Stellen an, wo der Prediger ſeinem Tex-
te kein Genuͤge geleiſtet hatte. Denn Bruder, es
iſt die artigſte und beweglichſte Geſchichte, die ich
mein Tage geleſen habe. Jch war bey allem dieſen
ſo ernſthaft, daß mein Kind immer vergnuͤgter uͤber
mich ward, und ich zweifele nun nicht mehr daran,
daß ſie uns morgen Abend ihre Gefellſchaft goͤnnen
wird.
Sonntag Abends.
Wir haben zu Mittage bey der Frau Sinclair
gegeſſen. Es iſt alles ungemein wohlgethan. Die
beyden Maͤdchens haben ihre Perſon wohl geſpielet,
und die Frau Sinclair auch. Mein Kind iſt noch
nie ſo vergnuͤgt geweſen. Sie ſagt: ſie haͤtte ſich
vorhin wunderliche Gedancken von den Leuten im
Hauſe gemacht: Frau Sinclair haͤtte zuerſt etwas
unangenehmes in ihrem Weſen: allein ihre Baſen
waͤren artiger, und ſie moͤchte ſich wohl wuͤnſchen mit
ihnen mehr bekannt zu ſeyn. Wir ſollten in der
That uns ſehr in acht nehmen unſeren Naͤchſten zu
beurtheilen. Einige Leute beſſerten ſich durch un-
ſern Umgang. Die Witwe waͤre gut genug.
(Weiter ging ihr gantzes Lob nicht.) Jungfer Mar-
tin und Jungfer Horton haͤtten guten Verſtand,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/505>, abgerufen am 22.12.2024.
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