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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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ben ich jetzt die Ehre habe, auf die Gestalt sehen?
Er gestehet auch, daß er an Aufführung dem Herrn
Lovelace nicht gleich komme: allein was ist Auf-
führung ohne Tugend? Jst es nicht für eine artige
Fräulein besser, einen Mann zu nehmen, dessen
Aufführung sie bilden kann, wie es ihr beliebet, als
einen solchen, der zwar eine anständige Aufführung
gelernt, allein seine Tugend zum Lehr-Gelde gege-
ben hat? Meine liebste Fräulein Base, wenn Sie
hier in Florentz, oder zu Rom oder Paris (als
da ich mich auch einige Zeit aufgehalten habe) seyn
sollten, und Sie sollten die jungen Herren, deren
rauhe Sitten, die sie aus England mitbringen,
auf der Reise (wie man es nennet) wohlanständiger
werden, bey der ersten Ankunft aus Engeland und
bey der Rückreise sehen: so würden sie eben die Per-
sonen bey ihrem ersten Auftrit viel besser finden, als
bey dem zweyten. Sie können des Unterscheids ge-
wahr werden, wenn diese Herrn wieder nach Enge-
land kommen, und keine andere Vorzüge vor ihren
Landesleuten mitbringen, als fremde Trachten und
Sitten, fremde Laster, und fremde Kranckheiten,
darauf sie sich so viel einbilden, daß sie ihr gantzes
Vaterland verachten, ob sie gleich selbst viel verächt-
licher sind als der schlechteste unter denen, die sie ver-
achten. Wer diese guten Eigenschaften besitzt und
unverschämt-dreiste ist, der heißt, ein junger Herr
der sich auf Reisen versucht hat.

Jch erkenne, daß ich bey Herrn Lovelacen in
einigen Stücken eine Ausnahme machen muß: denn
er hat in der That schönen Verstand, und hat viel ge-

lernt.



ben ich jetzt die Ehre habe, auf die Geſtalt ſehen?
Er geſtehet auch, daß er an Auffuͤhrung dem Herrn
Lovelace nicht gleich komme: allein was iſt Auf-
fuͤhrung ohne Tugend? Jſt es nicht fuͤr eine artige
Fraͤulein beſſer, einen Mann zu nehmen, deſſen
Auffuͤhrung ſie bilden kann, wie es ihr beliebet, als
einen ſolchen, der zwar eine anſtaͤndige Auffuͤhrung
gelernt, allein ſeine Tugend zum Lehr-Gelde gege-
ben hat? Meine liebſte Fraͤulein Baſe, wenn Sie
hier in Florentz, oder zu Rom oder Paris (als
da ich mich auch einige Zeit aufgehalten habe) ſeyn
ſollten, und Sie ſollten die jungen Herren, deren
rauhe Sitten, die ſie aus England mitbringen,
auf der Reiſe (wie man es nennet) wohlanſtaͤndiger
werden, bey der erſten Ankunft aus Engeland und
bey der Ruͤckreiſe ſehen: ſo wuͤrden ſie eben die Per-
ſonen bey ihrem erſten Auftrit viel beſſer finden, als
bey dem zweyten. Sie koͤnnen des Unterſcheids ge-
wahr werden, wenn dieſe Herrn wieder nach Enge-
land kommen, und keine andere Vorzuͤge vor ihren
Landesleuten mitbringen, als fremde Trachten und
Sitten, fremde Laſter, und fremde Kranckheiten,
darauf ſie ſich ſo viel einbilden, daß ſie ihr gantzes
Vaterland verachten, ob ſie gleich ſelbſt viel veraͤcht-
licher ſind als der ſchlechteſte unter denen, die ſie ver-
achten. Wer dieſe guten Eigenſchaften beſitzt und
unverſchaͤmt-dreiſte iſt, der heißt, ein junger Herr
der ſich auf Reiſen verſucht hat.

Jch erkenne, daß ich bey Herrn Lovelacen in
einigen Stuͤcken eine Ausnahme machen muß: denn
er hat in der That ſchoͤnen Verſtand, und hat viel ge-

lernt.
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[556/0570] ben ich jetzt die Ehre habe, auf die Geſtalt ſehen? Er geſtehet auch, daß er an Auffuͤhrung dem Herrn Lovelace nicht gleich komme: allein was iſt Auf- fuͤhrung ohne Tugend? Jſt es nicht fuͤr eine artige Fraͤulein beſſer, einen Mann zu nehmen, deſſen Auffuͤhrung ſie bilden kann, wie es ihr beliebet, als einen ſolchen, der zwar eine anſtaͤndige Auffuͤhrung gelernt, allein ſeine Tugend zum Lehr-Gelde gege- ben hat? Meine liebſte Fraͤulein Baſe, wenn Sie hier in Florentz, oder zu Rom oder Paris (als da ich mich auch einige Zeit aufgehalten habe) ſeyn ſollten, und Sie ſollten die jungen Herren, deren rauhe Sitten, die ſie aus England mitbringen, auf der Reiſe (wie man es nennet) wohlanſtaͤndiger werden, bey der erſten Ankunft aus Engeland und bey der Ruͤckreiſe ſehen: ſo wuͤrden ſie eben die Per- ſonen bey ihrem erſten Auftrit viel beſſer finden, als bey dem zweyten. Sie koͤnnen des Unterſcheids ge- wahr werden, wenn dieſe Herrn wieder nach Enge- land kommen, und keine andere Vorzuͤge vor ihren Landesleuten mitbringen, als fremde Trachten und Sitten, fremde Laſter, und fremde Kranckheiten, darauf ſie ſich ſo viel einbilden, daß ſie ihr gantzes Vaterland verachten, ob ſie gleich ſelbſt viel veraͤcht- licher ſind als der ſchlechteſte unter denen, die ſie ver- achten. Wer dieſe guten Eigenſchaften beſitzt und unverſchaͤmt-dreiſte iſt, der heißt, ein junger Herr der ſich auf Reiſen verſucht hat. Jch erkenne, daß ich bey Herrn Lovelacen in einigen Stuͤcken eine Ausnahme machen muß: denn er hat in der That ſchoͤnen Verſtand, und hat viel ge- lernt.

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/570>, abgerufen am 18.05.2024.