Jch habe weder Zeit noch Geduld, den Haupt- Jnhalt Jhres Briefes, der mir eben zu Hän- den gekommen ist, zu beantworten. Es ist mir alles, was von Herrn Lovelacen darin enthalten ist, misfällig; den Entwurf der Ehestiftung aus- genommen: und dennoch bin ich gleicher Meinung mit Jhnen, daß der Beschluß dieses Entwurfes so kalt ist, daß man bey Durchlesung des Entwurfes selbst gantz andere Ausdrücke und Bitten erwarten mußte. Jch habe Zeit Lebens von keinem Men- schen gehöret, der ein so nahes, ein so unvergleichli- ches Gut mit so vieler Gelassenheit begehret hat. Allein (zwischen uns gesagt) ich glaube, daß Leute von seiner Art nichts von den Flammen fühlen, da- durch redliche und ehrliche Leute entzündet werden. Vielleicht hat ihre Elisabeth recht, daß er erst ein halb Dutzend aufopfern muß, ehe er sich auf Le- bens-lang einlassen will. Ehe er das grosse Stuffen- Jahr überstanden hat, können Sie ihn nicht für ehrlich und zuverläßig halten.
Sollte der Mensch aus Höflichkeit gegen den Lord M. einen Aufschub machen, und so viel Zeit zu der Ehestiftung gebrauchen? Man hat ihm noch nie nachgesagt, daß er gegen seine Anverwanten höflich wäre. Jch verliere alle Geduld. Sie hätten in der That gestern früh einen Freund nöthig gehabt, der für Sie geredet hätte. Wenn ich damahls an Jhrer Stelle gewesen wäre, so wollte ich ihm die Augen ausgekratzt, und nachher Zeit gelassen ha- ben sich zu besinnen, warum es geschehen wäre.
Er
Jch habe weder Zeit noch Geduld, den Haupt- Jnhalt Jhres Briefes, der mir eben zu Haͤn- den gekommen iſt, zu beantworten. Es iſt mir alles, was von Herrn Lovelacen darin enthalten iſt, misfaͤllig; den Entwurf der Eheſtiftung aus- genommen: und dennoch bin ich gleicher Meinung mit Jhnen, daß der Beſchluß dieſes Entwurfes ſo kalt iſt, daß man bey Durchleſung des Entwurfes ſelbſt gantz andere Ausdruͤcke und Bitten erwarten mußte. Jch habe Zeit Lebens von keinem Men- ſchen gehoͤret, der ein ſo nahes, ein ſo unvergleichli- ches Gut mit ſo vieler Gelaſſenheit begehret hat. Allein (zwiſchen uns geſagt) ich glaube, daß Leute von ſeiner Art nichts von den Flammen fuͤhlen, da- durch redliche und ehrliche Leute entzuͤndet werden. Vielleicht hat ihre Eliſabeth recht, daß er erſt ein halb Dutzend aufopfern muß, ehe er ſich auf Le- bens-lang einlaſſen will. Ehe er das groſſe Stuffen- Jahr uͤberſtanden hat, koͤnnen Sie ihn nicht fuͤr ehrlich und zuverlaͤßig halten.
Sollte der Menſch aus Hoͤflichkeit gegen den Lord M. einen Aufſchub machen, und ſo viel Zeit zu der Eheſtiftung gebrauchen? Man hat ihm noch nie nachgeſagt, daß er gegen ſeine Anverwanten hoͤflich waͤre. Jch verliere alle Geduld. Sie haͤtten in der That geſtern fruͤh einen Freund noͤthig gehabt, der fuͤr Sie geredet haͤtte. Wenn ich damahls an Jhrer Stelle geweſen waͤre, ſo wollte ich ihm die Augen ausgekratzt, und nachher Zeit gelaſſen ha- ben ſich zu beſinnen, warum es geſchehen waͤre.
Er
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Jch habe weder Zeit noch Geduld, den Haupt-
Jnhalt Jhres Briefes, der mir eben zu Haͤn-
den gekommen iſt, zu beantworten. Es iſt mir
alles, was von Herrn Lovelacen darin enthalten
iſt, misfaͤllig; den Entwurf der Eheſtiftung aus-
genommen: und dennoch bin ich gleicher Meinung
mit Jhnen, daß der Beſchluß dieſes Entwurfes ſo
kalt iſt, daß man bey Durchleſung des Entwurfes
ſelbſt gantz andere Ausdruͤcke und Bitten erwarten
mußte. Jch habe Zeit Lebens von keinem Men-
ſchen gehoͤret, der ein ſo nahes, ein ſo unvergleichli-
ches Gut mit ſo vieler Gelaſſenheit begehret hat.
Allein (zwiſchen uns geſagt) ich glaube, daß Leute
von ſeiner Art nichts von den Flammen fuͤhlen, da-
durch redliche und ehrliche Leute entzuͤndet werden.
Vielleicht hat ihre Eliſabeth recht, daß er erſt ein
halb Dutzend aufopfern muß, ehe er ſich auf Le-
bens-lang einlaſſen will. Ehe er das groſſe Stuffen-
Jahr uͤberſtanden hat, koͤnnen Sie ihn nicht fuͤr
ehrlich und zuverlaͤßig halten.
Sollte der Menſch aus Hoͤflichkeit gegen den Lord
M. einen Aufſchub machen, und ſo viel Zeit zu der
Eheſtiftung gebrauchen? Man hat ihm noch nie
nachgeſagt, daß er gegen ſeine Anverwanten hoͤflich
waͤre. Jch verliere alle Geduld. Sie haͤtten in
der That geſtern fruͤh einen Freund noͤthig gehabt,
der fuͤr Sie geredet haͤtte. Wenn ich damahls an
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/112>, abgerufen am 21.11.2024.
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