nische Liebe, oder ich müßte nicht wissen, was Pla- tonische Liebe sey.
(Das ist wahr, Bruder: unsere Liebe soll sich auch so endigen, als wie die Platonische Liebe sich gemeiniglich zu endigen pflegt.)
Sarah und Frau Sinclair rühmeten beyde meine Liebste, ohne einen Ruhm zu weit zu trei- ben. Sarah bewunderte insonderheit ihre Tu- gend, sie setzte aber hinzu, sie schiene ihr beynahe übertrieben zu seyn, und zu weit zu gehen, wenn sie sich unterstehen dürste, von meiner Gemahlin so frey zu reden. Dieses geschahe, damit mein Vö- gelchen nicht mercken möchte, daß ich es fangen wollte.) Jndessen lobete sie mich, daß ich mei- nem Versprechen so genau nachkäme.
Jch war in meinen Reden freyer, und tadelte sie wegen ihrer Sprödigkeit gegen mich: ich nann- te sie grausam: ich scholt auf ihre Anverwandten: ich zweifelte an ihrer Liebe. Mir würden alle Bitten abgeschlagen. Und dennoch sey mein Um- gang mit ihr eben so scheu, eben so gehorsam, wenn ich allein bey ihr wäre, als in Gesellschaft. Jch gab dabey zu verstehen, daß noch an eben dem Tage etwas vorgefallen sey, das ihre Kaltsinnig- keit allzudeutlich zeigete, als daß ich es ertragen könnte. Jch wollte sie bitten, daß sie mit mir in das Trauer-Spiel, das gerettete Vene- dig, führe, welches auf den Sonnabend aufge- führt würde, und eines der besten Spiele wäre,
in
niſche Liebe, oder ich muͤßte nicht wiſſen, was Pla- toniſche Liebe ſey.
(Das iſt wahr, Bruder: unſere Liebe ſoll ſich auch ſo endigen, als wie die Platoniſche Liebe ſich gemeiniglich zu endigen pflegt.)
Sarah und Frau Sinclair ruͤhmeten beyde meine Liebſte, ohne einen Ruhm zu weit zu trei- ben. Sarah bewunderte inſonderheit ihre Tu- gend, ſie ſetzte aber hinzu, ſie ſchiene ihr beynahe uͤbertrieben zu ſeyn, und zu weit zu gehen, wenn ſie ſich unterſtehen duͤrſte, von meiner Gemahlin ſo frey zu reden. Dieſes geſchahe, damit mein Voͤ- gelchen nicht mercken moͤchte, daß ich es fangen wollte.) Jndeſſen lobete ſie mich, daß ich mei- nem Verſprechen ſo genau nachkaͤme.
Jch war in meinen Reden freyer, und tadelte ſie wegen ihrer Sproͤdigkeit gegen mich: ich nann- te ſie grauſam: ich ſcholt auf ihre Anverwandten: ich zweifelte an ihrer Liebe. Mir wuͤrden alle Bitten abgeſchlagen. Und dennoch ſey mein Um- gang mit ihr eben ſo ſcheu, eben ſo gehorſam, wenn ich allein bey ihr waͤre, als in Geſellſchaft. Jch gab dabey zu verſtehen, daß noch an eben dem Tage etwas vorgefallen ſey, das ihre Kaltſinnig- keit allzudeutlich zeigete, als daß ich es ertragen koͤnnte. Jch wollte ſie bitten, daß ſie mit mir in das Trauer-Spiel, das gerettete Vene- dig, fuͤhre, welches auf den Sonnabend aufge- fuͤhrt wuͤrde, und eines der beſten Spiele waͤre,
in
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0154"n="148"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
niſche Liebe, oder ich muͤßte nicht wiſſen, was Pla-<lb/>
toniſche Liebe ſey.</p><lb/><p>(Das iſt wahr, Bruder: unſere Liebe ſoll<lb/>ſich auch ſo endigen, als wie die Platoniſche Liebe<lb/>ſich gemeiniglich zu endigen pflegt.)</p><lb/><p><hirendition="#fr">Sarah</hi> und Frau <hirendition="#fr">Sinclair</hi> ruͤhmeten beyde<lb/>
meine Liebſte, ohne einen Ruhm zu weit zu trei-<lb/>
ben. <hirendition="#fr">Sarah</hi> bewunderte inſonderheit ihre Tu-<lb/>
gend, ſie ſetzte aber hinzu, ſie ſchiene ihr beynahe<lb/>
uͤbertrieben zu ſeyn, und zu weit zu gehen, wenn<lb/>ſie ſich unterſtehen duͤrſte, von meiner Gemahlin ſo<lb/>
frey zu reden. Dieſes geſchahe, damit mein Voͤ-<lb/>
gelchen nicht mercken moͤchte, daß ich es fangen<lb/>
wollte.) Jndeſſen lobete ſie mich, daß ich mei-<lb/>
nem Verſprechen ſo genau nachkaͤme.</p><lb/><p>Jch war in meinen Reden freyer, und tadelte<lb/>ſie wegen ihrer Sproͤdigkeit gegen mich: ich nann-<lb/>
te ſie grauſam: ich ſcholt auf ihre Anverwandten:<lb/>
ich zweifelte an ihrer Liebe. Mir wuͤrden alle<lb/>
Bitten abgeſchlagen. Und dennoch ſey mein Um-<lb/>
gang mit ihr eben ſo ſcheu, eben ſo gehorſam, wenn<lb/>
ich allein bey ihr waͤre, als in Geſellſchaft. Jch<lb/>
gab dabey zu verſtehen, daß noch an eben dem<lb/>
Tage etwas vorgefallen ſey, das ihre Kaltſinnig-<lb/>
keit allzudeutlich zeigete, als daß ich es ertragen<lb/>
koͤnnte. Jch wollte ſie bitten, daß ſie mit<lb/>
mir in das Trauer-Spiel, <hirendition="#fr">das gerettete Vene-<lb/>
dig,</hi> fuͤhre, welches auf den Sonnabend aufge-<lb/>
fuͤhrt wuͤrde, und eines der beſten Spiele waͤre,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">in</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[148/0154]
niſche Liebe, oder ich muͤßte nicht wiſſen, was Pla-
toniſche Liebe ſey.
(Das iſt wahr, Bruder: unſere Liebe ſoll
ſich auch ſo endigen, als wie die Platoniſche Liebe
ſich gemeiniglich zu endigen pflegt.)
Sarah und Frau Sinclair ruͤhmeten beyde
meine Liebſte, ohne einen Ruhm zu weit zu trei-
ben. Sarah bewunderte inſonderheit ihre Tu-
gend, ſie ſetzte aber hinzu, ſie ſchiene ihr beynahe
uͤbertrieben zu ſeyn, und zu weit zu gehen, wenn
ſie ſich unterſtehen duͤrſte, von meiner Gemahlin ſo
frey zu reden. Dieſes geſchahe, damit mein Voͤ-
gelchen nicht mercken moͤchte, daß ich es fangen
wollte.) Jndeſſen lobete ſie mich, daß ich mei-
nem Verſprechen ſo genau nachkaͤme.
Jch war in meinen Reden freyer, und tadelte
ſie wegen ihrer Sproͤdigkeit gegen mich: ich nann-
te ſie grauſam: ich ſcholt auf ihre Anverwandten:
ich zweifelte an ihrer Liebe. Mir wuͤrden alle
Bitten abgeſchlagen. Und dennoch ſey mein Um-
gang mit ihr eben ſo ſcheu, eben ſo gehorſam, wenn
ich allein bey ihr waͤre, als in Geſellſchaft. Jch
gab dabey zu verſtehen, daß noch an eben dem
Tage etwas vorgefallen ſey, das ihre Kaltſinnig-
keit allzudeutlich zeigete, als daß ich es ertragen
koͤnnte. Jch wollte ſie bitten, daß ſie mit
mir in das Trauer-Spiel, das gerettete Vene-
dig, fuͤhre, welches auf den Sonnabend aufge-
fuͤhrt wuͤrde, und eines der beſten Spiele waͤre,
in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/154>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.