Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



plagen kann, der sich willig von ihr plagen läßt.
Jch könnte aber gewiß mit diesem Engel nicht so
umgehen, wenn ich nicht glaubte, daß ich sie doch
noch endlich nach überstandener Prüfung so beloh-
nen werde, wie sie es wünschet, wenn ich sie nicht
zu der Lebensart überreden kann, die mir so ange-
nehm ist.

Der Sonnabend ist schon halb verstrichen,
und für uns eben so heiter gewesen als die vorigen
Tage. Wir sind in dem Begriff, wegzufahren,
Marichen hat sich Erlaubniß ausgebeten, mitzu-
fahren, und sie von meiner Geliebten bekommen.
Jch habe sie unterrichtet, bey welcher Gelegenheit
sie weinen soll, sowohl damit sie durch ihre Thrä-
nen ein mitleidiges Hertz verrathen möge, als auch
damit es ihr nicht an Vorwand fehlen möge, ihr
Gesichte etwas zu verbergen, um nicht erkannt zu
werden. Wiewohl Marichen kein Mädchen für
alle und jede ist. Wir werden in dem grünen
Stübchen sitzen.

Das Hertz meines Kindes muß nothwendig
weicher werden, wenn es eine so lebhafte Vorstel-
lung des Unglücks ansiehet, als in diesem Trauer-
Spiel insonderheit bey der Belviedra vorkommt.
Wenn ich ein Mädchen habe können in die Co-
mödie bringen, so habe ich meine Beute schon für
gewiß gehalten. Wenn das Hertz der Schönen
erst durch etwas Rührendes und Angenehmes aus-
ser sich gebracht ist, so vergißt es alles Geräusch
der Sitten und Gewohnheiten, und wird gantz
liebreich und gütig: sonderlich wenn die Music

nicht



plagen kann, der ſich willig von ihr plagen laͤßt.
Jch koͤnnte aber gewiß mit dieſem Engel nicht ſo
umgehen, wenn ich nicht glaubte, daß ich ſie doch
noch endlich nach uͤberſtandener Pruͤfung ſo beloh-
nen werde, wie ſie es wuͤnſchet, wenn ich ſie nicht
zu der Lebensart uͤberreden kann, die mir ſo ange-
nehm iſt.

Der Sonnabend iſt ſchon halb verſtrichen,
und fuͤr uns eben ſo heiter geweſen als die vorigen
Tage. Wir ſind in dem Begriff, wegzufahren,
Marichen hat ſich Erlaubniß ausgebeten, mitzu-
fahren, und ſie von meiner Geliebten bekommen.
Jch habe ſie unterrichtet, bey welcher Gelegenheit
ſie weinen ſoll, ſowohl damit ſie durch ihre Thraͤ-
nen ein mitleidiges Hertz verrathen moͤge, als auch
damit es ihr nicht an Vorwand fehlen moͤge, ihr
Geſichte etwas zu verbergen, um nicht erkannt zu
werden. Wiewohl Marichen kein Maͤdchen fuͤr
alle und jede iſt. Wir werden in dem gruͤnen
Stuͤbchen ſitzen.

Das Hertz meines Kindes muß nothwendig
weicher werden, wenn es eine ſo lebhafte Vorſtel-
lung des Ungluͤcks anſiehet, als in dieſem Trauer-
Spiel inſonderheit bey der Belviedra vorkommt.
Wenn ich ein Maͤdchen habe koͤnnen in die Co-
moͤdie bringen, ſo habe ich meine Beute ſchon fuͤr
gewiß gehalten. Wenn das Hertz der Schoͤnen
erſt durch etwas Ruͤhrendes und Angenehmes auſ-
ſer ſich gebracht iſt, ſo vergißt es alles Geraͤuſch
der Sitten und Gewohnheiten, und wird gantz
liebreich und guͤtig: ſonderlich wenn die Muſic

nicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0161" n="155"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
plagen kann, der &#x017F;ich willig von ihr plagen la&#x0364;ßt.<lb/>
Jch ko&#x0364;nnte aber gewiß mit die&#x017F;em Engel nicht &#x017F;o<lb/>
umgehen, wenn ich nicht glaubte, daß ich &#x017F;ie doch<lb/>
noch endlich nach u&#x0364;ber&#x017F;tandener Pru&#x0364;fung &#x017F;o beloh-<lb/>
nen werde, wie &#x017F;ie es wu&#x0364;n&#x017F;chet, wenn ich &#x017F;ie nicht<lb/>
zu der Lebensart u&#x0364;berreden kann, die mir &#x017F;o ange-<lb/>
nehm i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Der Sonnabend i&#x017F;t &#x017F;chon halb ver&#x017F;trichen,<lb/>
und fu&#x0364;r uns eben &#x017F;o heiter gewe&#x017F;en als die vorigen<lb/>
Tage. Wir &#x017F;ind in dem Begriff, wegzufahren,<lb/><hi rendition="#fr">Marichen</hi> hat &#x017F;ich Erlaubniß ausgebeten, mitzu-<lb/>
fahren, und &#x017F;ie von meiner Geliebten bekommen.<lb/>
Jch habe &#x017F;ie unterrichtet, bey welcher Gelegenheit<lb/>
&#x017F;ie weinen &#x017F;oll, &#x017F;owohl damit &#x017F;ie durch ihre Thra&#x0364;-<lb/>
nen ein mitleidiges Hertz verrathen mo&#x0364;ge, als auch<lb/>
damit es ihr nicht an Vorwand fehlen mo&#x0364;ge, ihr<lb/>
Ge&#x017F;ichte etwas zu verbergen, um nicht erkannt zu<lb/>
werden. Wiewohl <hi rendition="#fr">Marichen</hi> kein Ma&#x0364;dchen fu&#x0364;r<lb/>
alle und jede i&#x017F;t. Wir werden in dem gru&#x0364;nen<lb/>
Stu&#x0364;bchen &#x017F;itzen.</p><lb/>
          <p>Das Hertz meines Kindes muß nothwendig<lb/>
weicher werden, wenn es eine &#x017F;o lebhafte Vor&#x017F;tel-<lb/>
lung des Unglu&#x0364;cks an&#x017F;iehet, als in die&#x017F;em Trauer-<lb/>
Spiel in&#x017F;onderheit bey der <hi rendition="#fr">Belviedra</hi> vorkommt.<lb/>
Wenn ich ein Ma&#x0364;dchen habe ko&#x0364;nnen in die Co-<lb/>
mo&#x0364;die bringen, &#x017F;o habe ich meine Beute &#x017F;chon fu&#x0364;r<lb/>
gewiß gehalten. Wenn das Hertz der Scho&#x0364;nen<lb/>
er&#x017F;t durch etwas Ru&#x0364;hrendes und Angenehmes au&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er &#x017F;ich gebracht i&#x017F;t, &#x017F;o vergißt es alles Gera&#x0364;u&#x017F;ch<lb/>
der Sitten und Gewohnheiten, und wird gantz<lb/>
liebreich und gu&#x0364;tig: &#x017F;onderlich wenn die Mu&#x017F;ic<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0161] plagen kann, der ſich willig von ihr plagen laͤßt. Jch koͤnnte aber gewiß mit dieſem Engel nicht ſo umgehen, wenn ich nicht glaubte, daß ich ſie doch noch endlich nach uͤberſtandener Pruͤfung ſo beloh- nen werde, wie ſie es wuͤnſchet, wenn ich ſie nicht zu der Lebensart uͤberreden kann, die mir ſo ange- nehm iſt. Der Sonnabend iſt ſchon halb verſtrichen, und fuͤr uns eben ſo heiter geweſen als die vorigen Tage. Wir ſind in dem Begriff, wegzufahren, Marichen hat ſich Erlaubniß ausgebeten, mitzu- fahren, und ſie von meiner Geliebten bekommen. Jch habe ſie unterrichtet, bey welcher Gelegenheit ſie weinen ſoll, ſowohl damit ſie durch ihre Thraͤ- nen ein mitleidiges Hertz verrathen moͤge, als auch damit es ihr nicht an Vorwand fehlen moͤge, ihr Geſichte etwas zu verbergen, um nicht erkannt zu werden. Wiewohl Marichen kein Maͤdchen fuͤr alle und jede iſt. Wir werden in dem gruͤnen Stuͤbchen ſitzen. Das Hertz meines Kindes muß nothwendig weicher werden, wenn es eine ſo lebhafte Vorſtel- lung des Ungluͤcks anſiehet, als in dieſem Trauer- Spiel inſonderheit bey der Belviedra vorkommt. Wenn ich ein Maͤdchen habe koͤnnen in die Co- moͤdie bringen, ſo habe ich meine Beute ſchon fuͤr gewiß gehalten. Wenn das Hertz der Schoͤnen erſt durch etwas Ruͤhrendes und Angenehmes auſ- ſer ſich gebracht iſt, ſo vergißt es alles Geraͤuſch der Sitten und Gewohnheiten, und wird gantz liebreich und guͤtig: ſonderlich wenn die Muſic nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/161
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/161>, abgerufen am 21.11.2024.