Clarissa nichts hören möchten, bis der glückliche Augenblick anbricht, der alle meine Sünden büßen wird!
Jch konnte nichts antworten. Jch habe noch nie einen solchen Streit in mir verspüret. Danck- barkeit und Bewunderung bestritten meine Ge- wohnheits-Sünden, und meine Vorsätze, die ich mit so vieler Ueberlegung gemacht, und deren ich mich so oft gerühmet hatte. Wenn ich nach der Sprache des Pöbels ehrlich seyn soll, so muß ich hundert neue Schelmereyen, die ich in dem Kopfe und in dem Hertzen habe, fahren lassen: und doch habe ich an lauter Schelmerey und Schwürigkeiten Vergnügen. Jch bemühe mich immer, mir das in frisches Andencken zu bringen, was die Fräulein Howe gegen mich geschrieben hat: allein es will seine Wirckung nicht mehr bey mir haben. Jch wäre verlohren gewesen, wenn nicht Dorcas mir eben zu rechter Zeit einen Brief gebracht hätte, dessen Aufschrift war: so gleich zu erbrechen.
Jch ging an das Fenster und erbrach den Brief Er war von der Dorcas selbst geschrieben, und dieses war der Jnhalt: suchen sie die Fräulein zu amusiren. Jch habe ein importantes Blat abzuschreiben. So bald ich fertig bin, will ich husten.
Jch steckte das Papier ein, und wandte mich wie- der mit einem freyeren Gesichte zu meinem Kinde, welches sich auch einigermaßen wieder erhohlet hatte. - - Jch habe nur eine Bitte an sie: sagte
ich.
Q 4
Clariſſa nichts hoͤren moͤchten, bis der gluͤckliche Augenblick anbricht, der alle meine Suͤnden buͤßen wird!
Jch konnte nichts antworten. Jch habe noch nie einen ſolchen Streit in mir verſpuͤret. Danck- barkeit und Bewunderung beſtritten meine Ge- wohnheits-Suͤnden, und meine Vorſaͤtze, die ich mit ſo vieler Ueberlegung gemacht, und deren ich mich ſo oft geruͤhmet hatte. Wenn ich nach der Sprache des Poͤbels ehrlich ſeyn ſoll, ſo muß ich hundert neue Schelmereyen, die ich in dem Kopfe und in dem Hertzen habe, fahren laſſen: und doch habe ich an lauter Schelmerey und Schwuͤrigkeiten Vergnuͤgen. Jch bemuͤhe mich immer, mir das in friſches Andencken zu bringen, was die Fraͤulein Howe gegen mich geſchrieben hat: allein es will ſeine Wirckung nicht mehr bey mir haben. Jch waͤre verlohren geweſen, wenn nicht Dorcas mir eben zu rechter Zeit einen Brief gebracht haͤtte, deſſen Aufſchrift war: ſo gleich zu erbrechen.
Jch ging an das Fenſter und erbrach den Brief Er war von der Dorcas ſelbſt geſchrieben, und dieſes war der Jnhalt: ſuchen ſie die Fraͤulein zu amuſiren. Jch habe ein importantes Blat abzuſchreiben. So bald ich fertig bin, will ich huſten.
Jch ſteckte das Papier ein, und wandte mich wie- der mit einem freyeren Geſichte zu meinem Kinde, welches ſich auch einigermaßen wieder erhohlet hatte. ‒ ‒ Jch habe nur eine Bitte an ſie: ſagte
ich.
Q 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0253"n="247"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><hirendition="#fr">Clariſſa</hi> nichts hoͤren moͤchten, bis der gluͤckliche<lb/>
Augenblick anbricht, der alle meine Suͤnden buͤßen<lb/>
wird!</p><lb/><p>Jch konnte nichts antworten. Jch habe noch<lb/>
nie einen ſolchen Streit in mir verſpuͤret. Danck-<lb/>
barkeit und Bewunderung beſtritten meine Ge-<lb/>
wohnheits-Suͤnden, und meine Vorſaͤtze, die<lb/>
ich mit ſo vieler Ueberlegung gemacht, und deren<lb/>
ich mich ſo oft geruͤhmet hatte. Wenn ich nach<lb/>
der Sprache des Poͤbels ehrlich ſeyn ſoll, ſo muß<lb/>
ich hundert neue Schelmereyen, die ich in dem<lb/>
Kopfe und in dem Hertzen habe, fahren laſſen:<lb/>
und doch habe ich an lauter Schelmerey und<lb/>
Schwuͤrigkeiten Vergnuͤgen. Jch bemuͤhe mich<lb/>
immer, mir das in friſches Andencken zu bringen,<lb/>
was die Fraͤulein <hirendition="#fr">Howe</hi> gegen mich geſchrieben<lb/>
hat: allein es will ſeine Wirckung nicht mehr bey<lb/>
mir haben. Jch waͤre verlohren geweſen, wenn<lb/>
nicht <hirendition="#fr">Dorcas</hi> mir eben zu rechter Zeit einen Brief<lb/>
gebracht haͤtte, deſſen Aufſchrift war: <hirendition="#fr">ſo gleich zu<lb/>
erbrechen.</hi></p><lb/><p>Jch ging an das Fenſter und erbrach den Brief<lb/>
Er war von der <hirendition="#fr">Dorcas</hi>ſelbſt geſchrieben, und<lb/>
dieſes war der Jnhalt: <hirendition="#fr">ſuchen ſie die Fraͤulein<lb/>
zu amuſiren. Jch habe ein importantes<lb/>
Blat abzuſchreiben. So bald ich fertig bin,<lb/>
will ich huſten.</hi></p><lb/><p>Jch ſteckte das Papier ein, und wandte mich wie-<lb/>
der mit einem freyeren Geſichte zu meinem Kinde,<lb/>
welches ſich auch einigermaßen wieder erhohlet<lb/>
hatte. ‒‒ Jch habe nur eine Bitte an ſie: ſagte<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Q 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">ich.</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[247/0253]
Clariſſa nichts hoͤren moͤchten, bis der gluͤckliche
Augenblick anbricht, der alle meine Suͤnden buͤßen
wird!
Jch konnte nichts antworten. Jch habe noch
nie einen ſolchen Streit in mir verſpuͤret. Danck-
barkeit und Bewunderung beſtritten meine Ge-
wohnheits-Suͤnden, und meine Vorſaͤtze, die
ich mit ſo vieler Ueberlegung gemacht, und deren
ich mich ſo oft geruͤhmet hatte. Wenn ich nach
der Sprache des Poͤbels ehrlich ſeyn ſoll, ſo muß
ich hundert neue Schelmereyen, die ich in dem
Kopfe und in dem Hertzen habe, fahren laſſen:
und doch habe ich an lauter Schelmerey und
Schwuͤrigkeiten Vergnuͤgen. Jch bemuͤhe mich
immer, mir das in friſches Andencken zu bringen,
was die Fraͤulein Howe gegen mich geſchrieben
hat: allein es will ſeine Wirckung nicht mehr bey
mir haben. Jch waͤre verlohren geweſen, wenn
nicht Dorcas mir eben zu rechter Zeit einen Brief
gebracht haͤtte, deſſen Aufſchrift war: ſo gleich zu
erbrechen.
Jch ging an das Fenſter und erbrach den Brief
Er war von der Dorcas ſelbſt geſchrieben, und
dieſes war der Jnhalt: ſuchen ſie die Fraͤulein
zu amuſiren. Jch habe ein importantes
Blat abzuſchreiben. So bald ich fertig bin,
will ich huſten.
Jch ſteckte das Papier ein, und wandte mich wie-
der mit einem freyeren Geſichte zu meinem Kinde,
welches ſich auch einigermaßen wieder erhohlet
hatte. ‒ ‒ Jch habe nur eine Bitte an ſie: ſagte
ich.
Q 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/253>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.