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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

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bey Geld bin, so werde ich ihn zurück schicken.
Es schien, als wenn sie gern den gantzen Brief
lesen möchte. Jch sagte: ich wollte ihr gern den
gantzen Brief überreichen, wenn ich nicht dadurch
die Person beschimpfete, die ihn geschrieben hätte.
Sie antwortete: ich würde meinen Onckle nicht
bey ihr dadurch herunter setzen: denn sie schätzte
das Hertz höher, als den Kopf. Jch verstund
sie wohl: allein ich bin ihr sehr wenigen Danck
für diesen Grundsatz schuldig.

Jch will ihr alles abschreiben, was in dem
Briefe enthalten ist, das zu meiner Sache die-
net. Doch, ich will hängen, wenn sie nicht für
einen freywilligen Kuß den gantzen Brief haben
soll.



Sie hat den Brief weg, ohne ihn bezahlt
zu haben. Der Teufel hohle mich, wenn ich
Muth genug hatte, die Bedingung nur zu nen-
nen, unter welcher ich ihn ihr zu geben gedachte.
Du siehest abermahls, wie blöde dein Freund
ist. Ein wahrhaftig tugendhaftes Frauenzim-
mer kann die dreisteste Manns-Person drey
Schritt vom Leibe halten. Jch glaube nun, so
wahr ich lebe, daß unter zehn Frauensleuten die
verführet werden, neune durch Leichtsinnigkeit oder
durch Eitelkeit Anlaß dazu geben, oder daß sie
es dem Mangel der Vorsichtigkeit zu dancken
haben.

Jch



bey Geld bin, ſo werde ich ihn zuruͤck ſchicken.
Es ſchien, als wenn ſie gern den gantzen Brief
leſen moͤchte. Jch ſagte: ich wollte ihr gern den
gantzen Brief uͤberreichen, wenn ich nicht dadurch
die Perſon beſchimpfete, die ihn geſchrieben haͤtte.
Sie antwortete: ich wuͤrde meinen Onckle nicht
bey ihr dadurch herunter ſetzen: denn ſie ſchaͤtzte
das Hertz hoͤher, als den Kopf. Jch verſtund
ſie wohl: allein ich bin ihr ſehr wenigen Danck
fuͤr dieſen Grundſatz ſchuldig.

Jch will ihr alles abſchreiben, was in dem
Briefe enthalten iſt, das zu meiner Sache die-
net. Doch, ich will haͤngen, wenn ſie nicht fuͤr
einen freywilligen Kuß den gantzen Brief haben
ſoll.



Sie hat den Brief weg, ohne ihn bezahlt
zu haben. Der Teufel hohle mich, wenn ich
Muth genug hatte, die Bedingung nur zu nen-
nen, unter welcher ich ihn ihr zu geben gedachte.
Du ſieheſt abermahls, wie bloͤde dein Freund
iſt. Ein wahrhaftig tugendhaftes Frauenzim-
mer kann die dreiſteſte Manns-Perſon drey
Schritt vom Leibe halten. Jch glaube nun, ſo
wahr ich lebe, daß unter zehn Frauensleuten die
verfuͤhret werden, neune durch Leichtſinnigkeit oder
durch Eitelkeit Anlaß dazu geben, oder daß ſie
es dem Mangel der Vorſichtigkeit zu dancken
haben.

Jch
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[285/0291] bey Geld bin, ſo werde ich ihn zuruͤck ſchicken. Es ſchien, als wenn ſie gern den gantzen Brief leſen moͤchte. Jch ſagte: ich wollte ihr gern den gantzen Brief uͤberreichen, wenn ich nicht dadurch die Perſon beſchimpfete, die ihn geſchrieben haͤtte. Sie antwortete: ich wuͤrde meinen Onckle nicht bey ihr dadurch herunter ſetzen: denn ſie ſchaͤtzte das Hertz hoͤher, als den Kopf. Jch verſtund ſie wohl: allein ich bin ihr ſehr wenigen Danck fuͤr dieſen Grundſatz ſchuldig. Jch will ihr alles abſchreiben, was in dem Briefe enthalten iſt, das zu meiner Sache die- net. Doch, ich will haͤngen, wenn ſie nicht fuͤr einen freywilligen Kuß den gantzen Brief haben ſoll. Sie hat den Brief weg, ohne ihn bezahlt zu haben. Der Teufel hohle mich, wenn ich Muth genug hatte, die Bedingung nur zu nen- nen, unter welcher ich ihn ihr zu geben gedachte. Du ſieheſt abermahls, wie bloͤde dein Freund iſt. Ein wahrhaftig tugendhaftes Frauenzim- mer kann die dreiſteſte Manns-Perſon drey Schritt vom Leibe halten. Jch glaube nun, ſo wahr ich lebe, daß unter zehn Frauensleuten die verfuͤhret werden, neune durch Leichtſinnigkeit oder durch Eitelkeit Anlaß dazu geben, oder daß ſie es dem Mangel der Vorſichtigkeit zu dancken haben. Jch

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/291>, abgerufen am 21.11.2024.