Der ein und viertzigste Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.
Montags den 29sten May.
Nun bin ich von dem Hertzen meines Kindes auf ewig versichert. Der Capitain kam versprochener Maßen um sieben Uhr, und war gantz reisefertig. Meine Geliebte wollte nicht bey uns seyn, bis die erste Unterredung vorüber wä- re. Jch glaube, sie schämte sich mir zur Schan- de, sich bey dem Theil unserer Unterredung sehen zu lassen, der ihre Jungferschaft wiederherstellen sollte, nachdem ihrem Onckle berichtet war, daß sie meine Frau wäre. Sie behorchte uns aber, und hörte alles, was wir sagten. Das allersitsamste Frauenzimmer dencket zum wenigsten, und hat bisweilen sehr tiefe Gedancken. Jch möchte wis- sen, ob die Mädchens auch roth werden, wenn sie das in der Stille behorchen, wobey sie sich in Ge- sellschaften so schön verfärben? Wenn das nicht geschiehet, und die Schamröthe dennoch ein Zei- chen der Ehrbarkeit ist, so glaube ich, daß die Frauensleute das Blut in ihren Wangen eben so sehr in ihrer Gewalt haben, als die Thränen. Diese Betrachtung würde mich sehr weit leiten, wenn ich jetzt Lust hätte, dich mit einem gelehrten Buch von der Natur des schönen Geschlechts zu er- freuen.
Jch
Der ein und viertzigſte Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.
Montags den 29ſten May.
Nun bin ich von dem Hertzen meines Kindes auf ewig verſichert. Der Capitain kam verſprochener Maßen um ſieben Uhr, und war gantz reiſefertig. Meine Geliebte wollte nicht bey uns ſeyn, bis die erſte Unterredung voruͤber waͤ- re. Jch glaube, ſie ſchaͤmte ſich mir zur Schan- de, ſich bey dem Theil unſerer Unterredung ſehen zu laſſen, der ihre Jungferſchaft wiederherſtellen ſollte, nachdem ihrem Onckle berichtet war, daß ſie meine Frau waͤre. Sie behorchte uns aber, und hoͤrte alles, was wir ſagten. Das allerſitſamſte Frauenzimmer dencket zum wenigſten, und hat bisweilen ſehr tiefe Gedancken. Jch moͤchte wiſ- ſen, ob die Maͤdchens auch roth werden, wenn ſie das in der Stille behorchen, wobey ſie ſich in Ge- ſellſchaften ſo ſchoͤn verfaͤrben? Wenn das nicht geſchiehet, und die Schamroͤthe dennoch ein Zei- chen der Ehrbarkeit iſt, ſo glaube ich, daß die Frauensleute das Blut in ihren Wangen eben ſo ſehr in ihrer Gewalt haben, als die Thraͤnen. Dieſe Betrachtung wuͤrde mich ſehr weit leiten, wenn ich jetzt Luſt haͤtte, dich mit einem gelehrten Buch von der Natur des ſchoͤnen Geſchlechts zu er- freuen.
Jch
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Der ein und viertzigſte Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.
Montags den 29ſten May.
Nun bin ich von dem Hertzen meines Kindes
auf ewig verſichert. Der Capitain kam
verſprochener Maßen um ſieben Uhr, und war
gantz reiſefertig. Meine Geliebte wollte nicht bey
uns ſeyn, bis die erſte Unterredung voruͤber waͤ-
re. Jch glaube, ſie ſchaͤmte ſich mir zur Schan-
de, ſich bey dem Theil unſerer Unterredung ſehen
zu laſſen, der ihre Jungferſchaft wiederherſtellen
ſollte, nachdem ihrem Onckle berichtet war, daß ſie
meine Frau waͤre. Sie behorchte uns aber, und
hoͤrte alles, was wir ſagten. Das allerſitſamſte
Frauenzimmer dencket zum wenigſten, und hat
bisweilen ſehr tiefe Gedancken. Jch moͤchte wiſ-
ſen, ob die Maͤdchens auch roth werden, wenn ſie
das in der Stille behorchen, wobey ſie ſich in Ge-
ſellſchaften ſo ſchoͤn verfaͤrben? Wenn das nicht
geſchiehet, und die Schamroͤthe dennoch ein Zei-
chen der Ehrbarkeit iſt, ſo glaube ich, daß die
Frauensleute das Blut in ihren Wangen eben ſo
ſehr in ihrer Gewalt haben, als die Thraͤnen. Dieſe
Betrachtung wuͤrde mich ſehr weit leiten, wenn ich
jetzt Luſt haͤtte, dich mit einem gelehrten Buch
von der Natur des ſchoͤnen Geſchlechts zu er-
freuen.
Jch
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/372>, abgerufen am 22.11.2024.
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