Jn der That sahe ich, der Sie alles entdeck- ten, was Sie von Jhrem eignen Herzen wuß- ten, ob gleich nicht alles, was ich davon ausfin- dig machte, ganz offenbar, daß die Liebe sich gar frühe in demselben eingenistelt hatte. Und dieß würden sie selbst eher entdeckt haben, als Sie wirklich gethan: wenn nicht seine verdächtige,* seine unartige, seine rauhe Aufführung die Liebe unterhalten hätte.
Jch wußte aus der Erfahrung, daß die Liebe* ein Feuer ist, womit sich nicht spielen läßt, ohne die Finger zu verbrennen. Jch wußte, daß es für zwo ledige Personen von unterschiedenem Ge- schlechte ein gefährlich Ding ist, sich mit einander in Vertraulichkeit und Briefwechsel einzulassen. Denn muß nicht, in Ansehung des letztern, eine Person, die im Stande ist zu sitzen und zu schrei- ben, und doch nicht von Herzen zu schreiben, zu vorsetzlichen Kunstgriffen geschickt seyn? - - Und wenn ein Frauenzimmer ihres Herzens Meynung an einen Mann von einigem Character schreibet: was giebt sie ihm alsdenn für Vortheile über sich?
Da die Eitelkeit dieses Menschen ihm in den* Kopf gesetzet hatte, daß kein Frauenzimmer gegen die Liebe Stand halten könnte, wenn sein Antrag auf eine anständige Art geschähe: so war es kein Wunder, daß er sich, wie ein Löwe im Garn, ge- gen eine Neigung sträubete, die er nicht mit gl[ei-] cher Neigung, seinen Gedanken nach, verg[ol]ten sahe - - Und wie konnten Sie anfang[en] einem
so
K 4
Jn der That ſahe ich, der Sie alles entdeck- ten, was Sie von Jhrem eignen Herzen wuß- ten, ob gleich nicht alles, was ich davon ausfin- dig machte, ganz offenbar, daß die Liebe ſich gar fruͤhe in demſelben eingeniſtelt hatte. Und dieß wuͤrden ſie ſelbſt eher entdeckt haben, als Sie wirklich gethan: wenn nicht ſeine verdaͤchtige,* ſeine unartige, ſeine rauhe Auffuͤhrung die Liebe unterhalten haͤtte.
Jch wußte aus der Erfahrung, daß die Liebe* ein Feuer iſt, womit ſich nicht ſpielen laͤßt, ohne die Finger zu verbrennen. Jch wußte, daß es fuͤr zwo ledige Perſonen von unterſchiedenem Ge- ſchlechte ein gefaͤhrlich Ding iſt, ſich mit einander in Vertraulichkeit und Briefwechſel einzulaſſen. Denn muß nicht, in Anſehung des letztern, eine Perſon, die im Stande iſt zu ſitzen und zu ſchrei- ben, und doch nicht von Herzen zu ſchreiben, zu vorſetzlichen Kunſtgriffen geſchickt ſeyn? ‒ ‒ Und wenn ein Frauenzimmer ihres Herzens Meynung an einen Mann von einigem Character ſchreibet: was giebt ſie ihm alsdenn fuͤr Vortheile uͤber ſich?
Da die Eitelkeit dieſes Menſchen ihm in den* Kopf geſetzet hatte, daß kein Frauenzimmer gegen die Liebe Stand halten koͤnnte, wenn ſein Antrag auf eine anſtaͤndige Art geſchaͤhe: ſo war es kein Wunder, daß er ſich, wie ein Loͤwe im Garn, ge- gen eine Neigung ſtraͤubete, die er nicht mit gl[ei-] cher Neigung, ſeinen Gedanken nach, verg[ol]ten ſahe ‒ ‒ Und wie konnten Sie anfang[en] einem
ſo
K 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><floatingText><body><div><pbfacs="#f0157"n="151"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Jn der That ſahe ich, der Sie alles entdeck-<lb/>
ten, was <hirendition="#fr">Sie</hi> von Jhrem eignen Herzen <hirendition="#fr">wuß-<lb/>
ten,</hi> ob gleich nicht alles, was ich davon <hirendition="#fr">ausfin-<lb/>
dig machte,</hi> ganz offenbar, daß die Liebe ſich gar<lb/>
fruͤhe in demſelben eingeniſtelt hatte. Und dieß<lb/>
wuͤrden ſie ſelbſt eher entdeckt haben, als Sie<lb/>
wirklich gethan: wenn nicht ſeine verdaͤchtige,<noteplace="right">*</note><lb/>ſeine unartige, ſeine rauhe Auffuͤhrung die Liebe<lb/>
unterhalten haͤtte.</p><lb/><p>Jch wußte aus der Erfahrung, daß die Liebe<noteplace="right">*</note><lb/>
ein Feuer iſt, womit ſich nicht ſpielen laͤßt, ohne<lb/>
die Finger zu verbrennen. Jch wußte, daß es<lb/>
fuͤr zwo ledige Perſonen von unterſchiedenem Ge-<lb/>ſchlechte ein gefaͤhrlich Ding iſt, ſich mit einander<lb/>
in Vertraulichkeit und Briefwechſel einzulaſſen.<lb/>
Denn muß nicht, in Anſehung des letztern, eine<lb/>
Perſon, die im Stande iſt zu ſitzen und zu ſchrei-<lb/>
ben, und doch nicht von Herzen zu ſchreiben, zu<lb/>
vorſetzlichen Kunſtgriffen geſchickt ſeyn? ‒‒ Und<lb/>
wenn ein Frauenzimmer ihres Herzens Meynung<lb/>
an einen Mann von einigem Character ſchreibet:<lb/>
was giebt ſie ihm alsdenn fuͤr Vortheile uͤber<lb/>ſich?</p><lb/><p>Da die Eitelkeit dieſes Menſchen ihm in den<noteplace="right">*</note><lb/>
Kopf geſetzet hatte, daß kein Frauenzimmer gegen<lb/>
die Liebe Stand halten koͤnnte, wenn ſein Antrag<lb/>
auf eine anſtaͤndige Art geſchaͤhe: ſo war es kein<lb/>
Wunder, daß er ſich, wie ein Loͤwe im Garn, ge-<lb/>
gen eine Neigung ſtraͤubete, die er nicht mit gl<supplied>ei-</supplied><lb/>
cher Neigung, ſeinen Gedanken nach, verg<supplied>ol</supplied>ten<lb/>ſahe ‒‒ Und wie konnten Sie <hirendition="#fr">anfang<supplied>en</supplied></hi> einem<lb/><fwplace="bottom"type="sig">K 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſo</fw><lb/></p></div></body></floatingText></div></div></body></text></TEI>
[151/0157]
Jn der That ſahe ich, der Sie alles entdeck-
ten, was Sie von Jhrem eignen Herzen wuß-
ten, ob gleich nicht alles, was ich davon ausfin-
dig machte, ganz offenbar, daß die Liebe ſich gar
fruͤhe in demſelben eingeniſtelt hatte. Und dieß
wuͤrden ſie ſelbſt eher entdeckt haben, als Sie
wirklich gethan: wenn nicht ſeine verdaͤchtige,
ſeine unartige, ſeine rauhe Auffuͤhrung die Liebe
unterhalten haͤtte.
*
Jch wußte aus der Erfahrung, daß die Liebe
ein Feuer iſt, womit ſich nicht ſpielen laͤßt, ohne
die Finger zu verbrennen. Jch wußte, daß es
fuͤr zwo ledige Perſonen von unterſchiedenem Ge-
ſchlechte ein gefaͤhrlich Ding iſt, ſich mit einander
in Vertraulichkeit und Briefwechſel einzulaſſen.
Denn muß nicht, in Anſehung des letztern, eine
Perſon, die im Stande iſt zu ſitzen und zu ſchrei-
ben, und doch nicht von Herzen zu ſchreiben, zu
vorſetzlichen Kunſtgriffen geſchickt ſeyn? ‒ ‒ Und
wenn ein Frauenzimmer ihres Herzens Meynung
an einen Mann von einigem Character ſchreibet:
was giebt ſie ihm alsdenn fuͤr Vortheile uͤber
ſich?
*
Da die Eitelkeit dieſes Menſchen ihm in den
Kopf geſetzet hatte, daß kein Frauenzimmer gegen
die Liebe Stand halten koͤnnte, wenn ſein Antrag
auf eine anſtaͤndige Art geſchaͤhe: ſo war es kein
Wunder, daß er ſich, wie ein Loͤwe im Garn, ge-
gen eine Neigung ſtraͤubete, die er nicht mit glei-
cher Neigung, ſeinen Gedanken nach, vergolten
ſahe ‒ ‒ Und wie konnten Sie anfangen einem
ſo
*
K 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/157>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.