Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



Zutritt zu meiner Schönen, eher als ich vielleicht
sonst vorgelassen seyn möchte, eröffnet.

Mit zorniger Stirne trat sie in den Speise-
saal. Aber ich sagte nicht ein Wort von dem,
was vorgegangen war. Und so mußte sich ihr
Zorn in sich selbst verzehren.

"Der Capitain meldet mir zuerst, daß er für
"gut befunden nicht eher zu schreiben, als bis er
"den versprochnen Entwurf von der Ehestiftung
"bekommen hätte. Er berichtet hiernächst, sein
"Freund, Herr Joh. Harlowe, hätte sich bey der
"ersten Unterredung, so bald er zu Hause gekom-
"men, äußerst entsetzet und wohl gar, wie er be-
"sorgte, inniglich betrübet, als er gehöret, daß wir
"nicht verheyrathet wären. Die Welt, hätte er
"gesagt, die meine Art kennte, würde sehr böse
"urtheilen; wenn es bekannt werden sollte, daß
"wir so lange unverheyrathet in einem Hause mit
"einander gelebet hätten: es möchte unsre Ehe-
"verbindung itzt auch noch so feyerlich vollzogen
"werden.

"Sein Vetter Jacob, wüßte er gewiß, wür-
"de gegen alle Vorschläge zu einer Aussöhnung
"ein großes Werk daraus machen, und zwar mit
"desto glücklicherm Erfolg, weil in dem ganzen
"Königreiche keine Familie so eifersüchtig für ihre
"Ehre wäre."

Dieß ist wahr von den Harlowes, Bruder.
Man hat sie schon längst die stolzen Harlowes ge-
nannt. Und ich habe allezeit befunden, daß aller
junger Adel aufgeblasen und empfindlich ist.

Aber



Zutritt zu meiner Schoͤnen, eher als ich vielleicht
ſonſt vorgelaſſen ſeyn moͤchte, eroͤffnet.

Mit zorniger Stirne trat ſie in den Speiſe-
ſaal. Aber ich ſagte nicht ein Wort von dem,
was vorgegangen war. Und ſo mußte ſich ihr
Zorn in ſich ſelbſt verzehren.

„Der Capitain meldet mir zuerſt, daß er fuͤr
„gut befunden nicht eher zu ſchreiben, als bis er
„den verſprochnen Entwurf von der Eheſtiftung
„bekommen haͤtte. Er berichtet hiernaͤchſt, ſein
„Freund, Herr Joh. Harlowe, haͤtte ſich bey der
„erſten Unterredung, ſo bald er zu Hauſe gekom-
„men, aͤußerſt entſetzet und wohl gar, wie er be-
„ſorgte, inniglich betruͤbet, als er gehoͤret, daß wir
„nicht verheyrathet waͤren. Die Welt, haͤtte er
„geſagt, die meine Art kennte, wuͤrde ſehr boͤſe
„urtheilen; wenn es bekannt werden ſollte, daß
„wir ſo lange unverheyrathet in einem Hauſe mit
„einander gelebet haͤtten: es moͤchte unſre Ehe-
„verbindung itzt auch noch ſo feyerlich vollzogen
„werden.

„Sein Vetter Jacob, wuͤßte er gewiß, wuͤr-
„de gegen alle Vorſchlaͤge zu einer Ausſoͤhnung
„ein großes Werk daraus machen, und zwar mit
„deſto gluͤcklicherm Erfolg, weil in dem ganzen
„Koͤnigreiche keine Familie ſo eiferſuͤchtig fuͤr ihre
„Ehre waͤre.“

Dieß iſt wahr von den Harlowes, Bruder.
Man hat ſie ſchon laͤngſt die ſtolzen Harlowes ge-
nannt. Und ich habe allezeit befunden, daß aller
junger Adel aufgeblaſen und empfindlich iſt.

Aber
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0022" n="16"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Zutritt zu meiner Scho&#x0364;nen, eher als ich vielleicht<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t vorgela&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eyn mo&#x0364;chte, ero&#x0364;ffnet.</p><lb/>
          <p>Mit zorniger Stirne trat &#x017F;ie in den Spei&#x017F;e-<lb/>
&#x017F;aal. Aber ich &#x017F;agte nicht ein Wort von dem,<lb/>
was vorgegangen war. Und &#x017F;o mußte &#x017F;ich ihr<lb/>
Zorn in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t verzehren.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Der Capitain meldet mir zuer&#x017F;t, daß er fu&#x0364;r<lb/>
&#x201E;gut befunden nicht eher zu &#x017F;chreiben, als bis er<lb/>
&#x201E;den ver&#x017F;prochnen Entwurf von der Ehe&#x017F;tiftung<lb/>
&#x201E;bekommen ha&#x0364;tte. Er berichtet hierna&#x0364;ch&#x017F;t, &#x017F;ein<lb/>
&#x201E;Freund, Herr Joh. Harlowe, ha&#x0364;tte &#x017F;ich bey der<lb/>
&#x201E;er&#x017F;ten Unterredung, &#x017F;o bald er zu Hau&#x017F;e gekom-<lb/>
&#x201E;men, a&#x0364;ußer&#x017F;t ent&#x017F;etzet und wohl gar, wie er be-<lb/>
&#x201E;&#x017F;orgte, inniglich betru&#x0364;bet, als er geho&#x0364;ret, daß wir<lb/>
&#x201E;nicht verheyrathet wa&#x0364;ren. Die Welt, ha&#x0364;tte er<lb/>
&#x201E;ge&#x017F;agt, die meine Art kennte, wu&#x0364;rde &#x017F;ehr bo&#x0364;&#x017F;e<lb/>
&#x201E;urtheilen; wenn es bekannt werden &#x017F;ollte, daß<lb/>
&#x201E;wir &#x017F;o lange unverheyrathet in einem Hau&#x017F;e mit<lb/>
&#x201E;einander gelebet ha&#x0364;tten: es mo&#x0364;chte un&#x017F;re Ehe-<lb/>
&#x201E;verbindung itzt auch noch &#x017F;o feyerlich vollzogen<lb/>
&#x201E;werden.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sein Vetter Jacob, wu&#x0364;ßte er gewiß, wu&#x0364;r-<lb/>
&#x201E;de gegen alle Vor&#x017F;chla&#x0364;ge zu einer Aus&#x017F;o&#x0364;hnung<lb/>
&#x201E;ein großes Werk daraus machen, und zwar mit<lb/>
&#x201E;de&#x017F;to glu&#x0364;cklicherm Erfolg, weil in dem ganzen<lb/>
&#x201E;Ko&#x0364;nigreiche keine Familie &#x017F;o eifer&#x017F;u&#x0364;chtig fu&#x0364;r ihre<lb/>
&#x201E;Ehre wa&#x0364;re.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Dieß i&#x017F;t wahr von den Harlowes, Bruder.<lb/>
Man hat &#x017F;ie &#x017F;chon la&#x0364;ng&#x017F;t die &#x017F;tolzen Harlowes ge-<lb/>
nannt. Und ich habe allezeit befunden, daß aller<lb/>
junger Adel aufgebla&#x017F;en und empfindlich i&#x017F;t.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Aber</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0022] Zutritt zu meiner Schoͤnen, eher als ich vielleicht ſonſt vorgelaſſen ſeyn moͤchte, eroͤffnet. Mit zorniger Stirne trat ſie in den Speiſe- ſaal. Aber ich ſagte nicht ein Wort von dem, was vorgegangen war. Und ſo mußte ſich ihr Zorn in ſich ſelbſt verzehren. „Der Capitain meldet mir zuerſt, daß er fuͤr „gut befunden nicht eher zu ſchreiben, als bis er „den verſprochnen Entwurf von der Eheſtiftung „bekommen haͤtte. Er berichtet hiernaͤchſt, ſein „Freund, Herr Joh. Harlowe, haͤtte ſich bey der „erſten Unterredung, ſo bald er zu Hauſe gekom- „men, aͤußerſt entſetzet und wohl gar, wie er be- „ſorgte, inniglich betruͤbet, als er gehoͤret, daß wir „nicht verheyrathet waͤren. Die Welt, haͤtte er „geſagt, die meine Art kennte, wuͤrde ſehr boͤſe „urtheilen; wenn es bekannt werden ſollte, daß „wir ſo lange unverheyrathet in einem Hauſe mit „einander gelebet haͤtten: es moͤchte unſre Ehe- „verbindung itzt auch noch ſo feyerlich vollzogen „werden. „Sein Vetter Jacob, wuͤßte er gewiß, wuͤr- „de gegen alle Vorſchlaͤge zu einer Ausſoͤhnung „ein großes Werk daraus machen, und zwar mit „deſto gluͤcklicherm Erfolg, weil in dem ganzen „Koͤnigreiche keine Familie ſo eiferſuͤchtig fuͤr ihre „Ehre waͤre.“ Dieß iſt wahr von den Harlowes, Bruder. Man hat ſie ſchon laͤngſt die ſtolzen Harlowes ge- nannt. Und ich habe allezeit befunden, daß aller junger Adel aufgeblaſen und empfindlich iſt. Aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/22
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/22>, abgerufen am 23.11.2024.