Sie rung ihre thörichten Hände und wußte nicht, was sie that.
Hierauf kam ein Herr mit seiner Schwester heraufgelaufen, welche das Cammermägdchen, das eben hinunter gerannt war, geholet und her- eingebracht hatte. Weil dasselbe einen verfluch- ten finstern alten Kerl, der vom Podagra hinkte, und mit einer heisernen Stimme aus Mangel der Zähne nur mummelte, hineingesühret hatte, und dieser auf einmal in einen lebhaften, mun- tern, jungen Herrn, mit einer reinen Aussprache und allen seinen Zähnen, verwandelt war: so blieb sie dabey, daß ich nichts anders, als der Teufel, seyn könnte, und hütete meine Füße be- ständig mit ihren Augen. Sonder Zweifel war- tete sie alle Augenblicke darauf, daß sich die Klauen daran sehen lassen sollten.
Jch meines Theils war so geschäfftig, mei- nen Engel wieder zu sich selbst zu bringen, daß ich sonst auf niemand Achtung gab. Endlich, da sie langsam wiederum einige Bewegung be- kam, mit schwerem Seufzen und Gluchsen; ob gleich nur das Weisse in ihren Augen auf einige Augenblicke zu erkennen war: so rief ich ihr in dem zärtlichsten Tone zu, indem ich bey ihr auf den Knien lag und mit meinem Arm ihren Kopf hielte, mein Engel! mein schönster Engel! mei- ne Clarissa! sehen sie mich nur an, mein werthes Leben! - - Jch bin nicht zornig über sie - Jch will ihnen verzeihen, meine Allerliebste!
Der
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Sie rung ihre thoͤrichten Haͤnde und wußte nicht, was ſie that.
Hierauf kam ein Herr mit ſeiner Schweſter heraufgelaufen, welche das Cammermaͤgdchen, das eben hinunter gerannt war, geholet und her- eingebracht hatte. Weil daſſelbe einen verfluch- ten finſtern alten Kerl, der vom Podagra hinkte, und mit einer heiſernen Stimme aus Mangel der Zaͤhne nur mummelte, hineingeſuͤhret hatte, und dieſer auf einmal in einen lebhaften, mun- tern, jungen Herrn, mit einer reinen Ausſprache und allen ſeinen Zaͤhnen, verwandelt war: ſo blieb ſie dabey, daß ich nichts anders, als der Teufel, ſeyn koͤnnte, und huͤtete meine Fuͤße be- ſtaͤndig mit ihren Augen. Sonder Zweifel war- tete ſie alle Augenblicke darauf, daß ſich die Klauen daran ſehen laſſen ſollten.
Jch meines Theils war ſo geſchaͤfftig, mei- nen Engel wieder zu ſich ſelbſt zu bringen, daß ich ſonſt auf niemand Achtung gab. Endlich, da ſie langſam wiederum einige Bewegung be- kam, mit ſchwerem Seufzen und Gluchſen; ob gleich nur das Weiſſe in ihren Augen auf einige Augenblicke zu erkennen war: ſo rief ich ihr in dem zaͤrtlichſten Tone zu, indem ich bey ihr auf den Knien lag und mit meinem Arm ihren Kopf hielte, mein Engel! mein ſchoͤnſter Engel! mei- ne Clariſſa! ſehen ſie mich nur an, mein werthes Leben! ‒ ‒ Jch bin nicht zornig uͤber ſie ‒ Jch will ihnen verzeihen, meine Allerliebſte!
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Sie rung ihre thoͤrichten Haͤnde und wußte nicht,
was ſie that.
Hierauf kam ein Herr mit ſeiner Schweſter
heraufgelaufen, welche das Cammermaͤgdchen,
das eben hinunter gerannt war, geholet und her-
eingebracht hatte. Weil daſſelbe einen verfluch-
ten finſtern alten Kerl, der vom Podagra hinkte,
und mit einer heiſernen Stimme aus Mangel
der Zaͤhne nur mummelte, hineingeſuͤhret hatte,
und dieſer auf einmal in einen lebhaften, mun-
tern, jungen Herrn, mit einer reinen Ausſprache
und allen ſeinen Zaͤhnen, verwandelt war: ſo
blieb ſie dabey, daß ich nichts anders, als der
Teufel, ſeyn koͤnnte, und huͤtete meine Fuͤße be-
ſtaͤndig mit ihren Augen. Sonder Zweifel war-
tete ſie alle Augenblicke darauf, daß ſich die Klauen
daran ſehen laſſen ſollten.
Jch meines Theils war ſo geſchaͤfftig, mei-
nen Engel wieder zu ſich ſelbſt zu bringen, daß
ich ſonſt auf niemand Achtung gab. Endlich,
da ſie langſam wiederum einige Bewegung be-
kam, mit ſchwerem Seufzen und Gluchſen; ob
gleich nur das Weiſſe in ihren Augen auf einige
Augenblicke zu erkennen war: ſo rief ich ihr in
dem zaͤrtlichſten Tone zu, indem ich bey ihr auf
den Knien lag und mit meinem Arm ihren Kopf
hielte, mein Engel! mein ſchoͤnſter Engel! mei-
ne Clariſſa! ſehen ſie mich nur an, mein werthes
Leben! ‒ ‒ Jch bin nicht zornig uͤber ſie ‒ Jch
will ihnen verzeihen, meine Allerliebſte!
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/237>, abgerufen am 25.11.2024.
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