vorige Antwort, wie ich mir leicht vorstellen konn- te, es wäre Zeit genug den Tag zu benennen, wenn die Ehestiftung völlig ausgefertiget, und der Trauschein erhalten wäre. Und o! Herr Lo- velace, fuhr sie fort, indem sie sich mit einem un- nachahmlich zärtlichen Reize und dem Schnupf- tuche an ihren Augen, von mir wandte, o! was für eine Glückseligkeit, wenn von meinem lieben Onkel so viel zu erhalten stünde, daß er bey die- ser Gelegenheit persönlich ein Vater für das ar- me vaterlose Mädchen seyn wollte.
Was sicht mich das an! - - Wo kommt dieser Thautropfe her! - - Ein Thränlein! - - So wahr ich lebe, es ist ein Thränlein, Bruder! - - Die sitzen sehr los, deucht mich - - Beym bloßen Vorlesen! - - Aber eben stand ihr leben- diges Bild in eben der Stellung, und mit eben denselben Mienen, womit sie die Worte sprach, wieder vor mir - - Und in der That, damals, als sie dieselben aussprach, fielen mir diese Zeilen von Schakespeare ein:
Dein Herz ist dir zu schwer: Geh eilend fort und weine. Der Kummer hat gesiegt: Geh hin und bleib alleine. Denn weil in deinem Aug itzt Trauerperlen stehn: So wollen mir bereits die Augen übergehn.
Jch gieng weg und schrieb folgendes an den Capitain: "Er möchte die Güte haben, seinem
wer-
vorige Antwort, wie ich mir leicht vorſtellen konn- te, es waͤre Zeit genug den Tag zu benennen, wenn die Eheſtiftung voͤllig ausgefertiget, und der Trauſchein erhalten waͤre. Und o! Herr Lo- velace, fuhr ſie fort, indem ſie ſich mit einem un- nachahmlich zaͤrtlichen Reize und dem Schnupf- tuche an ihren Augen, von mir wandte, o! was fuͤr eine Gluͤckſeligkeit, wenn von meinem lieben Onkel ſo viel zu erhalten ſtuͤnde, daß er bey die- ſer Gelegenheit perſoͤnlich ein Vater fuͤr das ar- me vaterloſe Maͤdchen ſeyn wollte.
Was ſicht mich das an! ‒ ‒ Wo kommt dieſer Thautropfe her! ‒ ‒ Ein Thraͤnlein! ‒ ‒ So wahr ich lebe, es iſt ein Thraͤnlein, Bruder! ‒ ‒ Die ſitzen ſehr los, deucht mich ‒ ‒ Beym bloßen Vorleſen! ‒ ‒ Aber eben ſtand ihr leben- diges Bild in eben der Stellung, und mit eben denſelben Mienen, womit ſie die Worte ſprach, wieder vor mir ‒ ‒ Und in der That, damals, als ſie dieſelben ausſprach, fielen mir dieſe Zeilen von Schakeſpeare ein:
Dein Herz iſt dir zu ſchwer: Geh eilend fort und weine. Der Kummer hat geſiegt: Geh hin und bleib alleine. Denn weil in deinem Aug itzt Trauerperlen ſtehn: So wollen mir bereits die Augen uͤbergehn.
Jch gieng weg und ſchrieb folgendes an den Capitain: „Er moͤchte die Guͤte haben, ſeinem
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vorige Antwort, wie ich mir leicht vorſtellen konn-
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wenn die Eheſtiftung voͤllig ausgefertiget, und
der Trauſchein erhalten waͤre. Und o! Herr Lo-
velace, fuhr ſie fort, indem ſie ſich mit einem un-
nachahmlich zaͤrtlichen Reize und dem Schnupf-
tuche an ihren Augen, von mir wandte, o! was
fuͤr eine Gluͤckſeligkeit, wenn von meinem lieben
Onkel ſo viel zu erhalten ſtuͤnde, daß er bey die-
ſer Gelegenheit perſoͤnlich ein Vater fuͤr das ar-
me vaterloſe Maͤdchen ſeyn wollte.
Was ſicht mich das an! ‒ ‒ Wo kommt
dieſer Thautropfe her! ‒ ‒ Ein Thraͤnlein! ‒ ‒
So wahr ich lebe, es iſt ein Thraͤnlein, Bruder!
‒ ‒ Die ſitzen ſehr los, deucht mich ‒ ‒ Beym
bloßen Vorleſen! ‒ ‒ Aber eben ſtand ihr leben-
diges Bild in eben der Stellung, und mit eben
denſelben Mienen, womit ſie die Worte ſprach,
wieder vor mir ‒ ‒ Und in der That, damals,
als ſie dieſelben ausſprach, fielen mir dieſe Zeilen
von Schakeſpeare ein:
Dein Herz iſt dir zu ſchwer: Geh eilend fort
und weine.
Der Kummer hat geſiegt: Geh hin und bleib
alleine.
Denn weil in deinem Aug itzt Trauerperlen
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Jch gieng weg und ſchrieb folgendes an den
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/30>, abgerufen am 30.01.2025.
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