Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



Reinigkeit ihres Herzens außer Zweifel setzen,
oder, wenn ihre Frömmigkeit sie vor einem so ge-
waltsamen Tode bewahret, der nagende Kummer
ihren Tagen bald ein Ziel setzen werde. Und wür-
de nicht in einem jeden von diesen Fällen das An-
denken deiner ewigen Schuld, und deines ver-
gänglichen, kurzen
Sieges, eine Quaal über
alle Quaal für dich seyn?

Es ist in der That doch eine recht betrübte
Sache, daß ein so artiges Frauenzimmer in so
unartige und gewissenlose Hände fallen müssen.
Denn du hast von deiner Wiegen an, wie ich dich
selbst habe gestehen hören, ein Vergnügen daran
gefunden, allezeit dasjenige Thier, das du liebtest
und worüber du Gewalt hattest, es mochte Vo-
gel oder sonst ein Thier seyn, durch dein Spiel zu
beunruhigen und zu quälen.

Was hat es für eine verschiedne Bewandniß
mit diesem liebenswürdigen Frauenzimmer und
allen andern Weibspersonen, die du jemals ver-
führet hast! Jch darf dir nicht den Unterschied,
der allen in die Augen fällt, zu Gemüthe führen.
Darauf habe ich nicht nöthig zu bestehen. Es
ist genug, daß Gerechtigkeit, Dankbarkeit, dein
eigner Vortheil, deine Gelübde, alle dich verbin-
den, und du sie gewiß, so weit du zu lieben im
Stande bist, über alle andre von ihrem Geschlech-
te liebest. Es ist genug, daß sie nicht durch List
auf Abwege zu bringen stehet, nicht verleitet wer-
den kann, durch Leichtglaubigkeit oder Mangel an
Verstand und Ueberlegung ihr Leiden zu verdie-

nen;



Reinigkeit ihres Herzens außer Zweifel ſetzen,
oder, wenn ihre Froͤmmigkeit ſie vor einem ſo ge-
waltſamen Tode bewahret, der nagende Kummer
ihren Tagen bald ein Ziel ſetzen werde. Und wuͤr-
de nicht in einem jeden von dieſen Faͤllen das An-
denken deiner ewigen Schuld, und deines ver-
gaͤnglichen, kurzen
Sieges, eine Quaal uͤber
alle Quaal fuͤr dich ſeyn?

Es iſt in der That doch eine recht betruͤbte
Sache, daß ein ſo artiges Frauenzimmer in ſo
unartige und gewiſſenloſe Haͤnde fallen muͤſſen.
Denn du haſt von deiner Wiegen an, wie ich dich
ſelbſt habe geſtehen hoͤren, ein Vergnuͤgen daran
gefunden, allezeit dasjenige Thier, das du liebteſt
und woruͤber du Gewalt hatteſt, es mochte Vo-
gel oder ſonſt ein Thier ſeyn, durch dein Spiel zu
beunruhigen und zu quaͤlen.

Was hat es fuͤr eine verſchiedne Bewandniß
mit dieſem liebenswuͤrdigen Frauenzimmer und
allen andern Weibsperſonen, die du jemals ver-
fuͤhret haſt! Jch darf dir nicht den Unterſchied,
der allen in die Augen faͤllt, zu Gemuͤthe fuͤhren.
Darauf habe ich nicht noͤthig zu beſtehen. Es
iſt genug, daß Gerechtigkeit, Dankbarkeit, dein
eigner Vortheil, deine Geluͤbde, alle dich verbin-
den, und du ſie gewiß, ſo weit du zu lieben im
Stande biſt, uͤber alle andre von ihrem Geſchlech-
te liebeſt. Es iſt genug, daß ſie nicht durch Liſt
auf Abwege zu bringen ſtehet, nicht verleitet wer-
den kann, durch Leichtglaubigkeit oder Mangel an
Verſtand und Ueberlegung ihr Leiden zu verdie-

nen;
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0035" n="29"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Reinigkeit ihres Herzens außer Zweifel &#x017F;etzen,<lb/>
oder, wenn ihre Fro&#x0364;mmigkeit &#x017F;ie vor einem &#x017F;o ge-<lb/>
walt&#x017F;amen Tode bewahret, der nagende Kummer<lb/>
ihren Tagen bald ein Ziel &#x017F;etzen werde. Und wu&#x0364;r-<lb/>
de nicht in einem jeden von die&#x017F;en Fa&#x0364;llen das An-<lb/>
denken deiner <hi rendition="#fr">ewigen</hi> Schuld, und deines <hi rendition="#fr">ver-<lb/>
ga&#x0364;nglichen, kurzen</hi> Sieges, eine Quaal u&#x0364;ber<lb/>
alle Quaal fu&#x0364;r dich &#x017F;eyn?</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t in der That doch eine recht betru&#x0364;bte<lb/>
Sache, daß ein &#x017F;o artiges Frauenzimmer in &#x017F;o<lb/>
unartige und gewi&#x017F;&#x017F;enlo&#x017F;e Ha&#x0364;nde fallen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Denn du ha&#x017F;t von deiner Wiegen an, wie ich dich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t habe ge&#x017F;tehen ho&#x0364;ren, ein Vergnu&#x0364;gen daran<lb/>
gefunden, allezeit dasjenige Thier, das du liebte&#x017F;t<lb/>
und woru&#x0364;ber du Gewalt hatte&#x017F;t, es mochte Vo-<lb/>
gel oder &#x017F;on&#x017F;t ein Thier &#x017F;eyn, durch dein Spiel zu<lb/>
beunruhigen und zu qua&#x0364;len.</p><lb/>
          <p>Was hat es fu&#x0364;r eine ver&#x017F;chiedne Bewandniß<lb/>
mit die&#x017F;em liebenswu&#x0364;rdigen Frauenzimmer und<lb/>
allen andern Weibsper&#x017F;onen, die du jemals ver-<lb/>
fu&#x0364;hret ha&#x017F;t! Jch darf dir nicht den Unter&#x017F;chied,<lb/>
der allen in die Augen fa&#x0364;llt, zu Gemu&#x0364;the fu&#x0364;hren.<lb/>
Darauf habe ich nicht no&#x0364;thig zu be&#x017F;tehen. Es<lb/>
i&#x017F;t genug, daß Gerechtigkeit, Dankbarkeit, dein<lb/>
eigner Vortheil, deine Gelu&#x0364;bde, alle dich verbin-<lb/>
den, und du &#x017F;ie gewiß, &#x017F;o weit du zu lieben im<lb/>
Stande bi&#x017F;t, u&#x0364;ber alle andre von ihrem Ge&#x017F;chlech-<lb/>
te liebe&#x017F;t. Es i&#x017F;t genug, daß &#x017F;ie nicht durch Li&#x017F;t<lb/>
auf Abwege zu bringen &#x017F;tehet, nicht verleitet wer-<lb/>
den kann, durch Leichtglaubigkeit oder Mangel an<lb/>
Ver&#x017F;tand und Ueberlegung ihr Leiden zu verdie-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nen;</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0035] Reinigkeit ihres Herzens außer Zweifel ſetzen, oder, wenn ihre Froͤmmigkeit ſie vor einem ſo ge- waltſamen Tode bewahret, der nagende Kummer ihren Tagen bald ein Ziel ſetzen werde. Und wuͤr- de nicht in einem jeden von dieſen Faͤllen das An- denken deiner ewigen Schuld, und deines ver- gaͤnglichen, kurzen Sieges, eine Quaal uͤber alle Quaal fuͤr dich ſeyn? Es iſt in der That doch eine recht betruͤbte Sache, daß ein ſo artiges Frauenzimmer in ſo unartige und gewiſſenloſe Haͤnde fallen muͤſſen. Denn du haſt von deiner Wiegen an, wie ich dich ſelbſt habe geſtehen hoͤren, ein Vergnuͤgen daran gefunden, allezeit dasjenige Thier, das du liebteſt und woruͤber du Gewalt hatteſt, es mochte Vo- gel oder ſonſt ein Thier ſeyn, durch dein Spiel zu beunruhigen und zu quaͤlen. Was hat es fuͤr eine verſchiedne Bewandniß mit dieſem liebenswuͤrdigen Frauenzimmer und allen andern Weibsperſonen, die du jemals ver- fuͤhret haſt! Jch darf dir nicht den Unterſchied, der allen in die Augen faͤllt, zu Gemuͤthe fuͤhren. Darauf habe ich nicht noͤthig zu beſtehen. Es iſt genug, daß Gerechtigkeit, Dankbarkeit, dein eigner Vortheil, deine Geluͤbde, alle dich verbin- den, und du ſie gewiß, ſo weit du zu lieben im Stande biſt, uͤber alle andre von ihrem Geſchlech- te liebeſt. Es iſt genug, daß ſie nicht durch Liſt auf Abwege zu bringen ſtehet, nicht verleitet wer- den kann, durch Leichtglaubigkeit oder Mangel an Verſtand und Ueberlegung ihr Leiden zu verdie- nen;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/35
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/35>, abgerufen am 21.11.2024.