Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



endlich niedrigern Gemüthsart, die sie mir vor-
wirft, nicht ertragen - - Aber warum will sie
sich von mir reißen, wenn gute Entschließungen
bey mir Platz nehmen? - - Sie will das Eisen
nicht schmieden, wenn es heiß ist! - O warum
will sie das weiche Wachs erst hart werden
lassen?

Wir waren nur einige Schritte nach dem
Hause zu gegangen, als uns die unverschämten
Weibsleute entgegen kamen, mit der Nachricht,
daß das Frühstück bereit wäre. Jch konnte
nichts mehr thun, als sie mit aufgehabenen Hän-
den bitten, mir zu einer neuen Unterredung nach
dem Frühstücke Hoffnung zu machen.

Nein: sie wollte in die Kirche gehen.

So ging sie in das Haus hinein und gerades
Weges die Treppen hinauf. Sie wollte mir
auch nicht einmal die Gefälligkeit erweisen, mir
bey dem Thee ihre Gesellschaft zu gönnen.

Jch erklärte mich gegen die Fr. Moore, lie-
ber von dem Tische und aus dem Saale selbst weg-
zugehen, als daß sich die Fräulein ausschließen
oder die beyden Witwen ihrer Gesellschaft berau-
ben sollte.

Das wäre die Sache eigentlich nicht, sprach
die Fräulein zu der Frau Moore. Sie hätte mit
sich zu streiten gehabt, ihren Unwillen niederzu-
halten. Es hätte sie einige Mühe gekostet. Sie
möchte sich gern wieder fassen, in Hoffnung, aus
dem Gottesdienste, dem sie beywohnen wollte, ge-
segnete Vortheile zu ziehen.

Frau
J i 3



endlich niedrigern Gemuͤthsart, die ſie mir vor-
wirft, nicht ertragen ‒ ‒ Aber warum will ſie
ſich von mir reißen, wenn gute Entſchließungen
bey mir Platz nehmen? ‒ ‒ Sie will das Eiſen
nicht ſchmieden, wenn es heiß iſt! ‒ O warum
will ſie das weiche Wachs erſt hart werden
laſſen?

Wir waren nur einige Schritte nach dem
Hauſe zu gegangen, als uns die unverſchaͤmten
Weibsleute entgegen kamen, mit der Nachricht,
daß das Fruͤhſtuͤck bereit waͤre. Jch konnte
nichts mehr thun, als ſie mit aufgehabenen Haͤn-
den bitten, mir zu einer neuen Unterredung nach
dem Fruͤhſtuͤcke Hoffnung zu machen.

Nein: ſie wollte in die Kirche gehen.

So ging ſie in das Haus hinein und gerades
Weges die Treppen hinauf. Sie wollte mir
auch nicht einmal die Gefaͤlligkeit erweiſen, mir
bey dem Thee ihre Geſellſchaft zu goͤnnen.

Jch erklaͤrte mich gegen die Fr. Moore, lie-
ber von dem Tiſche und aus dem Saale ſelbſt weg-
zugehen, als daß ſich die Fraͤulein ausſchließen
oder die beyden Witwen ihrer Geſellſchaft berau-
ben ſollte.

Das waͤre die Sache eigentlich nicht, ſprach
die Fraͤulein zu der Frau Moore. Sie haͤtte mit
ſich zu ſtreiten gehabt, ihren Unwillen niederzu-
halten. Es haͤtte ſie einige Muͤhe gekoſtet. Sie
moͤchte ſich gern wieder faſſen, in Hoffnung, aus
dem Gottesdienſte, dem ſie beywohnen wollte, ge-
ſegnete Vortheile zu ziehen.

Frau
J i 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0507" n="501"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
endlich niedrigern Gemu&#x0364;thsart, die &#x017F;ie mir vor-<lb/>
wirft, nicht ertragen &#x2012; &#x2012; Aber warum will &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich von mir reißen, wenn gute Ent&#x017F;chließungen<lb/>
bey mir Platz nehmen? &#x2012; &#x2012; Sie will das Ei&#x017F;en<lb/>
nicht &#x017F;chmieden, wenn es heiß i&#x017F;t! &#x2012; O warum<lb/>
will &#x017F;ie das weiche Wachs er&#x017F;t hart werden<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en?</p><lb/>
          <p>Wir waren nur einige Schritte nach dem<lb/>
Hau&#x017F;e zu gegangen, als uns die unver&#x017F;cha&#x0364;mten<lb/>
Weibsleute entgegen kamen, mit der Nachricht,<lb/>
daß das Fru&#x0364;h&#x017F;tu&#x0364;ck bereit wa&#x0364;re. Jch konnte<lb/>
nichts mehr thun, als &#x017F;ie mit aufgehabenen Ha&#x0364;n-<lb/>
den bitten, mir zu einer neuen Unterredung nach<lb/>
dem Fru&#x0364;h&#x017F;tu&#x0364;cke Hoffnung zu machen.</p><lb/>
          <p>Nein: &#x017F;ie wollte in die Kirche gehen.</p><lb/>
          <p>So ging &#x017F;ie in das Haus hinein und gerades<lb/>
Weges die Treppen hinauf. Sie wollte mir<lb/>
auch nicht einmal die Gefa&#x0364;lligkeit erwei&#x017F;en, mir<lb/>
bey dem Thee ihre Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zu go&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>Jch erkla&#x0364;rte mich gegen die Fr. Moore, lie-<lb/>
ber von dem Ti&#x017F;che und aus dem Saale &#x017F;elb&#x017F;t weg-<lb/>
zugehen, als daß &#x017F;ich die Fra&#x0364;ulein aus&#x017F;chließen<lb/>
oder die beyden Witwen ihrer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft berau-<lb/>
ben &#x017F;ollte.</p><lb/>
          <p>Das wa&#x0364;re die Sache eigentlich nicht, &#x017F;prach<lb/>
die Fra&#x0364;ulein zu der Frau Moore. Sie ha&#x0364;tte mit<lb/>
&#x017F;ich zu &#x017F;treiten gehabt, ihren Unwillen niederzu-<lb/>
halten. Es ha&#x0364;tte &#x017F;ie einige Mu&#x0364;he geko&#x017F;tet. Sie<lb/>
mo&#x0364;chte &#x017F;ich gern wieder fa&#x017F;&#x017F;en, in Hoffnung, aus<lb/>
dem Gottesdien&#x017F;te, dem &#x017F;ie beywohnen wollte, ge-<lb/>
&#x017F;egnete Vortheile zu ziehen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">J i 3</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Frau</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[501/0507] endlich niedrigern Gemuͤthsart, die ſie mir vor- wirft, nicht ertragen ‒ ‒ Aber warum will ſie ſich von mir reißen, wenn gute Entſchließungen bey mir Platz nehmen? ‒ ‒ Sie will das Eiſen nicht ſchmieden, wenn es heiß iſt! ‒ O warum will ſie das weiche Wachs erſt hart werden laſſen? Wir waren nur einige Schritte nach dem Hauſe zu gegangen, als uns die unverſchaͤmten Weibsleute entgegen kamen, mit der Nachricht, daß das Fruͤhſtuͤck bereit waͤre. Jch konnte nichts mehr thun, als ſie mit aufgehabenen Haͤn- den bitten, mir zu einer neuen Unterredung nach dem Fruͤhſtuͤcke Hoffnung zu machen. Nein: ſie wollte in die Kirche gehen. So ging ſie in das Haus hinein und gerades Weges die Treppen hinauf. Sie wollte mir auch nicht einmal die Gefaͤlligkeit erweiſen, mir bey dem Thee ihre Geſellſchaft zu goͤnnen. Jch erklaͤrte mich gegen die Fr. Moore, lie- ber von dem Tiſche und aus dem Saale ſelbſt weg- zugehen, als daß ſich die Fraͤulein ausſchließen oder die beyden Witwen ihrer Geſellſchaft berau- ben ſollte. Das waͤre die Sache eigentlich nicht, ſprach die Fraͤulein zu der Frau Moore. Sie haͤtte mit ſich zu ſtreiten gehabt, ihren Unwillen niederzu- halten. Es haͤtte ſie einige Muͤhe gekoſtet. Sie moͤchte ſich gern wieder faſſen, in Hoffnung, aus dem Gottesdienſte, dem ſie beywohnen wollte, ge- ſegnete Vortheile zu ziehen. Frau J i 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/507
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/507>, abgerufen am 24.11.2024.