Mangel zu ersetzen gefunden habe. Allein ich sage noch einmal, daß bey ihnen das Wort ein leeres Wort, das Ding ein bloßer Name ist: ein Weber- schifflein mit einem Boden von Kork, das sie gern aus einem eingebildeten Vergnügen hin und her streichen, um sich einander bey dem frostigen Wet- ter des ledigen Standes zu erwärmen; aber das gar bald, wenn ein Mann zwischen die vermeynten unzertrennlichen Seelen kommt, eben so, wie ihre Musik und ihr anderer jungfräulicher Zeitvertreib, aufgegeben wird, und gleichwohl nöthig seyn mag, die artigen schelmischen Kinder unterdessen von Un- heil, dabey sie sich noch geschäfftiger beweisen könn- ten, abzuhalten. Kurz, alsdenn legen sie das Netz beyseite, weil sie den Fisch gefangen haben (*).
Du hast vielleicht Lust, eine Ausnahme für diese beyden Frauenzimmer zu machen. Von Her- zen gern. Wo irgend eine Weibsperson eine See- le hat, die zur Freundschaft aufgelegt ist: so hat sie meine Clarissa. Jhr Feuer ist leuchtend und bestän- dig. Aber bey der Fräulein Howe ist es zu heftig, daß es Bestand haben sollte: wenn es nicht durch die Widersetzung ihrer Mutter unterhalten würde. Wie oft habe ich erfahren, daß Widerstand nicht nur Freundschaft befestiget, sondern so gar Liebe gezeuget hat? Jch bin gewiß versichert, der arme Hickmann würde mit dieser ungestümen Fräulein
besser
(*) Er zielet hier auf die Geschichte eines Pabstes, der, weil er sonst ein armer Fischer gewesen war, bey allen Ehrenstellen, wozu er erhoben wurde, ja selbst bey der Cardinalswürde, sein Netz zum Zeichen seiner Niedrigkeit, seinen Gästen vor die Augen hängte. Als er aber auf den päbstlichen Stuhl kam: so nahm er es herunter, und sagte, daß er nun das Netz nicht mehr brauchte, weil er den Fisch gefangen hätte.
Mangel zu erſetzen gefunden habe. Allein ich ſage noch einmal, daß bey ihnen das Wort ein leeres Wort, das Ding ein bloßer Name iſt: ein Weber- ſchifflein mit einem Boden von Kork, das ſie gern aus einem eingebildeten Vergnuͤgen hin und her ſtreichen, um ſich einander bey dem froſtigen Wet- ter des ledigen Standes zu erwaͤrmen; aber das gar bald, wenn ein Mann zwiſchen die vermeynten unzertrennlichen Seelen kommt, eben ſo, wie ihre Muſik und ihr anderer jungfraͤulicher Zeitvertreib, aufgegeben wird, und gleichwohl noͤthig ſeyn mag, die artigen ſchelmiſchen Kinder unterdeſſen von Un- heil, dabey ſie ſich noch geſchaͤfftiger beweiſen koͤnn- ten, abzuhalten. Kurz, alsdenn legen ſie das Netz beyſeite, weil ſie den Fiſch gefangen haben (*).
Du haſt vielleicht Luſt, eine Ausnahme fuͤr dieſe beyden Frauenzimmer zu machen. Von Her- zen gern. Wo irgend eine Weibsperſon eine See- le hat, die zur Freundſchaft aufgelegt iſt: ſo hat ſie meine Clariſſa. Jhr Feuer iſt leuchtend und beſtaͤn- dig. Aber bey der Fraͤulein Howe iſt es zu heftig, daß es Beſtand haben ſollte: wenn es nicht durch die Widerſetzung ihrer Mutter unterhalten wuͤrde. Wie oft habe ich erfahren, daß Widerſtand nicht nur Freundſchaft befeſtiget, ſondern ſo gar Liebe gezeuget hat? Jch bin gewiß verſichert, der arme Hickmann wuͤrde mit dieſer ungeſtuͤmen Fraͤulein
beſſer
(*) Er zielet hier auf die Geſchichte eines Pabſtes, der, weil er ſonſt ein armer Fiſcher geweſen war, bey allen Ehrenſtellen, wozu er erhoben wurde, ja ſelbſt bey der Cardinalswuͤrde, ſein Netz zum Zeichen ſeiner Niedrigkeit, ſeinen Gaͤſten vor die Augen haͤngte. Als er aber auf den paͤbſtlichen Stuhl kam: ſo nahm er es herunter, und ſagte, daß er nun das Netz nicht mehr brauchte, weil er den Fiſch gefangen haͤtte.
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Mangel zu erſetzen gefunden habe. Allein ich ſage
noch einmal, daß bey ihnen das Wort ein leeres
Wort, das Ding ein bloßer Name iſt: ein Weber-
ſchifflein mit einem Boden von Kork, das ſie gern
aus einem eingebildeten Vergnuͤgen hin und her
ſtreichen, um ſich einander bey dem froſtigen Wet-
ter des ledigen Standes zu erwaͤrmen; aber das
gar bald, wenn ein Mann zwiſchen die vermeynten
unzertrennlichen Seelen kommt, eben ſo, wie ihre
Muſik und ihr anderer jungfraͤulicher Zeitvertreib,
aufgegeben wird, und gleichwohl noͤthig ſeyn mag,
die artigen ſchelmiſchen Kinder unterdeſſen von Un-
heil, dabey ſie ſich noch geſchaͤfftiger beweiſen koͤnn-
ten, abzuhalten. Kurz, alsdenn legen ſie das Netz
beyſeite, weil ſie den Fiſch gefangen haben (*).
Du haſt vielleicht Luſt, eine Ausnahme fuͤr
dieſe beyden Frauenzimmer zu machen. Von Her-
zen gern. Wo irgend eine Weibsperſon eine See-
le hat, die zur Freundſchaft aufgelegt iſt: ſo hat ſie
meine Clariſſa. Jhr Feuer iſt leuchtend und beſtaͤn-
dig. Aber bey der Fraͤulein Howe iſt es zu heftig, daß
es Beſtand haben ſollte: wenn es nicht durch die
Widerſetzung ihrer Mutter unterhalten wuͤrde.
Wie oft habe ich erfahren, daß Widerſtand nicht
nur Freundſchaft befeſtiget, ſondern ſo gar Liebe
gezeuget hat? Jch bin gewiß verſichert, der arme
Hickmann wuͤrde mit dieſer ungeſtuͤmen Fraͤulein
beſſer
(*) Er zielet hier auf die Geſchichte eines Pabſtes,
der, weil er ſonſt ein armer Fiſcher geweſen war,
bey allen Ehrenſtellen, wozu er erhoben wurde,
ja ſelbſt bey der Cardinalswuͤrde, ſein Netz zum
Zeichen ſeiner Niedrigkeit, ſeinen Gaͤſten vor die
Augen haͤngte. Als er aber auf den paͤbſtlichen Stuhl
kam: ſo nahm er es herunter, und ſagte, daß er
nun das Netz nicht mehr brauchte, weil er den
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/538>, abgerufen am 24.11.2024.
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