tergesinneten Freundinn auf Unterricht wartete und Vorwurf besorgte (*) Und gleichwohl war es eben so leicht an der Aufrichtigkeit und dem liebreichen Bezeigen der andern wahrzunehmen, daß die Furcht, welche die Fräulein Howe vor ihr hatte, mehr von ihrer eignen und edelmüthigen Beysorge, bey wei- ten nicht die trefflichen Vorzüge derselben zu errei- chen, als von der Fräulein Harlowe eignem Be- wußtseyn ihrer ausnehmenden Vorzüge vor jener herrührete.
Jch habe oft, seit dem mir die Briefe der Fräu- lein Howe in die Hände gekommen sind, das gegrün- dete und schöne Lob überleget, welches in einem derselben enthalten ist (**). "Jedermann sahe, daß "sie nicht stolz darüber würden, wenn man sich ih- "nen selbst nachsetzte, noch sich merken ließen, daß sie "sich kenneten. Denn sie hatten allezeit bey dem, "was sie behaupteten, etwas zu sagen, das selbst die- "jenigen aufrichtete, welche nachgeben mußten, und "alle mit sich selbst vergnügt und zufrieden machte, ob "sie gleich den Preis nicht davon trugen."
Weil ich mir vorgenommen habe, in dem Fort- gange meines Lebens alle Mühe anzuwenden, daß ich die Jugendfreyheiten, welche ich mir bey einzel- nen Personen von dem schönen Geschlechte genom- men habe, durch Warnungen und Lehren für sie alle überhaupt, wieder gut mache; so habe ich mir etwas zu einem Denkzeichen aufgeschrieben, diese
Lehre
(*) Fräulein Howe schreibt in dem III. Th. S. 182. daß sie sich allezeit mehr vor ihr, als vor ihrer Mutter gefürchtet habe, und S. 334. daß sie sich eben so sehr vor ihr fürchtete, als sie dieselbe liebe. So bestätigt sie auch in vielen andern Stellen ihrer Briefe an die Fräulein Harlowe eben diese Anmerkung des Herrn Lovelace.
(**) Siehe den IV. Th. S. 34.
tergeſinneten Freundinn auf Unterricht wartete und Vorwurf beſorgte (*) Und gleichwohl war es eben ſo leicht an der Aufrichtigkeit und dem liebreichen Bezeigen der andern wahrzunehmen, daß die Furcht, welche die Fraͤulein Howe vor ihr hatte, mehr von ihrer eignen und edelmuͤthigen Beyſorge, bey wei- ten nicht die trefflichen Vorzuͤge derſelben zu errei- chen, als von der Fraͤulein Harlowe eignem Be- wußtſeyn ihrer ausnehmenden Vorzuͤge vor jener herruͤhrete.
Jch habe oft, ſeit dem mir die Briefe der Fraͤu- lein Howe in die Haͤnde gekommen ſind, das gegruͤn- dete und ſchoͤne Lob uͤberleget, welches in einem derſelben enthalten iſt (**). „Jedermann ſahe, daß „ſie nicht ſtolz daruͤber wuͤrden, wenn man ſich ih- „nen ſelbſt nachſetzte, noch ſich merken ließen, daß ſie „ſich kenneten. Denn ſie hatten allezeit bey dem, „was ſie behaupteten, etwas zu ſagen, das ſelbſt die- „jenigen aufrichtete, welche nachgeben mußten, und „alle mit ſich ſelbſt vergnuͤgt und zufrieden machte, ob „ſie gleich den Preis nicht davon trugen.„
Weil ich mir vorgenommen habe, in dem Fort- gange meines Lebens alle Muͤhe anzuwenden, daß ich die Jugendfreyheiten, welche ich mir bey einzel- nen Perſonen von dem ſchoͤnen Geſchlechte genom- men habe, durch Warnungen und Lehren fuͤr ſie alle uͤberhaupt, wieder gut mache; ſo habe ich mir etwas zu einem Denkzeichen aufgeſchrieben, dieſe
Lehre
(*) Fraͤulein Howe ſchreibt in dem III. Th. S. 182. daß ſie ſich allezeit mehr vor ihr, als vor ihrer Mutter gefuͤrchtet habe, und S. 334. daß ſie ſich eben ſo ſehr vor ihr fuͤrchtete, als ſie dieſelbe liebe. So beſtaͤtigt ſie auch in vielen andern Stellen ihrer Briefe an die Fraͤulein Harlowe eben dieſe Anmerkung des Herrn Lovelace.
(**) Siehe den IV. Th. S. 34.
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tergeſinneten Freundinn auf Unterricht wartete und
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ſo leicht an der Aufrichtigkeit und dem liebreichen
Bezeigen der andern wahrzunehmen, daß die Furcht,
welche die Fraͤulein Howe vor ihr hatte, mehr von
ihrer eignen und edelmuͤthigen Beyſorge, bey wei-
ten nicht die trefflichen Vorzuͤge derſelben zu errei-
chen, als von der Fraͤulein Harlowe eignem Be-
wußtſeyn ihrer ausnehmenden Vorzuͤge vor jener
herruͤhrete.
Jch habe oft, ſeit dem mir die Briefe der Fraͤu-
lein Howe in die Haͤnde gekommen ſind, das gegruͤn-
dete und ſchoͤne Lob uͤberleget, welches in einem
derſelben enthalten iſt (**). „Jedermann ſahe, daß
„ſie nicht ſtolz daruͤber wuͤrden, wenn man ſich ih-
„nen ſelbſt nachſetzte, noch ſich merken ließen, daß ſie
„ſich kenneten. Denn ſie hatten allezeit bey dem,
„was ſie behaupteten, etwas zu ſagen, das ſelbſt die-
„jenigen aufrichtete, welche nachgeben mußten, und
„alle mit ſich ſelbſt vergnuͤgt und zufrieden machte, ob
„ſie gleich den Preis nicht davon trugen.„
Weil ich mir vorgenommen habe, in dem Fort-
gange meines Lebens alle Muͤhe anzuwenden, daß
ich die Jugendfreyheiten, welche ich mir bey einzel-
nen Perſonen von dem ſchoͤnen Geſchlechte genom-
men habe, durch Warnungen und Lehren fuͤr ſie
alle uͤberhaupt, wieder gut mache; ſo habe ich mir
etwas zu einem Denkzeichen aufgeſchrieben, dieſe
Lehre
(*) Fraͤulein Howe ſchreibt in dem III. Th. S. 182.
daß ſie ſich allezeit mehr vor ihr, als vor ihrer
Mutter gefuͤrchtet habe, und S. 334. daß ſie ſich
eben ſo ſehr vor ihr fuͤrchtete, als ſie dieſelbe
liebe. So beſtaͤtigt ſie auch in vielen andern
Stellen ihrer Briefe an die Fraͤulein Harlowe eben
dieſe Anmerkung des Herrn Lovelace.
(**) Siehe den IV. Th. S. 34.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 536. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/542>, abgerufen am 24.11.2024.
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