Mir war bange, ihre Krankheit möchte sie wiederum überfallen. Weil Bitten und Flehen sie aber nur noch immer heftiger machte: so nahm ich ein zorniges Wesen an. - - Jch gab ihr zu verstehen, daß sie das ärgste erwarten möchte, was sie zu fürchten hätte. Jch setzte meine Drohungen fort, in Hoffnung, ihr Furcht einzu- jagen: als sie zu meinen Füßen nieder fiel.
Es wird ein Werk der Barmherzigkeit seyn, waren ihre Worte, ein Werk der größten Barm- herzigkeit, die sie mir erweisen können: wenn sie mich hier auf der Stelle tödten - - auf dieser glücklichen Stelle, so will ich sie in meinen letzten Augenblicken nennen - - Und darauf entblößte sie mit noch mehr verrückter Heftigkeit ein Theil von ihrem entzückendschönen Halse - - Hier, hier, sprach die quälendrührende Schöne, hier lasse aus Barmherzigkeit die Spitze eindrin- gen! So will ich dir Dank sagen und alles ver- gangene, so schrecklich es ist, vergeben! - - Mit meinem letzten Othem will ich dir vergeben und dir danken! - - Oder hilf mir nur zu den Mit- teln: so will ich mich selbst, eine so elende Crea- tur, dir aus dem Wege räumen, und dir für diese gegebne Mittel Glück und Segen wün- schen.
Was sollen alle diese heftige Bewegungen? Was alle diese Ausrufungen? Habe ich ihnen denn irgend etwas von neuem zu leide gethan, mein liebstes Leben? Wie sind sie außer sich! Bin ich nicht bereit, alles mit ihnen wieder gut
zu
Mir war bange, ihre Krankheit moͤchte ſie wiederum uͤberfallen. Weil Bitten und Flehen ſie aber nur noch immer heftiger machte: ſo nahm ich ein zorniges Weſen an. ‒ ‒ Jch gab ihr zu verſtehen, daß ſie das aͤrgſte erwarten moͤchte, was ſie zu fuͤrchten haͤtte. Jch ſetzte meine Drohungen fort, in Hoffnung, ihr Furcht einzu- jagen: als ſie zu meinen Fuͤßen nieder fiel.
Es wird ein Werk der Barmherzigkeit ſeyn, waren ihre Worte, ein Werk der groͤßten Barm- herzigkeit, die ſie mir erweiſen koͤnnen: wenn ſie mich hier auf der Stelle toͤdten ‒ ‒ auf dieſer gluͤcklichen Stelle, ſo will ich ſie in meinen letzten Augenblicken nennen ‒ ‒ Und darauf entbloͤßte ſie mit noch mehr verruͤckter Heftigkeit ein Theil von ihrem entzuͤckendſchoͤnen Halſe ‒ ‒ Hier, hier, ſprach die quaͤlendruͤhrende Schoͤne, hier laſſe aus Barmherzigkeit die Spitze eindrin- gen! So will ich dir Dank ſagen und alles ver- gangene, ſo ſchrecklich es iſt, vergeben! ‒ ‒ Mit meinem letzten Othem will ich dir vergeben und dir danken! ‒ ‒ Oder hilf mir nur zu den Mit- teln: ſo will ich mich ſelbſt, eine ſo elende Crea- tur, dir aus dem Wege raͤumen, und dir fuͤr dieſe gegebne Mittel Gluͤck und Segen wuͤn- ſchen.
Was ſollen alle dieſe heftige Bewegungen? Was alle dieſe Ausrufungen? Habe ich ihnen denn irgend etwas von neuem zu leide gethan, mein liebſtes Leben? Wie ſind ſie außer ſich! Bin ich nicht bereit, alles mit ihnen wieder gut
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Mir war bange, ihre Krankheit moͤchte ſie
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ich ein zorniges Weſen an. ‒ ‒ Jch gab ihr zu
verſtehen, daß ſie das aͤrgſte erwarten moͤchte,
was ſie zu fuͤrchten haͤtte. Jch ſetzte meine
Drohungen fort, in Hoffnung, ihr Furcht einzu-
jagen: als ſie zu meinen Fuͤßen nieder fiel.
Es wird ein Werk der Barmherzigkeit ſeyn,
waren ihre Worte, ein Werk der groͤßten Barm-
herzigkeit, die ſie mir erweiſen koͤnnen: wenn ſie
mich hier auf der Stelle toͤdten ‒ ‒ auf dieſer
gluͤcklichen Stelle, ſo will ich ſie in meinen letzten
Augenblicken nennen ‒ ‒ Und darauf entbloͤßte
ſie mit noch mehr verruͤckter Heftigkeit ein Theil
von ihrem entzuͤckendſchoͤnen Halſe ‒ ‒ Hier,
hier, ſprach die quaͤlendruͤhrende Schoͤne, hier
laſſe aus Barmherzigkeit die Spitze eindrin-
gen! So will ich dir Dank ſagen und alles ver-
gangene, ſo ſchrecklich es iſt, vergeben! ‒ ‒ Mit
meinem letzten Othem will ich dir vergeben und
dir danken! ‒ ‒ Oder hilf mir nur zu den Mit-
teln: ſo will ich mich ſelbſt, eine ſo elende Crea-
tur, dir aus dem Wege raͤumen, und dir fuͤr
dieſe gegebne Mittel Gluͤck und Segen wuͤn-
ſchen.
Was ſollen alle dieſe heftige Bewegungen?
Was alle dieſe Ausrufungen? Habe ich ihnen
denn irgend etwas von neuem zu leide gethan,
mein liebſtes Leben? Wie ſind ſie außer ſich!
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 694. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/700>, abgerufen am 24.11.2024.
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