schaffenheit, zu einer Weibsperson erniedriget findet? - - Jedoch ich muß auf meinen Traum kommen.
Es kam mir vor, als wenn es Mittwochens frühe um neune war, da eine Kutsche mit dem Wagen einer adlichen Witwe auf den Schlägen, und in derselben ein ansehnliches ehrbares Frau- enzimmer; das dem Gesichte nach der Mutter H. nicht unähnlich war, aber o! wie unähnlich, nach dem Herzen! vor eines Gewürzhändlers Laden, etwa zehn Häuser von hier an der andern Seite der Gasse, stille hielte, um einige Gewürz- waaren einzukaufen. Dorcas, die ausgegangen war, und sehen wollte, ob ihre Fräulein einen freyen Weg zur Flucht hatte, und ob in der Nä- he eine Kutsche zu haben wäre, schien mir diese Kutsche mit dem Wapen der adlichen Witwe, und die ehrbare Frau in derselben, aufzuspüren. Was that Dorcas, diese listige Verrätherinn! Mich deuchte, sie sprang hinauf zu der alten ehr- baren Frau, und sagte mit erhabner Stimme: Erlauben sie mir, gnädige Frau, ein Wort mit ihrer Gnaden zu reden.
Sage, was du mir zu sagen hast, sprach die Alte. Der Gewürzhändler ging inzwischen auf die Seite, und blieb in der Ferne stehen, damit Dorcas frey vor ihm reden könnte. Diese brach- te ihr Wort ohngefähr auf folgende Art an.
"Sie scheinen mir von sehr gutem Gemüthe "zu seyn, gnädige Frau: und hier in der Nach- "barschaft, in einem Hause von nicht gar zu gutem
"Rufe,
ſchaffenheit, zu einer Weibsperſon erniedriget findet? ‒ ‒ Jedoch ich muß auf meinen Traum kommen.
Es kam mir vor, als wenn es Mittwochens fruͤhe um neune war, da eine Kutſche mit dem Wagen einer adlichen Witwe auf den Schlaͤgen, und in derſelben ein anſehnliches ehrbares Frau- enzimmer; das dem Geſichte nach der Mutter H. nicht unaͤhnlich war, aber o! wie unaͤhnlich, nach dem Herzen! vor eines Gewuͤrzhaͤndlers Laden, etwa zehn Haͤuſer von hier an der andern Seite der Gaſſe, ſtille hielte, um einige Gewuͤrz- waaren einzukaufen. Dorcas, die ausgegangen war, und ſehen wollte, ob ihre Fraͤulein einen freyen Weg zur Flucht hatte, und ob in der Naͤ- he eine Kutſche zu haben waͤre, ſchien mir dieſe Kutſche mit dem Wapen der adlichen Witwe, und die ehrbare Frau in derſelben, aufzuſpuͤren. Was that Dorcas, dieſe liſtige Verraͤtherinn! Mich deuchte, ſie ſprang hinauf zu der alten ehr- baren Frau, und ſagte mit erhabner Stimme: Erlauben ſie mir, gnaͤdige Frau, ein Wort mit ihrer Gnaden zu reden.
Sage, was du mir zu ſagen haſt, ſprach die Alte. Der Gewuͤrzhaͤndler ging inzwiſchen auf die Seite, und blieb in der Ferne ſtehen, damit Dorcas frey vor ihm reden koͤnnte. Dieſe brach- te ihr Wort ohngefaͤhr auf folgende Art an.
„Sie ſcheinen mir von ſehr gutem Gemuͤthe „zu ſeyn, gnaͤdige Frau: und hier in der Nach- „barſchaft, in einem Hauſe von nicht gar zu gutem
„Rufe,
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ſchaffenheit, zu einer Weibsperſon erniedriget
findet? ‒ ‒ Jedoch ich muß auf meinen Traum
kommen.
Es kam mir vor, als wenn es Mittwochens
fruͤhe um neune war, da eine Kutſche mit dem
Wagen einer adlichen Witwe auf den Schlaͤgen,
und in derſelben ein anſehnliches ehrbares Frau-
enzimmer; das dem Geſichte nach der Mutter
H. nicht unaͤhnlich war, aber o! wie unaͤhnlich,
nach dem Herzen! vor eines Gewuͤrzhaͤndlers
Laden, etwa zehn Haͤuſer von hier an der andern
Seite der Gaſſe, ſtille hielte, um einige Gewuͤrz-
waaren einzukaufen. Dorcas, die ausgegangen
war, und ſehen wollte, ob ihre Fraͤulein einen
freyen Weg zur Flucht hatte, und ob in der Naͤ-
he eine Kutſche zu haben waͤre, ſchien mir dieſe
Kutſche mit dem Wapen der adlichen Witwe,
und die ehrbare Frau in derſelben, aufzuſpuͤren.
Was that Dorcas, dieſe liſtige Verraͤtherinn!
Mich deuchte, ſie ſprang hinauf zu der alten ehr-
baren Frau, und ſagte mit erhabner Stimme:
Erlauben ſie mir, gnaͤdige Frau, ein Wort mit
ihrer Gnaden zu reden.
Sage, was du mir zu ſagen haſt, ſprach die
Alte. Der Gewuͤrzhaͤndler ging inzwiſchen auf
die Seite, und blieb in der Ferne ſtehen, damit
Dorcas frey vor ihm reden koͤnnte. Dieſe brach-
te ihr Wort ohngefaͤhr auf folgende Art an.
„Sie ſcheinen mir von ſehr gutem Gemuͤthe
„zu ſeyn, gnaͤdige Frau: und hier in der Nach-
„barſchaft, in einem Hauſe von nicht gar zu gutem
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 718. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/724>, abgerufen am 24.11.2024.
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