Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



sen, das sie mir gethan haben. Jch will mich
nur in einen dunkeln Winkel stecken, daß ich mich
vor ihnen und vor allen, die mich sonst liebeten,
verberge. Das Verlangen, welches mir einstens
so sehr am Herzen lag, nach einer Aussöhnung
mit meinen Freunden, hat gar viel nachgelassen.
Sie sollen mich itzo nicht aufnehmen: wenn sie
auch wollten. Da ich in meinen eignen Augen
gesunken bin: so halte ich mich nun selbst ihrer
Gunst unwürdig. Daher beschwöre ich sie, Hr.
Lovelace, in der Angst meiner Seelen; die Thrä-
nen stunden ihr in den Augen; mich meinem
Schicksal zu überlassen. Wenn sie das thun:
so werden sie mir ein Vergnügen machen; das
größte, welches ich nur empfinden kann.

Wohin, mein liebstes Leben - -

Es kommt nicht darauf an, wohin. Jch will
der Fürsehung überlassen, wenn ich aus diesem
Hause bin, meine Schritte ferner zu leiten. Mein
verlassener Zustand ist mir empfindlich genug.
Jch weiß, daß ich keinen Freund in der Welt
habe. Selbst die Fräulein Howe hat mich auf-
gegeben - - oder sie sind - - Doch ich wollte
nicht gern heftig werden! - - Jhrentwegen ha-
be ich sie alle verlohren - - und sie selbst sind ein
grausamer Feind gegen mich gewesen. Sie
wissen es mehr als zu wohl.

Sie ruhete aus.

Jch konnte nichts sprechen.

Alle Uebel, die ich gelitten habe; fuhr sie
fort, indem sie sich von mir wandte; ob sie gleich

uner-



ſen, das ſie mir gethan haben. Jch will mich
nur in einen dunkeln Winkel ſtecken, daß ich mich
vor ihnen und vor allen, die mich ſonſt liebeten,
verberge. Das Verlangen, welches mir einſtens
ſo ſehr am Herzen lag, nach einer Ausſoͤhnung
mit meinen Freunden, hat gar viel nachgelaſſen.
Sie ſollen mich itzo nicht aufnehmen: wenn ſie
auch wollten. Da ich in meinen eignen Augen
geſunken bin: ſo halte ich mich nun ſelbſt ihrer
Gunſt unwuͤrdig. Daher beſchwoͤre ich ſie, Hr.
Lovelace, in der Angſt meiner Seelen; die Thraͤ-
nen ſtunden ihr in den Augen; mich meinem
Schickſal zu uͤberlaſſen. Wenn ſie das thun:
ſo werden ſie mir ein Vergnuͤgen machen; das
groͤßte, welches ich nur empfinden kann.

Wohin, mein liebſtes Leben ‒ ‒

Es kommt nicht darauf an, wohin. Jch will
der Fuͤrſehung uͤberlaſſen, wenn ich aus dieſem
Hauſe bin, meine Schritte ferner zu leiten. Mein
verlaſſener Zuſtand iſt mir empfindlich genug.
Jch weiß, daß ich keinen Freund in der Welt
habe. Selbſt die Fraͤulein Howe hat mich auf-
gegeben ‒ ‒ oder ſie ſind ‒ ‒ Doch ich wollte
nicht gern heftig werden! ‒ ‒ Jhrentwegen ha-
be ich ſie alle verlohren ‒ ‒ und ſie ſelbſt ſind ein
grauſamer Feind gegen mich geweſen. Sie
wiſſen es mehr als zu wohl.

Sie ruhete aus.

Jch konnte nichts ſprechen.

Alle Uebel, die ich gelitten habe; fuhr ſie
fort, indem ſie ſich von mir wandte; ob ſie gleich

uner-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0764" n="758"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;en, das &#x017F;ie mir gethan haben. Jch will mich<lb/>
nur in einen dunkeln Winkel &#x017F;tecken, daß ich mich<lb/>
vor ihnen und vor allen, die mich &#x017F;on&#x017F;t liebeten,<lb/>
verberge. Das Verlangen, welches mir ein&#x017F;tens<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ehr am Herzen lag, nach einer Aus&#x017F;o&#x0364;hnung<lb/>
mit meinen Freunden, hat gar viel nachgela&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Sie &#x017F;ollen mich <hi rendition="#fr">itzo</hi> nicht aufnehmen: wenn &#x017F;ie<lb/>
auch <hi rendition="#fr">wollten.</hi> Da ich in meinen eignen Augen<lb/>
ge&#x017F;unken bin: &#x017F;o halte ich mich nun &#x017F;elb&#x017F;t ihrer<lb/>
Gun&#x017F;t unwu&#x0364;rdig. Daher be&#x017F;chwo&#x0364;re ich &#x017F;ie, Hr.<lb/>
Lovelace, in der Ang&#x017F;t meiner Seelen; die Thra&#x0364;-<lb/>
nen &#x017F;tunden ihr in den Augen; mich meinem<lb/>
Schick&#x017F;al zu u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en. Wenn &#x017F;ie das thun:<lb/>
&#x017F;o werden &#x017F;ie mir ein Vergnu&#x0364;gen machen; das<lb/>
gro&#x0364;ßte, welches ich nur empfinden kann.</p><lb/>
          <p>Wohin, mein lieb&#x017F;tes Leben &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p>Es kommt nicht darauf an, wohin. Jch will<lb/>
der Fu&#x0364;r&#x017F;ehung u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en, wenn ich aus die&#x017F;em<lb/>
Hau&#x017F;e bin, meine Schritte ferner zu leiten. Mein<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;ener Zu&#x017F;tand i&#x017F;t mir empfindlich genug.<lb/>
Jch weiß, daß ich keinen Freund in der Welt<lb/>
habe. Selb&#x017F;t die Fra&#x0364;ulein Howe hat mich auf-<lb/>
gegeben &#x2012; &#x2012; oder &#x017F;ie &#x017F;ind &#x2012; &#x2012; Doch ich wollte<lb/>
nicht gern heftig werden! &#x2012; &#x2012; Jhrentwegen ha-<lb/>
be ich &#x017F;ie alle verlohren &#x2012; &#x2012; und &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ind ein<lb/>
grau&#x017F;amer Feind gegen mich gewe&#x017F;en. Sie<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en es mehr als zu wohl.</p><lb/>
          <p>Sie ruhete aus.</p><lb/>
          <p>Jch konnte nichts &#x017F;prechen.</p><lb/>
          <p>Alle Uebel, die ich gelitten habe; fuhr &#x017F;ie<lb/>
fort, indem &#x017F;ie &#x017F;ich von mir wandte; ob &#x017F;ie gleich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">uner-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[758/0764] ſen, das ſie mir gethan haben. Jch will mich nur in einen dunkeln Winkel ſtecken, daß ich mich vor ihnen und vor allen, die mich ſonſt liebeten, verberge. Das Verlangen, welches mir einſtens ſo ſehr am Herzen lag, nach einer Ausſoͤhnung mit meinen Freunden, hat gar viel nachgelaſſen. Sie ſollen mich itzo nicht aufnehmen: wenn ſie auch wollten. Da ich in meinen eignen Augen geſunken bin: ſo halte ich mich nun ſelbſt ihrer Gunſt unwuͤrdig. Daher beſchwoͤre ich ſie, Hr. Lovelace, in der Angſt meiner Seelen; die Thraͤ- nen ſtunden ihr in den Augen; mich meinem Schickſal zu uͤberlaſſen. Wenn ſie das thun: ſo werden ſie mir ein Vergnuͤgen machen; das groͤßte, welches ich nur empfinden kann. Wohin, mein liebſtes Leben ‒ ‒ Es kommt nicht darauf an, wohin. Jch will der Fuͤrſehung uͤberlaſſen, wenn ich aus dieſem Hauſe bin, meine Schritte ferner zu leiten. Mein verlaſſener Zuſtand iſt mir empfindlich genug. Jch weiß, daß ich keinen Freund in der Welt habe. Selbſt die Fraͤulein Howe hat mich auf- gegeben ‒ ‒ oder ſie ſind ‒ ‒ Doch ich wollte nicht gern heftig werden! ‒ ‒ Jhrentwegen ha- be ich ſie alle verlohren ‒ ‒ und ſie ſelbſt ſind ein grauſamer Feind gegen mich geweſen. Sie wiſſen es mehr als zu wohl. Sie ruhete aus. Jch konnte nichts ſprechen. Alle Uebel, die ich gelitten habe; fuhr ſie fort, indem ſie ſich von mir wandte; ob ſie gleich uner-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/764
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 758. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/764>, abgerufen am 22.06.2024.