Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



Laß mich hier sterben! Laß mich hier sterben!
waren ihre Worte: und so blieb sie ohne Gelenke
und Bewegung liegen, bis Sarah und Fr. Sin-
clair herein eileten.

Man sahe ihr augenscheinlich an, daß sie bey
dem Anblick des alten Unthiers in Schrecken ge-
rieth. Jch war inzwischen von Herzen gerühret
und berief mich auf jene. Zeugen sie, Fr. Sin-
clair! - - Zeugen sie, Jungfer Martin! - -
Jungfer Horton! - - Ein jeder zeuge, daß ich
dieser Geliebten keine Gewalt zu thun suche!

Hierauf lernte sie ihre Füße wieder gebrau-
chen - - O Haus, sprach sie, und sahe gegen das
Fenster und auf alles um sich herum, o Haus,
das tückischerweise recht eigentlich zu meinem Ver-
derben ausgesuchet ist! - - Aber lassen sie mir
das Weib nicht vor Augen kommen - - Auch
diese Jungfer Horton nicht, die sich nicht unter-
nommen haben würde, mir hinderlich zu seyn,
wenn sie nicht eine schändlich niederträchtige Per-
son wäre.

Ey, mein Herr! Ey Madame! schrie die
alte Creatur, mit den Händen in der Seite, und
warf den einen Fuß, so weit es die Röcke litten
- - Was für Getümmel ist hier um nichts und
wieder nichts! - - Dergleichen Wesen habe ich
in meinem Leben niemals gesehen, zwischen einem
Schäfchen von Cavallier und einem Tiger von
Frauenzimmer! - -

Die Fräulein ward augenscheinlich in Schre-
cken gesetzet, und eilte die Treppen hinauf. Ein

böses



Laß mich hier ſterben! Laß mich hier ſterben!
waren ihre Worte: und ſo blieb ſie ohne Gelenke
und Bewegung liegen, bis Sarah und Fr. Sin-
clair herein eileten.

Man ſahe ihr augenſcheinlich an, daß ſie bey
dem Anblick des alten Unthiers in Schrecken ge-
rieth. Jch war inzwiſchen von Herzen geruͤhret
und berief mich auf jene. Zeugen ſie, Fr. Sin-
clair! ‒ ‒ Zeugen ſie, Jungfer Martin! ‒ ‒
Jungfer Horton! ‒ ‒ Ein jeder zeuge, daß ich
dieſer Geliebten keine Gewalt zu thun ſuche!

Hierauf lernte ſie ihre Fuͤße wieder gebrau-
chen ‒ ‒ O Haus, ſprach ſie, und ſahe gegen das
Fenſter und auf alles um ſich herum, o Haus,
das tuͤckiſcherweiſe recht eigentlich zu meinem Ver-
derben ausgeſuchet iſt! ‒ ‒ Aber laſſen ſie mir
das Weib nicht vor Augen kommen ‒ ‒ Auch
dieſe Jungfer Horton nicht, die ſich nicht unter-
nommen haben wuͤrde, mir hinderlich zu ſeyn,
wenn ſie nicht eine ſchaͤndlich niedertraͤchtige Per-
ſon waͤre.

Ey, mein Herr! Ey Madame! ſchrie die
alte Creatur, mit den Haͤnden in der Seite, und
warf den einen Fuß, ſo weit es die Roͤcke litten
‒ ‒ Was fuͤr Getuͤmmel iſt hier um nichts und
wieder nichts! ‒ ‒ Dergleichen Weſen habe ich
in meinem Leben niemals geſehen, zwiſchen einem
Schaͤfchen von Cavallier und einem Tiger von
Frauenzimmer! ‒ ‒

Die Fraͤulein ward augenſcheinlich in Schre-
cken geſetzet, und eilte die Treppen hinauf. Ein

boͤſes
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0771" n="765"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Laß mich hier &#x017F;terben! Laß mich hier &#x017F;terben!<lb/>
waren ihre Worte: und &#x017F;o blieb &#x017F;ie ohne Gelenke<lb/>
und Bewegung liegen, bis Sarah und Fr. Sin-<lb/>
clair herein eileten.</p><lb/>
          <p>Man &#x017F;ahe ihr augen&#x017F;cheinlich an, daß &#x017F;ie bey<lb/>
dem Anblick des alten Unthiers in Schrecken ge-<lb/>
rieth. Jch war inzwi&#x017F;chen von Herzen geru&#x0364;hret<lb/>
und berief mich auf jene. Zeugen &#x017F;ie, Fr. Sin-<lb/>
clair! &#x2012; &#x2012; Zeugen &#x017F;ie, Jungfer Martin! &#x2012; &#x2012;<lb/>
Jungfer Horton! &#x2012; &#x2012; Ein jeder zeuge, daß ich<lb/>
die&#x017F;er Geliebten keine Gewalt zu thun &#x017F;uche!</p><lb/>
          <p>Hierauf lernte &#x017F;ie ihre Fu&#x0364;ße wieder gebrau-<lb/>
chen &#x2012; &#x2012; O Haus, &#x017F;prach &#x017F;ie, und &#x017F;ahe gegen das<lb/>
Fen&#x017F;ter und auf alles um &#x017F;ich herum, o Haus,<lb/>
das tu&#x0364;cki&#x017F;cherwei&#x017F;e recht eigentlich zu meinem Ver-<lb/>
derben ausge&#x017F;uchet i&#x017F;t! &#x2012; &#x2012; Aber la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie mir<lb/>
das Weib nicht vor Augen kommen &#x2012; &#x2012; Auch<lb/>
die&#x017F;e Jungfer Horton nicht, die &#x017F;ich nicht unter-<lb/>
nommen haben wu&#x0364;rde, mir hinderlich zu &#x017F;eyn,<lb/>
wenn &#x017F;ie nicht eine &#x017F;cha&#x0364;ndlich niedertra&#x0364;chtige Per-<lb/>
&#x017F;on wa&#x0364;re.</p><lb/>
          <p>Ey, mein Herr! Ey Madame! &#x017F;chrie die<lb/>
alte Creatur, mit den Ha&#x0364;nden in der Seite, und<lb/>
warf den einen Fuß, &#x017F;o weit es die Ro&#x0364;cke litten<lb/>
&#x2012; &#x2012; Was fu&#x0364;r Getu&#x0364;mmel i&#x017F;t hier um nichts und<lb/>
wieder nichts! &#x2012; &#x2012; Dergleichen We&#x017F;en habe ich<lb/>
in meinem Leben niemals ge&#x017F;ehen, zwi&#x017F;chen einem<lb/>
Scha&#x0364;fchen von Cavallier und einem Tiger von<lb/>
Frauenzimmer! &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p>Die Fra&#x0364;ulein ward augen&#x017F;cheinlich in Schre-<lb/>
cken ge&#x017F;etzet, und eilte die Treppen hinauf. Ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">bo&#x0364;&#x017F;es</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[765/0771] Laß mich hier ſterben! Laß mich hier ſterben! waren ihre Worte: und ſo blieb ſie ohne Gelenke und Bewegung liegen, bis Sarah und Fr. Sin- clair herein eileten. Man ſahe ihr augenſcheinlich an, daß ſie bey dem Anblick des alten Unthiers in Schrecken ge- rieth. Jch war inzwiſchen von Herzen geruͤhret und berief mich auf jene. Zeugen ſie, Fr. Sin- clair! ‒ ‒ Zeugen ſie, Jungfer Martin! ‒ ‒ Jungfer Horton! ‒ ‒ Ein jeder zeuge, daß ich dieſer Geliebten keine Gewalt zu thun ſuche! Hierauf lernte ſie ihre Fuͤße wieder gebrau- chen ‒ ‒ O Haus, ſprach ſie, und ſahe gegen das Fenſter und auf alles um ſich herum, o Haus, das tuͤckiſcherweiſe recht eigentlich zu meinem Ver- derben ausgeſuchet iſt! ‒ ‒ Aber laſſen ſie mir das Weib nicht vor Augen kommen ‒ ‒ Auch dieſe Jungfer Horton nicht, die ſich nicht unter- nommen haben wuͤrde, mir hinderlich zu ſeyn, wenn ſie nicht eine ſchaͤndlich niedertraͤchtige Per- ſon waͤre. Ey, mein Herr! Ey Madame! ſchrie die alte Creatur, mit den Haͤnden in der Seite, und warf den einen Fuß, ſo weit es die Roͤcke litten ‒ ‒ Was fuͤr Getuͤmmel iſt hier um nichts und wieder nichts! ‒ ‒ Dergleichen Weſen habe ich in meinem Leben niemals geſehen, zwiſchen einem Schaͤfchen von Cavallier und einem Tiger von Frauenzimmer! ‒ ‒ Die Fraͤulein ward augenſcheinlich in Schre- cken geſetzet, und eilte die Treppen hinauf. Ein boͤſes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/771
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 765. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/771>, abgerufen am 15.06.2024.