sie hätte sich niemals einen andern Begriff von einer tadelhaften Liebe machen können, als daß sich dieselbe auf eine solche Art, wie die meinige zu thun suchte, an den Tag legen müßte.
Jch bemühete mich, mein Feuer dadurch zu rechtfertigen, daß ich ihr eine allzustrenge Tugend zur Last legen wollte. Aller wäre das ihr Fehler, wußte sie mir gar bald zu sagen, so wäre es mei- ner gewiß nicht. Sie müßte mir frey gestehen, daß ich ihr nicht im Stande zu seyn schiene, rich- tig zu unterscheiden, was eigentlich zu einem rei- nen und lautern Herzen erfordert werde. Viel- leicht stünde ich in der stolzen und doch falschen Einbildung, die mit einer ausschweifenden Le- bensart verbunden zu seyn pflegte, daß ein Herz wie das andere, und zwischen dem unreinen kein anderer Unterschied wäre, als den Erziehung und Gewohnheit machte - - Und gleichwohl könnte durch die Gewohnheit allein, wie sie bemerkte, so wohl eine gute als böse Gemüthsverfassung zur andern Natur werden.
Eben itzo habe ich von einigen unschuldigen Freyheiten, die ich mir in Gegenwart unserer Frauenzimmer genommen, Rede und Antwort geben müssen. Jch hielte mich dazu berechtiget, weil sie nicht anders wissen, als daß wir getrau- et sind, und nun in der Hoffnung stehen, auch bald als Eheleute mit einander zu leben.
Es
ſie haͤtte ſich niemals einen andern Begriff von einer tadelhaften Liebe machen koͤnnen, als daß ſich dieſelbe auf eine ſolche Art, wie die meinige zu thun ſuchte, an den Tag legen muͤßte.
Jch bemuͤhete mich, mein Feuer dadurch zu rechtfertigen, daß ich ihr eine allzuſtrenge Tugend zur Laſt legen wollte. Aller waͤre das ihr Fehler, wußte ſie mir gar bald zu ſagen, ſo waͤre es mei- ner gewiß nicht. Sie muͤßte mir frey geſtehen, daß ich ihr nicht im Stande zu ſeyn ſchiene, rich- tig zu unterſcheiden, was eigentlich zu einem rei- nen und lautern Herzen erfordert werde. Viel- leicht ſtuͤnde ich in der ſtolzen und doch falſchen Einbildung, die mit einer ausſchweifenden Le- bensart verbunden zu ſeyn pflegte, daß ein Herz wie das andere, und zwiſchen dem unreinen kein anderer Unterſchied waͤre, als den Erziehung und Gewohnheit machte ‒ ‒ Und gleichwohl koͤnnte durch die Gewohnheit allein, wie ſie bemerkte, ſo wohl eine gute als boͤſe Gemuͤthsverfaſſung zur andern Natur werden.
Eben itzo habe ich von einigen unſchuldigen Freyheiten, die ich mir in Gegenwart unſerer Frauenzimmer genommen, Rede und Antwort geben muͤſſen. Jch hielte mich dazu berechtiget, weil ſie nicht anders wiſſen, als daß wir getrau- et ſind, und nun in der Hoffnung ſtehen, auch bald als Eheleute mit einander zu leben.
Es
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ſie haͤtte ſich niemals einen andern Begriff von
einer tadelhaften Liebe machen koͤnnen, als daß
ſich dieſelbe auf eine ſolche Art, wie die meinige
zu thun ſuchte, an den Tag legen muͤßte.
Jch bemuͤhete mich, mein Feuer dadurch zu
rechtfertigen, daß ich ihr eine allzuſtrenge Tugend
zur Laſt legen wollte. Aller waͤre das ihr Fehler,
wußte ſie mir gar bald zu ſagen, ſo waͤre es mei-
ner gewiß nicht. Sie muͤßte mir frey geſtehen,
daß ich ihr nicht im Stande zu ſeyn ſchiene, rich-
tig zu unterſcheiden, was eigentlich zu einem rei-
nen und lautern Herzen erfordert werde. Viel-
leicht ſtuͤnde ich in der ſtolzen und doch falſchen
Einbildung, die mit einer ausſchweifenden Le-
bensart verbunden zu ſeyn pflegte, daß ein Herz
wie das andere, und zwiſchen dem unreinen kein
anderer Unterſchied waͤre, als den Erziehung und
Gewohnheit machte ‒ ‒ Und gleichwohl koͤnnte
durch die Gewohnheit allein, wie ſie bemerkte,
ſo wohl eine gute als boͤſe Gemuͤthsverfaſſung
zur andern Natur werden.
Eben itzo habe ich von einigen unſchuldigen
Freyheiten, die ich mir in Gegenwart unſerer
Frauenzimmer genommen, Rede und Antwort
geben muͤſſen. Jch hielte mich dazu berechtiget,
weil ſie nicht anders wiſſen, als daß wir getrau-
et ſind, und nun in der Hoffnung ſtehen, auch
bald als Eheleute mit einander zu leben.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/8>, abgerufen am 21.11.2024.
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