Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



genwart keinen Vorwand zu meinen Unterneh-
mungen finden könnte, die von ihr gestellte Hand-
schrift mir in dem Wege liegen sollte, und ich sie
aufheben wollte, so bald sie von mir gegangen
wäre. Aber da es gegen zehn Uhr kam: fiel
mir der Zweifel ein, daß es Gefahr haben würde,
ihr wieder beyzukommen; wenn sie einmal, wirk-
lich sich zur Ruhe zu begeben, weggegangen wä-
re. So ernstlich wünschte sie mich zu verlassen:
indem ihr mein allzu feuriges Bezeigen gegen
sie, und mein hitziges Greifen nach ihrer Hand,
welches ich zwey oder dreymal that, daß mir die
Augen, wie ich fühlte, aufliefen, verdächtig vor-
kam, und ihre Augen Unruhe und Furcht zeigten.
Weil ich es also nicht gern auf die Gefahr an-
kommen lassen wollte: so ging ich ein wenig nach
zehn heraus, in der Absicht, die verabredete Ein-
richtung etwas zu verändern; und sagte, ich woll-
te den Augenblick wieder bey ihr seyn. Allein
da ich zurückkam: begegnete sie mir an der Thüre,
und war willens, wegzugehen, und sich zur Ruhe
zu begeben. Jch konnte sie nicht bereden, wie-
der zurückzugehen, und hatte auch nicht Herz ge-
nug, da ich eben vorher so höflich und gefällig
gegen sie gewesen war, sie mit Gewalt aufzuhal-
ten. Also entwischte sie mir unter den Händen
in ihr Zimmer hinein. Daher war mir nichts
mehr übrig, als daß ich meinen vorigen Anschlag,
wie er verabredet war, beybehielte.

Jch hätte schon vorher melden sollen; aber
ich bekümmere mich nicht um Ordnung nach der

Zeit,



genwart keinen Vorwand zu meinen Unterneh-
mungen finden koͤnnte, die von ihr geſtellte Hand-
ſchrift mir in dem Wege liegen ſollte, und ich ſie
aufheben wollte, ſo bald ſie von mir gegangen
waͤre. Aber da es gegen zehn Uhr kam: fiel
mir der Zweifel ein, daß es Gefahr haben wuͤrde,
ihr wieder beyzukommen; wenn ſie einmal, wirk-
lich ſich zur Ruhe zu begeben, weggegangen waͤ-
re. So ernſtlich wuͤnſchte ſie mich zu verlaſſen:
indem ihr mein allzu feuriges Bezeigen gegen
ſie, und mein hitziges Greifen nach ihrer Hand,
welches ich zwey oder dreymal that, daß mir die
Augen, wie ich fuͤhlte, aufliefen, verdaͤchtig vor-
kam, und ihre Augen Unruhe und Furcht zeigten.
Weil ich es alſo nicht gern auf die Gefahr an-
kommen laſſen wollte: ſo ging ich ein wenig nach
zehn heraus, in der Abſicht, die verabredete Ein-
richtung etwas zu veraͤndern; und ſagte, ich woll-
te den Augenblick wieder bey ihr ſeyn. Allein
da ich zuruͤckkam: begegnete ſie mir an der Thuͤre,
und war willens, wegzugehen, und ſich zur Ruhe
zu begeben. Jch konnte ſie nicht bereden, wie-
der zuruͤckzugehen, und hatte auch nicht Herz ge-
nug, da ich eben vorher ſo hoͤflich und gefaͤllig
gegen ſie geweſen war, ſie mit Gewalt aufzuhal-
ten. Alſo entwiſchte ſie mir unter den Haͤnden
in ihr Zimmer hinein. Daher war mir nichts
mehr uͤbrig, als daß ich meinen vorigen Anſchlag,
wie er verabredet war, beybehielte.

Jch haͤtte ſchon vorher melden ſollen; aber
ich bekuͤmmere mich nicht um Ordnung nach der

Zeit,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0806" n="800"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
genwart keinen Vorwand zu meinen Unterneh-<lb/>
mungen finden ko&#x0364;nnte, die von ihr ge&#x017F;tellte Hand-<lb/>
&#x017F;chrift mir in dem Wege liegen &#x017F;ollte, und ich &#x017F;ie<lb/>
aufheben wollte, &#x017F;o bald &#x017F;ie von mir gegangen<lb/>
wa&#x0364;re. Aber da es gegen zehn Uhr kam: fiel<lb/>
mir der Zweifel ein, daß es Gefahr haben wu&#x0364;rde,<lb/>
ihr wieder beyzukommen; wenn &#x017F;ie einmal, wirk-<lb/>
lich &#x017F;ich zur Ruhe zu begeben, weggegangen wa&#x0364;-<lb/>
re. So ern&#x017F;tlich wu&#x0364;n&#x017F;chte &#x017F;ie mich zu verla&#x017F;&#x017F;en:<lb/>
indem ihr mein allzu feuriges Bezeigen gegen<lb/>
&#x017F;ie, und mein hitziges Greifen nach ihrer Hand,<lb/>
welches ich zwey oder dreymal that, daß mir die<lb/>
Augen, wie ich fu&#x0364;hlte, aufliefen, verda&#x0364;chtig vor-<lb/>
kam, und ihre Augen Unruhe und Furcht zeigten.<lb/>
Weil ich es al&#x017F;o nicht gern auf die Gefahr an-<lb/>
kommen la&#x017F;&#x017F;en wollte: &#x017F;o ging ich ein wenig nach<lb/>
zehn heraus, in der Ab&#x017F;icht, die verabredete Ein-<lb/>
richtung etwas zu vera&#x0364;ndern; und &#x017F;agte, ich woll-<lb/>
te den Augenblick wieder bey ihr &#x017F;eyn. Allein<lb/>
da ich zuru&#x0364;ckkam: begegnete &#x017F;ie mir an der Thu&#x0364;re,<lb/>
und war willens, wegzugehen, und &#x017F;ich zur Ruhe<lb/>
zu begeben. Jch konnte &#x017F;ie nicht bereden, wie-<lb/>
der zuru&#x0364;ckzugehen, und hatte auch nicht Herz ge-<lb/>
nug, da ich eben vorher &#x017F;o ho&#x0364;flich und gefa&#x0364;llig<lb/>
gegen &#x017F;ie gewe&#x017F;en war, &#x017F;ie mit Gewalt aufzuhal-<lb/>
ten. Al&#x017F;o entwi&#x017F;chte &#x017F;ie mir unter den Ha&#x0364;nden<lb/>
in ihr Zimmer hinein. Daher war mir nichts<lb/>
mehr u&#x0364;brig, als daß ich meinen vorigen An&#x017F;chlag,<lb/>
wie er verabredet war, beybehielte.</p><lb/>
          <p>Jch ha&#x0364;tte &#x017F;chon vorher melden &#x017F;ollen; aber<lb/>
ich beku&#x0364;mmere mich nicht um Ordnung nach der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Zeit,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[800/0806] genwart keinen Vorwand zu meinen Unterneh- mungen finden koͤnnte, die von ihr geſtellte Hand- ſchrift mir in dem Wege liegen ſollte, und ich ſie aufheben wollte, ſo bald ſie von mir gegangen waͤre. Aber da es gegen zehn Uhr kam: fiel mir der Zweifel ein, daß es Gefahr haben wuͤrde, ihr wieder beyzukommen; wenn ſie einmal, wirk- lich ſich zur Ruhe zu begeben, weggegangen waͤ- re. So ernſtlich wuͤnſchte ſie mich zu verlaſſen: indem ihr mein allzu feuriges Bezeigen gegen ſie, und mein hitziges Greifen nach ihrer Hand, welches ich zwey oder dreymal that, daß mir die Augen, wie ich fuͤhlte, aufliefen, verdaͤchtig vor- kam, und ihre Augen Unruhe und Furcht zeigten. Weil ich es alſo nicht gern auf die Gefahr an- kommen laſſen wollte: ſo ging ich ein wenig nach zehn heraus, in der Abſicht, die verabredete Ein- richtung etwas zu veraͤndern; und ſagte, ich woll- te den Augenblick wieder bey ihr ſeyn. Allein da ich zuruͤckkam: begegnete ſie mir an der Thuͤre, und war willens, wegzugehen, und ſich zur Ruhe zu begeben. Jch konnte ſie nicht bereden, wie- der zuruͤckzugehen, und hatte auch nicht Herz ge- nug, da ich eben vorher ſo hoͤflich und gefaͤllig gegen ſie geweſen war, ſie mit Gewalt aufzuhal- ten. Alſo entwiſchte ſie mir unter den Haͤnden in ihr Zimmer hinein. Daher war mir nichts mehr uͤbrig, als daß ich meinen vorigen Anſchlag, wie er verabredet war, beybehielte. Jch haͤtte ſchon vorher melden ſollen; aber ich bekuͤmmere mich nicht um Ordnung nach der Zeit,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/806
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 800. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/806>, abgerufen am 01.06.2024.