Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



schleichend wieder zurück. - - Hättest du das
glauben können?

Allein ich war nicht so bald in mein Zimmer
getreten: so bedachte ich, was ich für eine beque-
me Gelegenheit aus den Händen gelassen hätte,
und daß alles, was ich bisher gewonnen, mir nur
die Schwierigkeiten vermehren würde. Jch be-
dachte, wie lächerlich man mich unten, wegen ei-
ner Weichherzigkeit, die von meinem gewöhnli-
chen Character so weit entfernet wäre, in meiner
Gegenwart machen würde. Es reuete mich, und
ich eilte wieder zurück, in Hoffnung, sie würde
aus Verwirrung des Gemüths, worinn ich sie
verlassen hatte, ihre Thür nicht so bald verriegelt
haben. Jch war völlig entschlossen, alle meine
Absichten zu erfüllen, es möchte daraus entstehen,
was da wollte. Denn ich habe doch schon, dach-
te ich, so viel gesündiget, daß ich schwerlich von
Herzen Verzeihung erlangen werde; und wenn
Ohnmachten und Verzweifelung folgen: so kann
ich sie doch zuletzt nur heyrathen, und denn werde
ich ihr alles wieder gut machen.

Aber ich fand meine verdiente Strafe: denn
ihre Thür war fest verwahret. Jch hörte ihr
Seufzen und Gluchsen, als wenn ihr das Herz
bersten wollte. Meine geliebte Fräulein, sagte
ich, indem ich sanft anklopfte und ihr Gluchsen
aufhörte, ich komme, ihnen nur drey Worte zu
sagen, welche unter allen, die sie jemals von mir
gehört haben, die angenehmsten seyn müssen. Er-
lauben sie mir nur einen Augenblick sie zu sehen.

Jch



ſchleichend wieder zuruͤck. ‒ ‒ Haͤtteſt du das
glauben koͤnnen?

Allein ich war nicht ſo bald in mein Zimmer
getreten: ſo bedachte ich, was ich fuͤr eine beque-
me Gelegenheit aus den Haͤnden gelaſſen haͤtte,
und daß alles, was ich bisher gewonnen, mir nur
die Schwierigkeiten vermehren wuͤrde. Jch be-
dachte, wie laͤcherlich man mich unten, wegen ei-
ner Weichherzigkeit, die von meinem gewoͤhnli-
chen Character ſo weit entfernet waͤre, in meiner
Gegenwart machen wuͤrde. Es reuete mich, und
ich eilte wieder zuruͤck, in Hoffnung, ſie wuͤrde
aus Verwirrung des Gemuͤths, worinn ich ſie
verlaſſen hatte, ihre Thuͤr nicht ſo bald verriegelt
haben. Jch war voͤllig entſchloſſen, alle meine
Abſichten zu erfuͤllen, es moͤchte daraus entſtehen,
was da wollte. Denn ich habe doch ſchon, dach-
te ich, ſo viel geſuͤndiget, daß ich ſchwerlich von
Herzen Verzeihung erlangen werde; und wenn
Ohnmachten und Verzweifelung folgen: ſo kann
ich ſie doch zuletzt nur heyrathen, und denn werde
ich ihr alles wieder gut machen.

Aber ich fand meine verdiente Strafe: denn
ihre Thuͤr war feſt verwahret. Jch hoͤrte ihr
Seufzen und Gluchſen, als wenn ihr das Herz
berſten wollte. Meine geliebte Fraͤulein, ſagte
ich, indem ich ſanft anklopfte und ihr Gluchſen
aufhoͤrte, ich komme, ihnen nur drey Worte zu
ſagen, welche unter allen, die ſie jemals von mir
gehoͤrt haben, die angenehmſten ſeyn muͤſſen. Er-
lauben ſie mir nur einen Augenblick ſie zu ſehen.

Jch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0090" n="84"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;chleichend wieder zuru&#x0364;ck. &#x2012; &#x2012; Ha&#x0364;tte&#x017F;t du das<lb/>
glauben ko&#x0364;nnen?</p><lb/>
          <p>Allein ich war nicht &#x017F;o bald in mein Zimmer<lb/>
getreten: &#x017F;o bedachte ich, was ich fu&#x0364;r eine beque-<lb/>
me Gelegenheit aus den Ha&#x0364;nden gela&#x017F;&#x017F;en ha&#x0364;tte,<lb/>
und daß alles, was ich bisher gewonnen, mir nur<lb/>
die Schwierigkeiten vermehren wu&#x0364;rde. Jch be-<lb/>
dachte, wie la&#x0364;cherlich man mich unten, wegen ei-<lb/>
ner Weichherzigkeit, die von meinem gewo&#x0364;hnli-<lb/>
chen Character &#x017F;o weit entfernet wa&#x0364;re, in meiner<lb/>
Gegenwart machen wu&#x0364;rde. Es reuete mich, und<lb/>
ich eilte wieder zuru&#x0364;ck, in Hoffnung, &#x017F;ie wu&#x0364;rde<lb/>
aus Verwirrung des Gemu&#x0364;ths, worinn ich &#x017F;ie<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en hatte, ihre Thu&#x0364;r nicht &#x017F;o bald verriegelt<lb/>
haben. Jch war vo&#x0364;llig ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, alle meine<lb/>
Ab&#x017F;ichten zu erfu&#x0364;llen, es mo&#x0364;chte daraus ent&#x017F;tehen,<lb/>
was da wollte. Denn ich habe doch &#x017F;chon, dach-<lb/>
te ich, &#x017F;o viel ge&#x017F;u&#x0364;ndiget, daß ich &#x017F;chwerlich von<lb/>
Herzen Verzeihung erlangen werde; und wenn<lb/>
Ohnmachten und Verzweifelung folgen: &#x017F;o kann<lb/>
ich &#x017F;ie doch zuletzt nur heyrathen, und denn werde<lb/>
ich ihr alles wieder gut machen.</p><lb/>
          <p>Aber ich fand meine verdiente Strafe: denn<lb/>
ihre Thu&#x0364;r war fe&#x017F;t verwahret. Jch ho&#x0364;rte ihr<lb/>
Seufzen und Gluch&#x017F;en, als wenn ihr das Herz<lb/>
ber&#x017F;ten wollte. Meine geliebte Fra&#x0364;ulein, &#x017F;agte<lb/>
ich, indem ich &#x017F;anft anklopfte und ihr Gluch&#x017F;en<lb/>
aufho&#x0364;rte, ich komme, ihnen nur drey Worte zu<lb/>
&#x017F;agen, welche unter allen, die &#x017F;ie jemals von mir<lb/>
geho&#x0364;rt haben, die angenehm&#x017F;ten &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Er-<lb/>
lauben &#x017F;ie mir nur einen Augenblick &#x017F;ie zu &#x017F;ehen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0090] ſchleichend wieder zuruͤck. ‒ ‒ Haͤtteſt du das glauben koͤnnen? Allein ich war nicht ſo bald in mein Zimmer getreten: ſo bedachte ich, was ich fuͤr eine beque- me Gelegenheit aus den Haͤnden gelaſſen haͤtte, und daß alles, was ich bisher gewonnen, mir nur die Schwierigkeiten vermehren wuͤrde. Jch be- dachte, wie laͤcherlich man mich unten, wegen ei- ner Weichherzigkeit, die von meinem gewoͤhnli- chen Character ſo weit entfernet waͤre, in meiner Gegenwart machen wuͤrde. Es reuete mich, und ich eilte wieder zuruͤck, in Hoffnung, ſie wuͤrde aus Verwirrung des Gemuͤths, worinn ich ſie verlaſſen hatte, ihre Thuͤr nicht ſo bald verriegelt haben. Jch war voͤllig entſchloſſen, alle meine Abſichten zu erfuͤllen, es moͤchte daraus entſtehen, was da wollte. Denn ich habe doch ſchon, dach- te ich, ſo viel geſuͤndiget, daß ich ſchwerlich von Herzen Verzeihung erlangen werde; und wenn Ohnmachten und Verzweifelung folgen: ſo kann ich ſie doch zuletzt nur heyrathen, und denn werde ich ihr alles wieder gut machen. Aber ich fand meine verdiente Strafe: denn ihre Thuͤr war feſt verwahret. Jch hoͤrte ihr Seufzen und Gluchſen, als wenn ihr das Herz berſten wollte. Meine geliebte Fraͤulein, ſagte ich, indem ich ſanft anklopfte und ihr Gluchſen aufhoͤrte, ich komme, ihnen nur drey Worte zu ſagen, welche unter allen, die ſie jemals von mir gehoͤrt haben, die angenehmſten ſeyn muͤſſen. Er- lauben ſie mir nur einen Augenblick ſie zu ſehen. Jch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/90
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/90>, abgerufen am 04.12.2024.