Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



te sie, die leidende Person, schamroth seyn,
wenn ich, der Verbrecher, es nicht bin.

Doch Gewohnheit ist ein wunderbares Ding.
Man sagt den Frauenzimmern, wie viel ihr Er-
röthen ihre Annehmlichkeiten erhöhe. Darum
üben sie sich darinn. Das Rothwerden kommt
eben so bald, wenn sie rufen, als ihre Thränen.
Siehe das ist die Sache. Wir Männer hinge-
gen halten das Rothwerden für ein Zeichen der
Schuld oder der Blödigkeit. Deswegen bemü-
hen wir uns eben so sehr, dasselbe zu unterdrü-
cken.



Bey meiner Treue, Bruder, ich schäme mich
halb eben so viel, den Weibsleuten unten im
Hause vor Augen zu kommen, als meine Schöne
sich schämen kann, mich zu sehen. Jch habe
meine Thür noch nicht aufgeschlossen, damit ich
von ihnen nicht überfallen werde.

Was für Teufel kann einer gleichwohl aus
dem andern Geschlechte machen! Zu was für ei-
ner Höhe von - - Wie soll ich es nennen? - -
müssen diejenigen von demselben gestiegen seyn,
die einmal eine Mannsperson so besonders gelie-
bet haben, als Marichen und Sara mich beyde
geliebet, und dennoch so weit über alle Regun-
gen der Eisersucht, so weit über alle beißende
Vorstellungen, die entstehen müssen, wenn die
Zuneigung desjenigen, die sie allen andern vor-
ziehen, mit neuen Gegenständen getheilet und ge-

mein
F 5



te ſie, die leidende Perſon, ſchamroth ſeyn,
wenn ich, der Verbrecher, es nicht bin.

Doch Gewohnheit iſt ein wunderbares Ding.
Man ſagt den Frauenzimmern, wie viel ihr Er-
roͤthen ihre Annehmlichkeiten erhoͤhe. Darum
uͤben ſie ſich darinn. Das Rothwerden kommt
eben ſo bald, wenn ſie rufen, als ihre Thraͤnen.
Siehe das iſt die Sache. Wir Maͤnner hinge-
gen halten das Rothwerden fuͤr ein Zeichen der
Schuld oder der Bloͤdigkeit. Deswegen bemuͤ-
hen wir uns eben ſo ſehr, daſſelbe zu unterdruͤ-
cken.



Bey meiner Treue, Bruder, ich ſchaͤme mich
halb eben ſo viel, den Weibsleuten unten im
Hauſe vor Augen zu kommen, als meine Schoͤne
ſich ſchaͤmen kann, mich zu ſehen. Jch habe
meine Thuͤr noch nicht aufgeſchloſſen, damit ich
von ihnen nicht uͤberfallen werde.

Was fuͤr Teufel kann einer gleichwohl aus
dem andern Geſchlechte machen! Zu was fuͤr ei-
ner Hoͤhe von ‒ ‒ Wie ſoll ich es nennen? ‒ ‒
muͤſſen diejenigen von demſelben geſtiegen ſeyn,
die einmal eine Mannsperſon ſo beſonders gelie-
bet haben, als Marichen und Sara mich beyde
geliebet, und dennoch ſo weit uͤber alle Regun-
gen der Eiſerſucht, ſo weit uͤber alle beißende
Vorſtellungen, die entſtehen muͤſſen, wenn die
Zuneigung desjenigen, die ſie allen andern vor-
ziehen, mit neuen Gegenſtaͤnden getheilet und ge-

mein
F 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0095" n="89"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
te &#x017F;ie, die <hi rendition="#fr">leidende Per&#x017F;on,</hi> &#x017F;chamroth &#x017F;eyn,<lb/>
wenn ich, <hi rendition="#fr">der Verbrecher,</hi> es nicht bin.</p><lb/>
            <p>Doch Gewohnheit i&#x017F;t ein wunderbares Ding.<lb/>
Man &#x017F;agt den Frauenzimmern, wie viel ihr Er-<lb/>
ro&#x0364;then ihre Annehmlichkeiten erho&#x0364;he. Darum<lb/>
u&#x0364;ben &#x017F;ie &#x017F;ich darinn. Das Rothwerden kommt<lb/>
eben &#x017F;o bald, wenn &#x017F;ie rufen, als ihre Thra&#x0364;nen.<lb/>
Siehe das i&#x017F;t die Sache. Wir Ma&#x0364;nner hinge-<lb/>
gen halten das Rothwerden fu&#x0364;r ein Zeichen der<lb/>
Schuld oder der Blo&#x0364;digkeit. Deswegen bemu&#x0364;-<lb/>
hen wir uns eben &#x017F;o &#x017F;ehr, da&#x017F;&#x017F;elbe zu unterdru&#x0364;-<lb/>
cken.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p>Bey meiner Treue, Bruder, ich &#x017F;cha&#x0364;me mich<lb/>
halb eben &#x017F;o viel, den Weibsleuten unten im<lb/>
Hau&#x017F;e vor Augen zu kommen, als meine Scho&#x0364;ne<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;cha&#x0364;men kann, mich zu &#x017F;ehen. Jch habe<lb/>
meine Thu&#x0364;r noch nicht aufge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, damit ich<lb/>
von ihnen nicht u&#x0364;berfallen werde.</p><lb/>
            <p>Was fu&#x0364;r Teufel kann einer gleichwohl aus<lb/>
dem andern Ge&#x017F;chlechte machen! Zu was fu&#x0364;r ei-<lb/>
ner Ho&#x0364;he von &#x2012; &#x2012; Wie &#x017F;oll ich es nennen? &#x2012; &#x2012;<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en diejenigen von dem&#x017F;elben ge&#x017F;tiegen &#x017F;eyn,<lb/>
die einmal eine Mannsper&#x017F;on &#x017F;o be&#x017F;onders gelie-<lb/>
bet haben, als Marichen und Sara mich beyde<lb/>
geliebet, und dennoch &#x017F;o weit u&#x0364;ber alle Regun-<lb/>
gen der Ei&#x017F;er&#x017F;ucht, &#x017F;o weit u&#x0364;ber alle beißende<lb/>
Vor&#x017F;tellungen, die ent&#x017F;tehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, wenn die<lb/>
Zuneigung desjenigen, die &#x017F;ie allen andern vor-<lb/>
ziehen, mit neuen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden getheilet und ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 5</fw><fw place="bottom" type="catch">mein</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0095] te ſie, die leidende Perſon, ſchamroth ſeyn, wenn ich, der Verbrecher, es nicht bin. Doch Gewohnheit iſt ein wunderbares Ding. Man ſagt den Frauenzimmern, wie viel ihr Er- roͤthen ihre Annehmlichkeiten erhoͤhe. Darum uͤben ſie ſich darinn. Das Rothwerden kommt eben ſo bald, wenn ſie rufen, als ihre Thraͤnen. Siehe das iſt die Sache. Wir Maͤnner hinge- gen halten das Rothwerden fuͤr ein Zeichen der Schuld oder der Bloͤdigkeit. Deswegen bemuͤ- hen wir uns eben ſo ſehr, daſſelbe zu unterdruͤ- cken. Bey meiner Treue, Bruder, ich ſchaͤme mich halb eben ſo viel, den Weibsleuten unten im Hauſe vor Augen zu kommen, als meine Schoͤne ſich ſchaͤmen kann, mich zu ſehen. Jch habe meine Thuͤr noch nicht aufgeſchloſſen, damit ich von ihnen nicht uͤberfallen werde. Was fuͤr Teufel kann einer gleichwohl aus dem andern Geſchlechte machen! Zu was fuͤr ei- ner Hoͤhe von ‒ ‒ Wie ſoll ich es nennen? ‒ ‒ muͤſſen diejenigen von demſelben geſtiegen ſeyn, die einmal eine Mannsperſon ſo beſonders gelie- bet haben, als Marichen und Sara mich beyde geliebet, und dennoch ſo weit uͤber alle Regun- gen der Eiſerſucht, ſo weit uͤber alle beißende Vorſtellungen, die entſtehen muͤſſen, wenn die Zuneigung desjenigen, die ſie allen andern vor- ziehen, mit neuen Gegenſtaͤnden getheilet und ge- mein F 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/95
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/95>, abgerufen am 04.12.2024.