vielleicht irgendwo unter dem Fenster der Lady Elisabeth zu Glenham-Hall; und wirbelte da- selbst, wie die angenehme Philomela, mit einem Dorn in der Brust, ihre traurigen Klagen gegen ihren grausamen Tereus heraus.
Die Lady Elisabeth erklärte sich, daß sie nicht bey ihr wäre, und sie auch nicht wüßte, wo sie sich aufhielte. Sie sollte sonst, setzte die Lady hinzu, ihr der willkommenste Gast seyn, den sie jemals aufgenommen hätte.
Jn Wahrheit, ich hatte einen Verdacht, daß sie schon wüßten, wo sie wäre, und sie auch in ihren Schutz genommen hätten. Denn ich bildete mir ein, die Lady Sarah könnte unmög- lich bloß durch einen Brief von der Fräulein Harlowe, der noch dazu nicht an sie selbst gerich- tet war, zu einem solchen Eifer ermuntert seyn: da sie eine sehr unempfindliche und niedergeschla- gene Frau ist. Aber ihre Schwester, finde ich, hatte sie dazu aufgebracht. Denn die Lady Eli- sabeth ist eben so dienstfertig, und weiß eine Sa- che eben so wohl zu treiben, als die Fräulein Howe: aber sie ist von großmüthigerer und edle- rer Neigung - - Sie ist meine Tante, Bruder.
Jch vermuthete, sprach ich, ihre Gnaden würden eine geheime Anweisung des Orts haben, wohin man an sie schicken könnte. Jch sprach, wie ich wünschte: ich hätte die ganze Welt dar- um gegeben, daß ich gehört hätte, sie wäre ge- neigt, sich bey irgend jemand von meiner Fami- lie Gunst zu erwerben.
Die
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vielleicht irgendwo unter dem Fenſter der Lady Eliſabeth zu Glenham-Hall; und wirbelte da- ſelbſt, wie die angenehme Philomela, mit einem Dorn in der Bruſt, ihre traurigen Klagen gegen ihren grauſamen Tereus heraus.
Die Lady Eliſabeth erklaͤrte ſich, daß ſie nicht bey ihr waͤre, und ſie auch nicht wuͤßte, wo ſie ſich aufhielte. Sie ſollte ſonſt, ſetzte die Lady hinzu, ihr der willkommenſte Gaſt ſeyn, den ſie jemals aufgenommen haͤtte.
Jn Wahrheit, ich hatte einen Verdacht, daß ſie ſchon wuͤßten, wo ſie waͤre, und ſie auch in ihren Schutz genommen haͤtten. Denn ich bildete mir ein, die Lady Sarah koͤnnte unmoͤg- lich bloß durch einen Brief von der Fraͤulein Harlowe, der noch dazu nicht an ſie ſelbſt gerich- tet war, zu einem ſolchen Eifer ermuntert ſeyn: da ſie eine ſehr unempfindliche und niedergeſchla- gene Frau iſt. Aber ihre Schweſter, finde ich, hatte ſie dazu aufgebracht. Denn die Lady Eli- ſabeth iſt eben ſo dienſtfertig, und weiß eine Sa- che eben ſo wohl zu treiben, als die Fraͤulein Howe: aber ſie iſt von großmuͤthigerer und edle- rer Neigung ‒ ‒ Sie iſt meine Tante, Bruder.
Jch vermuthete, ſprach ich, ihre Gnaden wuͤrden eine geheime Anweiſung des Orts haben, wohin man an ſie ſchicken koͤnnte. Jch ſprach, wie ich wuͤnſchte: ich haͤtte die ganze Welt dar- um gegeben, daß ich gehoͤrt haͤtte, ſie waͤre ge- neigt, ſich bey irgend jemand von meiner Fami- lie Gunſt zu erwerben.
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vielleicht irgendwo unter dem Fenſter der Lady
Eliſabeth zu Glenham-Hall; und wirbelte da-
ſelbſt, wie die angenehme Philomela, mit einem
Dorn in der Bruſt, ihre traurigen Klagen gegen
ihren grauſamen Tereus heraus.
Die Lady Eliſabeth erklaͤrte ſich, daß ſie
nicht bey ihr waͤre, und ſie auch nicht wuͤßte,
wo ſie ſich aufhielte. Sie ſollte ſonſt, ſetzte die
Lady hinzu, ihr der willkommenſte Gaſt ſeyn,
den ſie jemals aufgenommen haͤtte.
Jn Wahrheit, ich hatte einen Verdacht,
daß ſie ſchon wuͤßten, wo ſie waͤre, und ſie auch
in ihren Schutz genommen haͤtten. Denn ich
bildete mir ein, die Lady Sarah koͤnnte unmoͤg-
lich bloß durch einen Brief von der Fraͤulein
Harlowe, der noch dazu nicht an ſie ſelbſt gerich-
tet war, zu einem ſolchen Eifer ermuntert ſeyn:
da ſie eine ſehr unempfindliche und niedergeſchla-
gene Frau iſt. Aber ihre Schweſter, finde ich,
hatte ſie dazu aufgebracht. Denn die Lady Eli-
ſabeth iſt eben ſo dienſtfertig, und weiß eine Sa-
che eben ſo wohl zu treiben, als die Fraͤulein
Howe: aber ſie iſt von großmuͤthigerer und edle-
rer Neigung ‒ ‒ Sie iſt meine Tante, Bruder.
Jch vermuthete, ſprach ich, ihre Gnaden
wuͤrden eine geheime Anweiſung des Orts haben,
wohin man an ſie ſchicken koͤnnte. Jch ſprach,
wie ich wuͤnſchte: ich haͤtte die ganze Welt dar-
um gegeben, daß ich gehoͤrt haͤtte, ſie waͤre ge-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/237>, abgerufen am 21.11.2024.
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