rest, und den Augenblick die Frucht ihrer edelmü- thigen Wünsche für dich eingeerndtet hättest: so wenig du auch etwas anders, als das Verderben, verdienet hast!
Jch stellte ihr vor, sie würde da, wo sie itzt wäre, weniger von solchen Besuchen, die ihr nicht gefielen, frey seyn, als in ihrer eignen Wohnung. Jns besondre würde es ihr nach aller Wahr- scheinlichkeit, den Besuch von jemand zuzie- hen, der sonst, wie ich Bürge seyn wollte; ich durfte aber nicht wieder schwören, nachdem sie mir einen so harten Verweis desfalls gegeben hatte; ohne ihre Einwilligung nicht zu ihr kommen soll- te. Jch bezeugte, wie sehr ich mich wunderte, daß sie nicht geneigt wäre, einen solchen Ort, als dieser, zu verlassen: da es doch mehr als wahr- scheinlich wäre, daß einige von ihren Freunden, wenn sie erführen, wie übel sie sich befände, sie besuchen würden.
Der Ort, sagte sie, wäre ihr in der That, als man sie zuerst dahin gebracht, sehr ärgerlich und zuwider gewesen. Allein sie hätte sich so schwach und übel befunden, und ihr Kummer hätte sie so niedergeschlagen, daß sie nicht vermu- thet, bis itzo zu leben. Daher wären ihr alle Oerter gleichgültig gewesen. Denn in einem Gefängnisse sterben, wäre sterben, und eben so angenehm, als in einem Palast sterben, Paläste, sagte sie, könnten für einen Sterbenden keine Rei- zungen haben. Weil sie aber nunmehr besorgte, sie würde nicht so bald aufgelöset werden, als sie ge-
hoffet
reſt, und den Augenblick die Frucht ihrer edelmuͤ- thigen Wuͤnſche fuͤr dich eingeerndtet haͤtteſt: ſo wenig du auch etwas anders, als das Verderben, verdienet haſt!
Jch ſtellte ihr vor, ſie wuͤrde da, wo ſie itzt waͤre, weniger von ſolchen Beſuchen, die ihr nicht gefielen, frey ſeyn, als in ihrer eignen Wohnung. Jns beſondre wuͤrde es ihr nach aller Wahr- ſcheinlichkeit, den Beſuch von jemand zuzie- hen, der ſonſt, wie ich Buͤrge ſeyn wollte; ich durfte aber nicht wieder ſchwoͤren, nachdem ſie mir einen ſo harten Verweis desfalls gegeben hatte; ohne ihre Einwilligung nicht zu ihr kommen ſoll- te. Jch bezeugte, wie ſehr ich mich wunderte, daß ſie nicht geneigt waͤre, einen ſolchen Ort, als dieſer, zu verlaſſen: da es doch mehr als wahr- ſcheinlich waͤre, daß einige von ihren Freunden, wenn ſie erfuͤhren, wie uͤbel ſie ſich befaͤnde, ſie beſuchen wuͤrden.
Der Ort, ſagte ſie, waͤre ihr in der That, als man ſie zuerſt dahin gebracht, ſehr aͤrgerlich und zuwider geweſen. Allein ſie haͤtte ſich ſo ſchwach und uͤbel befunden, und ihr Kummer haͤtte ſie ſo niedergeſchlagen, daß ſie nicht vermu- thet, bis itzo zu leben. Daher waͤren ihr alle Oerter gleichguͤltig geweſen. Denn in einem Gefaͤngniſſe ſterben, waͤre ſterben, und eben ſo angenehm, als in einem Palaſt ſterben, Palaͤſte, ſagte ſie, koͤnnten fuͤr einen Sterbenden keine Rei- zungen haben. Weil ſie aber nunmehr beſorgte, ſie wuͤrde nicht ſo bald aufgeloͤſet werden, als ſie ge-
hoffet
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0342"n="336"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
reſt, und den Augenblick die Frucht ihrer edelmuͤ-<lb/>
thigen Wuͤnſche fuͤr dich eingeerndtet haͤtteſt: ſo<lb/>
wenig du auch etwas anders, als das Verderben,<lb/>
verdienet haſt!</p><lb/><p>Jch ſtellte ihr vor, ſie wuͤrde da, wo ſie itzt<lb/>
waͤre, weniger von ſolchen Beſuchen, die ihr nicht<lb/>
gefielen, frey ſeyn, als in ihrer eignen Wohnung.<lb/>
Jns beſondre wuͤrde es ihr nach aller Wahr-<lb/>ſcheinlichkeit, <hirendition="#fr">den Beſuch von jemand</hi> zuzie-<lb/>
hen, der ſonſt, wie ich Buͤrge ſeyn wollte; ich<lb/>
durfte aber nicht wieder ſchwoͤren, nachdem ſie mir<lb/>
einen ſo harten Verweis desfalls gegeben hatte;<lb/>
ohne ihre Einwilligung nicht zu ihr kommen ſoll-<lb/>
te. Jch bezeugte, wie ſehr ich mich wunderte,<lb/>
daß ſie nicht geneigt waͤre, einen ſolchen Ort, als<lb/>
dieſer, zu verlaſſen: da es doch mehr als wahr-<lb/>ſcheinlich waͤre, daß einige von ihren Freunden,<lb/>
wenn ſie erfuͤhren, wie uͤbel ſie ſich befaͤnde, ſie<lb/>
beſuchen wuͤrden.</p><lb/><p>Der Ort, ſagte ſie, waͤre ihr in der That,<lb/>
als man ſie zuerſt dahin gebracht, ſehr aͤrgerlich<lb/>
und zuwider geweſen. Allein ſie haͤtte ſich ſo<lb/>ſchwach und uͤbel befunden, und ihr Kummer<lb/>
haͤtte ſie ſo niedergeſchlagen, daß ſie nicht vermu-<lb/>
thet, bis itzo zu leben. Daher waͤren ihr alle<lb/>
Oerter gleichguͤltig geweſen. Denn in einem<lb/>
Gefaͤngniſſe ſterben, <hirendition="#fr">waͤre</hi>ſterben, und eben ſo<lb/>
angenehm, als in einem Palaſt ſterben, Palaͤſte,<lb/>ſagte ſie, koͤnnten fuͤr einen Sterbenden keine Rei-<lb/>
zungen haben. Weil ſie aber nunmehr beſorgte, ſie<lb/>
wuͤrde nicht ſo bald aufgeloͤſet werden, als ſie ge-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">hoffet</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[336/0342]
reſt, und den Augenblick die Frucht ihrer edelmuͤ-
thigen Wuͤnſche fuͤr dich eingeerndtet haͤtteſt: ſo
wenig du auch etwas anders, als das Verderben,
verdienet haſt!
Jch ſtellte ihr vor, ſie wuͤrde da, wo ſie itzt
waͤre, weniger von ſolchen Beſuchen, die ihr nicht
gefielen, frey ſeyn, als in ihrer eignen Wohnung.
Jns beſondre wuͤrde es ihr nach aller Wahr-
ſcheinlichkeit, den Beſuch von jemand zuzie-
hen, der ſonſt, wie ich Buͤrge ſeyn wollte; ich
durfte aber nicht wieder ſchwoͤren, nachdem ſie mir
einen ſo harten Verweis desfalls gegeben hatte;
ohne ihre Einwilligung nicht zu ihr kommen ſoll-
te. Jch bezeugte, wie ſehr ich mich wunderte,
daß ſie nicht geneigt waͤre, einen ſolchen Ort, als
dieſer, zu verlaſſen: da es doch mehr als wahr-
ſcheinlich waͤre, daß einige von ihren Freunden,
wenn ſie erfuͤhren, wie uͤbel ſie ſich befaͤnde, ſie
beſuchen wuͤrden.
Der Ort, ſagte ſie, waͤre ihr in der That,
als man ſie zuerſt dahin gebracht, ſehr aͤrgerlich
und zuwider geweſen. Allein ſie haͤtte ſich ſo
ſchwach und uͤbel befunden, und ihr Kummer
haͤtte ſie ſo niedergeſchlagen, daß ſie nicht vermu-
thet, bis itzo zu leben. Daher waͤren ihr alle
Oerter gleichguͤltig geweſen. Denn in einem
Gefaͤngniſſe ſterben, waͤre ſterben, und eben ſo
angenehm, als in einem Palaſt ſterben, Palaͤſte,
ſagte ſie, koͤnnten fuͤr einen Sterbenden keine Rei-
zungen haben. Weil ſie aber nunmehr beſorgte, ſie
wuͤrde nicht ſo bald aufgeloͤſet werden, als ſie ge-
hoffet
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/342>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.