sehr frühe, so gar bey meinem ersten und über- eilten Schritt in dieselbe, ihre wahre und häß- liche Gestalt gezeiget hat: jedoch hoffe ich, daß sie eine bessere Wurzel bekommen habe, und die- ses durch ihre Früchte, so wohl mir, als allen meinen Freunden, täglich mehr und mehr zeigen werde.
Jch habe an meine Schwester geschrieben. Es war am verwichnen Freytage. Also sind die Würfel ausgeworfen. Jch hoffe auf eine gelin- de und gütige Antwort. Aber vielleicht würdi- gen sie mich gar keiner. Es ist das erste mal, wie Sie wissen, daß ich mich gerades Weges an sie wende. Jch möchte wünschen, daß Fräulein Howe mich in dieser bedenklichen Sache mir selbst überlassen hätte.
Es wird mir zu einem großen Vergnügen gereichen, wenn ich höre, daß Sie wieder genesen sind, und mein Mitsäugling außer Gefahr ist. Allein warum sagte ich, außer Gefahr? - - Wenn kann dieß wohl mit Grunde von Geschö- pfen gesaget werden, die ein so ungewisses Recht dazu haben? Es ist eine von denen gewöhnlichen Redensarten, welche die Hinfälligkeit und küh- ne Einbildung der armen Sterblichen zugleich beweiset.
Kränken Sie sich nicht, daß Sie ihre Wün- sche, bey mir zu seyn, nicht erfüllen können. Jch bin glücklicher, als ich unter lauter fremden Leu- ten zu seyn vermuthen konnte. Es war mir an- fangs etwas betrübtes: aber Gewohnheit macht
alles
ſehr fruͤhe, ſo gar bey meinem erſten und uͤber- eilten Schritt in dieſelbe, ihre wahre und haͤß- liche Geſtalt gezeiget hat: jedoch hoffe ich, daß ſie eine beſſere Wurzel bekommen habe, und die- ſes durch ihre Fruͤchte, ſo wohl mir, als allen meinen Freunden, taͤglich mehr und mehr zeigen werde.
Jch habe an meine Schweſter geſchrieben. Es war am verwichnen Freytage. Alſo ſind die Wuͤrfel ausgeworfen. Jch hoffe auf eine gelin- de und guͤtige Antwort. Aber vielleicht wuͤrdi- gen ſie mich gar keiner. Es iſt das erſte mal, wie Sie wiſſen, daß ich mich gerades Weges an ſie wende. Jch moͤchte wuͤnſchen, daß Fraͤulein Howe mich in dieſer bedenklichen Sache mir ſelbſt uͤberlaſſen haͤtte.
Es wird mir zu einem großen Vergnuͤgen gereichen, wenn ich hoͤre, daß Sie wieder geneſen ſind, und mein Mitſaͤugling außer Gefahr iſt. Allein warum ſagte ich, außer Gefahr? ‒ ‒ Wenn kann dieß wohl mit Grunde von Geſchoͤ- pfen geſaget werden, die ein ſo ungewiſſes Recht dazu haben? Es iſt eine von denen gewoͤhnlichen Redensarten, welche die Hinfaͤlligkeit und kuͤh- ne Einbildung der armen Sterblichen zugleich beweiſet.
Kraͤnken Sie ſich nicht, daß Sie ihre Wuͤn- ſche, bey mir zu ſeyn, nicht erfuͤllen koͤnnen. Jch bin gluͤcklicher, als ich unter lauter fremden Leu- ten zu ſeyn vermuthen konnte. Es war mir an- fangs etwas betruͤbtes: aber Gewohnheit macht
alles
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ſehr fruͤhe, ſo gar bey meinem erſten und uͤber-
eilten Schritt in dieſelbe, ihre wahre und haͤß-
liche Geſtalt gezeiget hat: jedoch hoffe ich, daß
ſie eine beſſere Wurzel bekommen habe, und die-
ſes durch ihre Fruͤchte, ſo wohl mir, als allen
meinen Freunden, taͤglich mehr und mehr zeigen
werde.
Jch habe an meine Schweſter geſchrieben.
Es war am verwichnen Freytage. Alſo ſind die
Wuͤrfel ausgeworfen. Jch hoffe auf eine gelin-
de und guͤtige Antwort. Aber vielleicht wuͤrdi-
gen ſie mich gar keiner. Es iſt das erſte mal,
wie Sie wiſſen, daß ich mich gerades Weges an
ſie wende. Jch moͤchte wuͤnſchen, daß Fraͤulein
Howe mich in dieſer bedenklichen Sache mir ſelbſt
uͤberlaſſen haͤtte.
Es wird mir zu einem großen Vergnuͤgen
gereichen, wenn ich hoͤre, daß Sie wieder geneſen
ſind, und mein Mitſaͤugling außer Gefahr iſt.
Allein warum ſagte ich, außer Gefahr? ‒ ‒
Wenn kann dieß wohl mit Grunde von Geſchoͤ-
pfen geſaget werden, die ein ſo ungewiſſes Recht
dazu haben? Es iſt eine von denen gewoͤhnlichen
Redensarten, welche die Hinfaͤlligkeit und kuͤh-
ne Einbildung der armen Sterblichen zugleich
beweiſet.
Kraͤnken Sie ſich nicht, daß Sie ihre Wuͤn-
ſche, bey mir zu ſeyn, nicht erfuͤllen koͤnnen. Jch
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/510>, abgerufen am 22.11.2024.
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