Befehl der Götter geschehe. Allein konnte das wohl seyn: da sein Gewerbe, worauf er ausging, nichts anders war, als andere Fürsten nicht nur ihrer Herrschaften, sondern auch ihres Lebens zu berauben? - Nichts desto weniger heißt dieser Kerl bey dem unsterblichen Dichter, der ihn be- singet, bey jedem Worte der fromme Aeneas.
Wenn nun auch Fräulein Harlowe ihr Herz, welches der Himmel verhüten wolle! brechen sollte, weil ihr so begegnet ist; nichts von ihrem betrogenen Stolz zu sagen, dem ihr Tod mehr, als irgend einem vernünftigen Grunde, zuzuschrei- ben seyn würde: was für einen Vergleich wird ihr Schicksal mit dem Schicksal der Königinn Dido haben? Und habe ich halb die Verbindlich- keit gegen sie, welche Aeneas gegen die Königinn von Carthago hatte? Da die letztere ein Ver- trauen, die erstere gar keines, in ihren Mann setzte? - - Wer ist hiernächst sonst von mir ge- plündert? Wer ist sonst von mir beleidigt wor- den? Jhrem Bruder habe ich sein nichtswürdi- ges Leben geschenket, statt daß ich es irgend einem genommen hätte, wie der Trojanische Flüchtling es wohl tausenden genommen hat. Warum sollte es denn nicht eben so wohl der fromme Lovelate, als der fromme Aeneas heißen? Denn denkst du wohl, wenn ein Brand entstanden und es in meiner Gewalt gewesen wäre, daß ich mei- nen alten Anchises, wie er den seinigen aus dem Freudenfeuer von Troja, nicht auch so gar mit dem Verlust meiner Creusa, wenn ich ein Weib
dieses
Befehl der Goͤtter geſchehe. Allein konnte das wohl ſeyn: da ſein Gewerbe, worauf er ausging, nichts anders war, als andere Fuͤrſten nicht nur ihrer Herrſchaften, ſondern auch ihres Lebens zu berauben? ‒ Nichts deſto weniger heißt dieſer Kerl bey dem unſterblichen Dichter, der ihn be- ſinget, bey jedem Worte der fromme Aeneas.
Wenn nun auch Fraͤulein Harlowe ihr Herz, welches der Himmel verhuͤten wolle! brechen ſollte, weil ihr ſo begegnet iſt; nichts von ihrem betrogenen Stolz zu ſagen, dem ihr Tod mehr, als irgend einem vernuͤnftigen Grunde, zuzuſchrei- ben ſeyn wuͤrde: was fuͤr einen Vergleich wird ihr Schickſal mit dem Schickſal der Koͤniginn Dido haben? Und habe ich halb die Verbindlich- keit gegen ſie, welche Aeneas gegen die Koͤniginn von Carthago hatte? Da die letztere ein Ver- trauen, die erſtere gar keines, in ihren Mann ſetzte? ‒ ‒ Wer iſt hiernaͤchſt ſonſt von mir ge- pluͤndert? Wer iſt ſonſt von mir beleidigt wor- den? Jhrem Bruder habe ich ſein nichtswuͤrdi- ges Leben geſchenket, ſtatt daß ich es irgend einem genommen haͤtte, wie der Trojaniſche Fluͤchtling es wohl tauſenden genommen hat. Warum ſollte es denn nicht eben ſo wohl der fromme Lovelate, als der fromme Aeneas heißen? Denn denkſt du wohl, wenn ein Brand entſtanden und es in meiner Gewalt geweſen waͤre, daß ich mei- nen alten Anchiſes, wie er den ſeinigen aus dem Freudenfeuer von Troja, nicht auch ſo gar mit dem Verluſt meiner Creuſa, wenn ich ein Weib
dieſes
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Befehl der Goͤtter geſchehe. Allein konnte das
wohl ſeyn: da ſein Gewerbe, worauf er ausging,
nichts anders war, als andere Fuͤrſten nicht nur
ihrer Herrſchaften, ſondern auch ihres Lebens zu
berauben? ‒ Nichts deſto weniger heißt dieſer
Kerl bey dem unſterblichen Dichter, der ihn be-
ſinget, bey jedem Worte der fromme Aeneas.
Wenn nun auch Fraͤulein Harlowe ihr Herz,
welches der Himmel verhuͤten wolle! brechen
ſollte, weil ihr ſo begegnet iſt; nichts von ihrem
betrogenen Stolz zu ſagen, dem ihr Tod mehr,
als irgend einem vernuͤnftigen Grunde, zuzuſchrei-
ben ſeyn wuͤrde: was fuͤr einen Vergleich wird
ihr Schickſal mit dem Schickſal der Koͤniginn
Dido haben? Und habe ich halb die Verbindlich-
keit gegen ſie, welche Aeneas gegen die Koͤniginn
von Carthago hatte? Da die letztere ein Ver-
trauen, die erſtere gar keines, in ihren Mann
ſetzte? ‒ ‒ Wer iſt hiernaͤchſt ſonſt von mir ge-
pluͤndert? Wer iſt ſonſt von mir beleidigt wor-
den? Jhrem Bruder habe ich ſein nichtswuͤrdi-
ges Leben geſchenket, ſtatt daß ich es irgend einem
genommen haͤtte, wie der Trojaniſche Fluͤchtling
es wohl tauſenden genommen hat. Warum
ſollte es denn nicht eben ſo wohl der fromme
Lovelate, als der fromme Aeneas heißen? Denn
denkſt du wohl, wenn ein Brand entſtanden und
es in meiner Gewalt geweſen waͤre, daß ich mei-
nen alten Anchiſes, wie er den ſeinigen aus dem
Freudenfeuer von Troja, nicht auch ſo gar mit
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 573. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/579>, abgerufen am 22.11.2024.
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