so unglücklich verstricket hat, ihr Werk zu treiben gewußt.
Fräulein Howe, mit einem Worte, meynet in meiner Gemüthsart einen Flecken gefunden zu haben. Jhr harter Brief ist mir eben erst zu Händen gekommen: aber ich werde darauf vielleicht bey besserem Sinne antworten; wenn ich erst das Schreiben von Jhnen wohl überle- ge. Denn, in der That, meine Gedult ist bey- nahe zu Ende. Und gleichwohl muß ich beden- ken, daß die Wunden, welche ein Freund schläget, wohl gemeynet sind. Aber so viele Dinge auf einmal! - - O, meine liebe Fr. Nor- ton, wie soll eine so junge Schülerinn in der Lei- densschule im Stande seyn, so schwere und so man- nichfaltige Uebel zu ertragen!
Jedoch ich will dieß auf eine Weile beyseite setzen und mich zu Jhrem Briefe wenden.
Es ist mir sehr leid, daß Fräulein Howe ih- ren Unwillen meinetwegen so lebhaft und hitzig zeiget. Jch habe ihr allemal die Freyheiten von dieser Art, welche sie sich gegen meine Freunde genommen, recht dreiste verwiesen. Vormals hatte ich einen großen Einfluß über ihr freund- schaftliches Herz, und sie nahm alles, was ich sagte, als ein Gesetz an. Allein Leute, die im Unglück sind, haben in allen Stücken, oder bey allen und jeden, wenig Gewicht. Glück und Ununterwürfigkeit sind in der Betrachtung wirk- lich reizend, daß sie dem guten Rath eines freundschaftlichen Herzens Nachdruck geben: da
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ſo ungluͤcklich verſtricket hat, ihr Werk zu treiben gewußt.
Fraͤulein Howe, mit einem Worte, meynet in meiner Gemuͤthsart einen Flecken gefunden zu haben. Jhr harter Brief iſt mir eben erſt zu Haͤnden gekommen: aber ich werde darauf vielleicht bey beſſerem Sinne antworten; wenn ich erſt das Schreiben von Jhnen wohl uͤberle- ge. Denn, in der That, meine Gedult iſt bey- nahe zu Ende. Und gleichwohl muß ich beden- ken, daß die Wunden, welche ein Freund ſchlaͤget, wohl gemeynet ſind. Aber ſo viele Dinge auf einmal! ‒ ‒ O, meine liebe Fr. Nor- ton, wie ſoll eine ſo junge Schuͤlerinn in der Lei- densſchule im Stande ſeyn, ſo ſchwere und ſo man- nichfaltige Uebel zu ertragen!
Jedoch ich will dieß auf eine Weile beyſeite ſetzen und mich zu Jhrem Briefe wenden.
Es iſt mir ſehr leid, daß Fraͤulein Howe ih- ren Unwillen meinetwegen ſo lebhaft und hitzig zeiget. Jch habe ihr allemal die Freyheiten von dieſer Art, welche ſie ſich gegen meine Freunde genommen, recht dreiſte verwieſen. Vormals hatte ich einen großen Einfluß uͤber ihr freund- ſchaftliches Herz, und ſie nahm alles, was ich ſagte, als ein Geſetz an. Allein Leute, die im Ungluͤck ſind, haben in allen Stuͤcken, oder bey allen und jeden, wenig Gewicht. Gluͤck und Ununterwuͤrfigkeit ſind in der Betrachtung wirk- lich reizend, daß ſie dem guten Rath eines freundſchaftlichen Herzens Nachdruck geben: da
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ſo ungluͤcklich verſtricket hat, ihr Werk zu treiben
gewußt.
Fraͤulein Howe, mit einem Worte, meynet
in meiner Gemuͤthsart einen Flecken gefunden
zu haben. Jhr harter Brief iſt mir eben erſt
zu Haͤnden gekommen: aber ich werde darauf
vielleicht bey beſſerem Sinne antworten; wenn
ich erſt das Schreiben von Jhnen wohl uͤberle-
ge. Denn, in der That, meine Gedult iſt bey-
nahe zu Ende. Und gleichwohl muß ich beden-
ken, daß die Wunden, welche ein Freund
ſchlaͤget, wohl gemeynet ſind. Aber ſo viele
Dinge auf einmal! ‒ ‒ O, meine liebe Fr. Nor-
ton, wie ſoll eine ſo junge Schuͤlerinn in der Lei-
densſchule im Stande ſeyn, ſo ſchwere und ſo man-
nichfaltige Uebel zu ertragen!
Jedoch ich will dieß auf eine Weile beyſeite
ſetzen und mich zu Jhrem Briefe wenden.
Es iſt mir ſehr leid, daß Fraͤulein Howe ih-
ren Unwillen meinetwegen ſo lebhaft und hitzig
zeiget. Jch habe ihr allemal die Freyheiten von
dieſer Art, welche ſie ſich gegen meine Freunde
genommen, recht dreiſte verwieſen. Vormals
hatte ich einen großen Einfluß uͤber ihr freund-
ſchaftliches Herz, und ſie nahm alles, was ich
ſagte, als ein Geſetz an. Allein Leute, die im
Ungluͤck ſind, haben in allen Stuͤcken, oder bey
allen und jeden, wenig Gewicht. Gluͤck und
Ununterwuͤrfigkeit ſind in der Betrachtung wirk-
lich reizend, daß ſie dem guten Rath eines
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/79>, abgerufen am 21.11.2024.
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