Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite


Jch habe an meiner Tante guten Gesinnung
gegen mich nicht gezweifelt. An Jhrer Gewo-
genheit habe ich ebenfalls nicht gezweifelt. Al-
lein sollen wir uns wundern, daß Könige und
Fürsten so wenig Einrede bey ihren Leidenschaften
finden, wenn sie auch noch so heftig sind: da in
einer besondern Familie eine Tante, ja so gar eine
Mutter in eben der Familie, sich entschließen mag,
lieber ein ehemals begünstigtes Kind gegen ihre
eigne Neigung aufzugeben, als einem hochfliegen-
den jungen Menschen, der sich mit dem Ansehn
eines Vaters gewaffnet hatte, welcher sich, nach-
dem er einmal einen Schluß gefasset, niemals ein-
reden lassen wollte, Widerstand zu thun?

Wollen Sie mich nicht tadeln, wenn ich sa-
ge, daß Verstand und Klugheit, daß verwandt-
schaftliche Nachsicht, durch die Begegnung, wel-
che mir widerfahren ist, ein wenig beleidigt seyn
müssen, und wenn ich gestehe, daß ich gedenke, es
sey große Schärfe wider mich gebrauchet? Und
gleichwohl bin ich nunmehr durch das Urtheil
zwoer vortrefflicher Schwestern, meiner Mutter
und meiner Tante, berechtigt, es Schärfe zu
nennen: da diese beyde gestehen, wie Sie mir von
meiner Tante berichten, daß sie wider ihre Nei-
gungen genöthigt sind, sich wider mich zu verbin-
den, und das so gar in einer Sache, die meine
ewige Wohlfarth angehet.

Allein ich muß auf diese Weise nicht weiter
fortfahren. Denn kann die Neigung, welche
meine Mutter aufgegeben hat, nicht vielmehr die

Wirkung


Jch habe an meiner Tante guten Geſinnung
gegen mich nicht gezweifelt. An Jhrer Gewo-
genheit habe ich ebenfalls nicht gezweifelt. Al-
lein ſollen wir uns wundern, daß Koͤnige und
Fuͤrſten ſo wenig Einrede bey ihren Leidenſchaften
finden, wenn ſie auch noch ſo heftig ſind: da in
einer beſondern Familie eine Tante, ja ſo gar eine
Mutter in eben der Familie, ſich entſchließen mag,
lieber ein ehemals beguͤnſtigtes Kind gegen ihre
eigne Neigung aufzugeben, als einem hochfliegen-
den jungen Menſchen, der ſich mit dem Anſehn
eines Vaters gewaffnet hatte, welcher ſich, nach-
dem er einmal einen Schluß gefaſſet, niemals ein-
reden laſſen wollte, Widerſtand zu thun?

Wollen Sie mich nicht tadeln, wenn ich ſa-
ge, daß Verſtand und Klugheit, daß verwandt-
ſchaftliche Nachſicht, durch die Begegnung, wel-
che mir widerfahren iſt, ein wenig beleidigt ſeyn
muͤſſen, und wenn ich geſtehe, daß ich gedenke, es
ſey große Schaͤrfe wider mich gebrauchet? Und
gleichwohl bin ich nunmehr durch das Urtheil
zwoer vortrefflicher Schweſtern, meiner Mutter
und meiner Tante, berechtigt, es Schaͤrfe zu
nennen: da dieſe beyde geſtehen, wie Sie mir von
meiner Tante berichten, daß ſie wider ihre Nei-
gungen genoͤthigt ſind, ſich wider mich zu verbin-
den, und das ſo gar in einer Sache, die meine
ewige Wohlfarth angehet.

Allein ich muß auf dieſe Weiſe nicht weiter
fortfahren. Denn kann die Neigung, welche
meine Mutter aufgegeben hat, nicht vielmehr die

Wirkung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0131" n="125"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Jch habe an meiner Tante guten Ge&#x017F;innung<lb/>
gegen mich nicht gezweifelt. An Jhrer Gewo-<lb/>
genheit habe ich ebenfalls nicht gezweifelt. Al-<lb/>
lein &#x017F;ollen wir uns wundern, daß Ko&#x0364;nige und<lb/>
Fu&#x0364;r&#x017F;ten &#x017F;o wenig Einrede bey ihren Leiden&#x017F;chaften<lb/>
finden, wenn &#x017F;ie auch noch &#x017F;o heftig &#x017F;ind: da in<lb/>
einer be&#x017F;ondern Familie eine Tante, ja &#x017F;o gar eine<lb/>
Mutter in eben der Familie, &#x017F;ich ent&#x017F;chließen mag,<lb/>
lieber ein ehemals begu&#x0364;n&#x017F;tigtes Kind gegen ihre<lb/>
eigne Neigung aufzugeben, als einem hochfliegen-<lb/>
den jungen Men&#x017F;chen, der &#x017F;ich mit dem An&#x017F;ehn<lb/>
eines Vaters gewaffnet hatte, welcher &#x017F;ich, nach-<lb/>
dem er einmal einen Schluß gefa&#x017F;&#x017F;et, niemals ein-<lb/>
reden la&#x017F;&#x017F;en wollte, Wider&#x017F;tand zu thun?</p><lb/>
          <p>Wollen Sie mich nicht <hi rendition="#fr">tadeln,</hi> wenn ich &#x017F;a-<lb/>
ge, daß Ver&#x017F;tand und Klugheit, daß verwandt-<lb/>
&#x017F;chaftliche Nach&#x017F;icht, durch die Begegnung, wel-<lb/>
che mir widerfahren i&#x017F;t, ein wenig beleidigt &#x017F;eyn<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und wenn ich ge&#x017F;tehe, daß ich gedenke, es<lb/>
&#x017F;ey große Scha&#x0364;rfe wider mich gebrauchet? Und<lb/>
gleichwohl bin ich nunmehr durch das Urtheil<lb/>
zwoer vortrefflicher Schwe&#x017F;tern, meiner Mutter<lb/>
und meiner Tante, berechtigt, es <hi rendition="#fr">Scha&#x0364;rfe</hi> zu<lb/>
nennen: da die&#x017F;e beyde ge&#x017F;tehen, wie Sie mir von<lb/>
meiner Tante berichten, daß &#x017F;ie wider ihre Nei-<lb/>
gungen geno&#x0364;thigt &#x017F;ind, &#x017F;ich wider mich zu verbin-<lb/>
den, und das &#x017F;o gar in einer Sache, die meine<lb/>
ewige Wohlfarth angehet.</p><lb/>
          <p>Allein ich muß auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e nicht weiter<lb/>
fortfahren. Denn kann die Neigung, welche<lb/>
meine Mutter aufgegeben hat, nicht vielmehr die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Wirkung</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[125/0131] Jch habe an meiner Tante guten Geſinnung gegen mich nicht gezweifelt. An Jhrer Gewo- genheit habe ich ebenfalls nicht gezweifelt. Al- lein ſollen wir uns wundern, daß Koͤnige und Fuͤrſten ſo wenig Einrede bey ihren Leidenſchaften finden, wenn ſie auch noch ſo heftig ſind: da in einer beſondern Familie eine Tante, ja ſo gar eine Mutter in eben der Familie, ſich entſchließen mag, lieber ein ehemals beguͤnſtigtes Kind gegen ihre eigne Neigung aufzugeben, als einem hochfliegen- den jungen Menſchen, der ſich mit dem Anſehn eines Vaters gewaffnet hatte, welcher ſich, nach- dem er einmal einen Schluß gefaſſet, niemals ein- reden laſſen wollte, Widerſtand zu thun? Wollen Sie mich nicht tadeln, wenn ich ſa- ge, daß Verſtand und Klugheit, daß verwandt- ſchaftliche Nachſicht, durch die Begegnung, wel- che mir widerfahren iſt, ein wenig beleidigt ſeyn muͤſſen, und wenn ich geſtehe, daß ich gedenke, es ſey große Schaͤrfe wider mich gebrauchet? Und gleichwohl bin ich nunmehr durch das Urtheil zwoer vortrefflicher Schweſtern, meiner Mutter und meiner Tante, berechtigt, es Schaͤrfe zu nennen: da dieſe beyde geſtehen, wie Sie mir von meiner Tante berichten, daß ſie wider ihre Nei- gungen genoͤthigt ſind, ſich wider mich zu verbin- den, und das ſo gar in einer Sache, die meine ewige Wohlfarth angehet. Allein ich muß auf dieſe Weiſe nicht weiter fortfahren. Denn kann die Neigung, welche meine Mutter aufgegeben hat, nicht vielmehr die Wirkung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/131
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/131>, abgerufen am 27.11.2024.