verzehrenden Krankheit, mit der ich mich gequä- let habe, hätte ziehen mögen, nicht zu Nutze ge- macht, sondern alles auf den letzten Stand habe ankommen lassen: indem ich auf meine Genesung, ohne allen Grund zu hoffen, gehoffet, und die Buße so lange verschoben habe, bis diese Gnade mir versaget ist! Denn, o mein lieber Belford, ich kann itzo weder Buße thun, noch beten, wie ich sollte: mein Herz ist verhärtet, und ich kann nichts anders thun, als verzweifeln! - -
Er würde noch mehr gesaget haben. Weil ihn aber der Kummer und die Schwachheit über- strömte: so bog er sein Haupt auf seine geängste- te Brust nieder, und suchte vor den Augen des verhärteten Mowbray, der eben damals in das Zimmer trat, die Thränen zu verbergen, welche er nicht zurückhalten konnte.
Mowbray machte den Eingang zu seiner Un- terredung mit einem kaltsinnigen Ey! - betrübt, sehr betrübt, in Wahrheit, rief er, und setzte sich an der einen Seite des Bettes nieder, wie ich an der andern saß. Seine Augen waren halb ge- schlossen, seine Lippen bis an die aufgebogene Na- se herausgereckt, und sein Kinn, ein von dei- nen Beschreibungen zu gebrauchen, wie geronne- ne Milch zusammengelaufen, so daß man unge- wiß gelassen wurde, ob dähmische Schläfrigkeit, oder scharfes Nachdenken, sich seiner am meisten bemächtigt hatte.
Bey meiner Treue, Mowbray, sagte ich, es ist eine vortreffliche, wenn gleich unbequeme,
Lehre!
verzehrenden Krankheit, mit der ich mich gequaͤ- let habe, haͤtte ziehen moͤgen, nicht zu Nutze ge- macht, ſondern alles auf den letzten Stand habe ankommen laſſen: indem ich auf meine Geneſung, ohne allen Grund zu hoffen, gehoffet, und die Buße ſo lange verſchoben habe, bis dieſe Gnade mir verſaget iſt! Denn, o mein lieber Belford, ich kann itzo weder Buße thun, noch beten, wie ich ſollte: mein Herz iſt verhaͤrtet, und ich kann nichts anders thun, als verzweifeln! ‒ ‒
Er wuͤrde noch mehr geſaget haben. Weil ihn aber der Kummer und die Schwachheit uͤber- ſtroͤmte: ſo bog er ſein Haupt auf ſeine geaͤngſte- te Bruſt nieder, und ſuchte vor den Augen des verhaͤrteten Mowbray, der eben damals in das Zimmer trat, die Thraͤnen zu verbergen, welche er nicht zuruͤckhalten konnte.
Mowbray machte den Eingang zu ſeiner Un- terredung mit einem kaltſinnigen Ey! ‒ betruͤbt, ſehr betruͤbt, in Wahrheit, rief er, und ſetzte ſich an der einen Seite des Bettes nieder, wie ich an der andern ſaß. Seine Augen waren halb ge- ſchloſſen, ſeine Lippen bis an die aufgebogene Na- ſe herausgereckt, und ſein Kinn, ein von dei- nen Beſchreibungen zu gebrauchen, wie geronne- ne Milch zuſammengelaufen, ſo daß man unge- wiß gelaſſen wurde, ob daͤhmiſche Schlaͤfrigkeit, oder ſcharfes Nachdenken, ſich ſeiner am meiſten bemaͤchtigt hatte.
Bey meiner Treue, Mowbray, ſagte ich, es iſt eine vortreffliche, wenn gleich unbequeme,
Lehre!
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[16/0022]
verzehrenden Krankheit, mit der ich mich gequaͤ-
let habe, haͤtte ziehen moͤgen, nicht zu Nutze ge-
macht, ſondern alles auf den letzten Stand habe
ankommen laſſen: indem ich auf meine Geneſung,
ohne allen Grund zu hoffen, gehoffet, und die
Buße ſo lange verſchoben habe, bis dieſe Gnade
mir verſaget iſt! Denn, o mein lieber Belford,
ich kann itzo weder Buße thun, noch beten, wie
ich ſollte: mein Herz iſt verhaͤrtet, und ich kann
nichts anders thun, als verzweifeln! ‒ ‒
Er wuͤrde noch mehr geſaget haben. Weil
ihn aber der Kummer und die Schwachheit uͤber-
ſtroͤmte: ſo bog er ſein Haupt auf ſeine geaͤngſte-
te Bruſt nieder, und ſuchte vor den Augen des
verhaͤrteten Mowbray, der eben damals in das
Zimmer trat, die Thraͤnen zu verbergen, welche
er nicht zuruͤckhalten konnte.
Mowbray machte den Eingang zu ſeiner Un-
terredung mit einem kaltſinnigen Ey! ‒ betruͤbt,
ſehr betruͤbt, in Wahrheit, rief er, und ſetzte ſich
an der einen Seite des Bettes nieder, wie ich an
der andern ſaß. Seine Augen waren halb ge-
ſchloſſen, ſeine Lippen bis an die aufgebogene Na-
ſe herausgereckt, und ſein Kinn, ein von dei-
nen Beſchreibungen zu gebrauchen, wie geronne-
ne Milch zuſammengelaufen, ſo daß man unge-
wiß gelaſſen wurde, ob daͤhmiſche Schlaͤfrigkeit,
oder ſcharfes Nachdenken, ſich ſeiner am meiſten
bemaͤchtigt hatte.
Bey meiner Treue, Mowbray, ſagte ich,
es iſt eine vortreffliche, wenn gleich unbequeme,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/22>, abgerufen am 03.12.2024.
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