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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

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wenn sie sich mit diesen elenden Geschöpfen in ei-
ne Vertraulichkeit einläßt: indem offenbar ist, daß,
wenn sie sich jemals in die Gewalt einer Manns-
person begiebt, und um desselben willen ihre Eltern
oder Aufsehern verläßt, jedermann es mehr ihrem
Glücke, als ihrer Klugheit, zuschreiben werde,
wo es mit ihrer Tugend nicht ein Ende hat. Die
Mannsperson mag auch noch so böse und betrüge-
risch mit ihr verfahren: sie muß doch einen Theil
seiner strafbaren Bosheit auf sich nehmen.

Jch schreibe, wie es sich überhaupt und ge-
meiniglich verhält. Von Jhnen, wertheste
Freundinn, ist hiebey gar nicht die Frage. Jhre
Geschichte wird, wie ich schon sonst gesagt habe, so
wohl zu einer Warnung, als zu einem Vorbilde,
dienen (*). Denn wer wird wohl nicht schließen:
Wenn eine Person von Jhrem Vermögen, von
Jhrer Gemüthsart und von Jhren Verdiensten,
dem Verderben nicht entgehen konnte, nachdem
sie sich in die Gewalt ihres Raubthieres, ihrer
Hyene, begeben hatte; was kann denn ein unbe-
dachtsames, verliebtes, flüchtiges Frauenzimmer
erwarten?

Eine jede Mannsperson, wird man sagen, ist
kein Lovelace - - Das ist wahr: aber denn ist
auch nicht ein jedes Frauenzimmer eine Clarissa
- - Man mache für den einen und die andere ei-
ne Ausnahme: so muß das Beyspiel einen allge-
meinen Nutzen haben.

Jch
(*) Man sehe den IV. Theil, S. 31.



wenn ſie ſich mit dieſen elenden Geſchoͤpfen in ei-
ne Vertraulichkeit einlaͤßt: indem offenbar iſt, daß,
wenn ſie ſich jemals in die Gewalt einer Manns-
perſon begiebt, und um deſſelben willen ihre Eltern
oder Aufſehern verlaͤßt, jedermann es mehr ihrem
Gluͤcke, als ihrer Klugheit, zuſchreiben werde,
wo es mit ihrer Tugend nicht ein Ende hat. Die
Mannsperſon mag auch noch ſo boͤſe und betruͤge-
riſch mit ihr verfahren: ſie muß doch einen Theil
ſeiner ſtrafbaren Bosheit auf ſich nehmen.

Jch ſchreibe, wie es ſich uͤberhaupt und ge-
meiniglich verhaͤlt. Von Jhnen, wertheſte
Freundinn, iſt hiebey gar nicht die Frage. Jhre
Geſchichte wird, wie ich ſchon ſonſt geſagt habe, ſo
wohl zu einer Warnung, als zu einem Vorbilde,
dienen (*). Denn wer wird wohl nicht ſchließen:
Wenn eine Perſon von Jhrem Vermoͤgen, von
Jhrer Gemuͤthsart und von Jhren Verdienſten,
dem Verderben nicht entgehen konnte, nachdem
ſie ſich in die Gewalt ihres Raubthieres, ihrer
Hyene, begeben hatte; was kann denn ein unbe-
dachtſames, verliebtes, fluͤchtiges Frauenzimmer
erwarten?

Eine jede Mannsperſon, wird man ſagen, iſt
kein Lovelace ‒ ‒ Das iſt wahr: aber denn iſt
auch nicht ein jedes Frauenzimmer eine Clariſſa
‒ ‒ Man mache fuͤr den einen und die andere ei-
ne Ausnahme: ſo muß das Beyſpiel einen allge-
meinen Nutzen haben.

Jch
(*) Man ſehe den IV. Theil, S. 31.
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[304/0310] wenn ſie ſich mit dieſen elenden Geſchoͤpfen in ei- ne Vertraulichkeit einlaͤßt: indem offenbar iſt, daß, wenn ſie ſich jemals in die Gewalt einer Manns- perſon begiebt, und um deſſelben willen ihre Eltern oder Aufſehern verlaͤßt, jedermann es mehr ihrem Gluͤcke, als ihrer Klugheit, zuſchreiben werde, wo es mit ihrer Tugend nicht ein Ende hat. Die Mannsperſon mag auch noch ſo boͤſe und betruͤge- riſch mit ihr verfahren: ſie muß doch einen Theil ſeiner ſtrafbaren Bosheit auf ſich nehmen. Jch ſchreibe, wie es ſich uͤberhaupt und ge- meiniglich verhaͤlt. Von Jhnen, wertheſte Freundinn, iſt hiebey gar nicht die Frage. Jhre Geſchichte wird, wie ich ſchon ſonſt geſagt habe, ſo wohl zu einer Warnung, als zu einem Vorbilde, dienen (*). Denn wer wird wohl nicht ſchließen: Wenn eine Perſon von Jhrem Vermoͤgen, von Jhrer Gemuͤthsart und von Jhren Verdienſten, dem Verderben nicht entgehen konnte, nachdem ſie ſich in die Gewalt ihres Raubthieres, ihrer Hyene, begeben hatte; was kann denn ein unbe- dachtſames, verliebtes, fluͤchtiges Frauenzimmer erwarten? Eine jede Mannsperſon, wird man ſagen, iſt kein Lovelace ‒ ‒ Das iſt wahr: aber denn iſt auch nicht ein jedes Frauenzimmer eine Clariſſa ‒ ‒ Man mache fuͤr den einen und die andere ei- ne Ausnahme: ſo muß das Beyſpiel einen allge- meinen Nutzen haben. Jch (*) Man ſehe den IV. Theil, S. 31.

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/310>, abgerufen am 22.11.2024.