leicht deinen empfindlichen Kummer ein wenig un- terbrechen: wenigstens kann es dieß nach Verlauf einiger Zeit thun; wo nicht itzo.
Was für elende Geschöpfe giebt es in der Welt! Was für wunderlich gemischte Gemüths- arten! - - So empfindlich und so thöricht zu- gleich! Was für ein mannichfaltiges, was für ein thörichtes Geschöpfe ist der Mensch! - -
Um drey.
Die Fräulein hat eben ihren Brief zu Ende gebracht, und die Fr. Lovick, Fr. Smithinn und mich mit einer vortrefflichen Unterredung von der Eitelkeit und Kürze des Lebens unterhalten. Jch kann sie nicht vollkommen wiederholen: und, in Wahrheit, ich bin um sie so bekümmert, daß, so krank sie auch ist, mein Verstand nicht halb so aufgekläret ist, als der ihrige.
Auf einige wenige Dinge, die so wohl wegen der Betrachtungen selbst, als wegen der Art und Weise, womit sie sie vortrug, den stärksten Ein- druck bey mir machten, besinne ich mich. Sie brachte sie folgendergestalt vor:
Jch denke, sprach sie, was für einen allmähli- gen und glücklichen Tod mir Gott der Allmäch- tige; gelobet sey sein Name! verleihet! Wer hät- te denken sollen, daß, nach allem dem, was ich ge- litten habe, und so verlassen als ich gewesen bin, bey einer so zärtlichen Erziehung, ich so langsam sterben würde! - - Allein man sehe, wie es nach und nach so weit gekommen ist. Zuerst ward
mir
leicht deinen empfindlichen Kummer ein wenig un- terbrechen: wenigſtens kann es dieß nach Verlauf einiger Zeit thun; wo nicht itzo.
Was fuͤr elende Geſchoͤpfe giebt es in der Welt! Was fuͤr wunderlich gemiſchte Gemuͤths- arten! ‒ ‒ So empfindlich und ſo thoͤricht zu- gleich! Was fuͤr ein mannichfaltiges, was fuͤr ein thoͤrichtes Geſchoͤpfe iſt der Menſch! ‒ ‒
Um drey.
Die Fraͤulein hat eben ihren Brief zu Ende gebracht, und die Fr. Lovick, Fr. Smithinn und mich mit einer vortrefflichen Unterredung von der Eitelkeit und Kuͤrze des Lebens unterhalten. Jch kann ſie nicht vollkommen wiederholen: und, in Wahrheit, ich bin um ſie ſo bekuͤmmert, daß, ſo krank ſie auch iſt, mein Verſtand nicht halb ſo aufgeklaͤret iſt, als der ihrige.
Auf einige wenige Dinge, die ſo wohl wegen der Betrachtungen ſelbſt, als wegen der Art und Weiſe, womit ſie ſie vortrug, den ſtaͤrkſten Ein- druck bey mir machten, beſinne ich mich. Sie brachte ſie folgendergeſtalt vor:
Jch denke, ſprach ſie, was fuͤr einen allmaͤhli- gen und gluͤcklichen Tod mir Gott der Allmaͤch- tige; gelobet ſey ſein Name! verleihet! Wer haͤt- te denken ſollen, daß, nach allem dem, was ich ge- litten habe, und ſo verlaſſen als ich geweſen bin, bey einer ſo zaͤrtlichen Erziehung, ich ſo langſam ſterben wuͤrde! ‒ ‒ Allein man ſehe, wie es nach und nach ſo weit gekommen iſt. Zuerſt ward
mir
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0382"n="376"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
leicht deinen empfindlichen Kummer ein wenig un-<lb/>
terbrechen: wenigſtens kann es dieß nach Verlauf<lb/>
einiger Zeit thun; wo nicht itzo.</p><lb/><p>Was fuͤr elende Geſchoͤpfe giebt es in der<lb/>
Welt! Was fuͤr wunderlich gemiſchte Gemuͤths-<lb/>
arten! ‒‒ So empfindlich und ſo thoͤricht zu-<lb/>
gleich! Was fuͤr ein <hirendition="#fr">mannichfaltiges,</hi> was fuͤr<lb/>
ein <hirendition="#fr">thoͤrichtes</hi> Geſchoͤpfe iſt der Menſch! ‒‒</p></div><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Um drey.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>ie Fraͤulein hat eben ihren Brief zu Ende<lb/>
gebracht, und die Fr. Lovick, Fr. Smithinn<lb/>
und mich mit einer vortrefflichen Unterredung von<lb/>
der Eitelkeit und Kuͤrze des Lebens unterhalten.<lb/>
Jch kann ſie nicht vollkommen wiederholen: und,<lb/>
in Wahrheit, ich bin um ſie ſo bekuͤmmert, daß,<lb/>ſo krank ſie auch iſt, mein Verſtand nicht halb ſo<lb/>
aufgeklaͤret iſt, als der ihrige.</p><lb/><p>Auf einige wenige Dinge, die ſo wohl wegen<lb/>
der Betrachtungen ſelbſt, als wegen der Art und<lb/>
Weiſe, womit ſie ſie vortrug, den ſtaͤrkſten Ein-<lb/>
druck bey mir machten, beſinne ich mich. Sie<lb/>
brachte ſie folgendergeſtalt vor:</p><lb/><p>Jch denke, ſprach ſie, was fuͤr einen allmaͤhli-<lb/>
gen und gluͤcklichen Tod mir Gott der Allmaͤch-<lb/>
tige; gelobet ſey ſein Name! verleihet! Wer haͤt-<lb/>
te denken ſollen, daß, nach allem dem, was ich ge-<lb/>
litten habe, und ſo verlaſſen als ich geweſen bin,<lb/>
bey einer ſo zaͤrtlichen Erziehung, ich ſo langſam<lb/>ſterben wuͤrde! ‒‒ Allein man ſehe, wie es nach<lb/>
und nach ſo weit gekommen iſt. Zuerſt ward<lb/><fwplace="bottom"type="catch">mir</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[376/0382]
leicht deinen empfindlichen Kummer ein wenig un-
terbrechen: wenigſtens kann es dieß nach Verlauf
einiger Zeit thun; wo nicht itzo.
Was fuͤr elende Geſchoͤpfe giebt es in der
Welt! Was fuͤr wunderlich gemiſchte Gemuͤths-
arten! ‒ ‒ So empfindlich und ſo thoͤricht zu-
gleich! Was fuͤr ein mannichfaltiges, was fuͤr
ein thoͤrichtes Geſchoͤpfe iſt der Menſch! ‒ ‒
Um drey.
Die Fraͤulein hat eben ihren Brief zu Ende
gebracht, und die Fr. Lovick, Fr. Smithinn
und mich mit einer vortrefflichen Unterredung von
der Eitelkeit und Kuͤrze des Lebens unterhalten.
Jch kann ſie nicht vollkommen wiederholen: und,
in Wahrheit, ich bin um ſie ſo bekuͤmmert, daß,
ſo krank ſie auch iſt, mein Verſtand nicht halb ſo
aufgeklaͤret iſt, als der ihrige.
Auf einige wenige Dinge, die ſo wohl wegen
der Betrachtungen ſelbſt, als wegen der Art und
Weiſe, womit ſie ſie vortrug, den ſtaͤrkſten Ein-
druck bey mir machten, beſinne ich mich. Sie
brachte ſie folgendergeſtalt vor:
Jch denke, ſprach ſie, was fuͤr einen allmaͤhli-
gen und gluͤcklichen Tod mir Gott der Allmaͤch-
tige; gelobet ſey ſein Name! verleihet! Wer haͤt-
te denken ſollen, daß, nach allem dem, was ich ge-
litten habe, und ſo verlaſſen als ich geweſen bin,
bey einer ſo zaͤrtlichen Erziehung, ich ſo langſam
ſterben wuͤrde! ‒ ‒ Allein man ſehe, wie es nach
und nach ſo weit gekommen iſt. Zuerſt ward
mir
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/382>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.