haben; selbst in einen Leben, das wir eben nicht für sehr böse halten mögen! - - Sollten wir denn nicht billig bey hellem Tage, ehe die dunkeln Stunden kommen, so zu leben suchen, daß es uns Betrachtungen an die Hand gebe, welche die Angst der letzten Stunden, wenn sie hereinbrechen, lindern, und auf die abscheidende Seele einen Strahl göttlicher Gnade, ihren Weg zu einer fürchterlichen Ewigkeit zu erleuchten, hereinlassen werden?
Sie wäre bald in Ohnmacht gefallen: und weil sie sich gern niederlegen wollte; so ging ich weg, ich darf nicht erst sagen mit niedergeschlage- nem Herzen. Da ich aber in mein neubezognes Zimmer kam, ward mein Herz durch den Anblick des feyerlichen Briefes, den die bewundernswür- dige Fräulein vor so kurzer Zeit erst geendigt hat- te, noch mehr gerühret. Er ward mir von der Fr. Lovick gezeiget, die ihn für mich abzuschreiben hatte: er sollte mir aber nicht eher, als nach ih- rem Hingange, eingehändigt werden. Dem un- geachtet übertrat ich diese Vorschrift in so weit, daß ich die Witwe beredete, mich eine Abschrift davon nehmen zu lassen: welches ich denn also- bald in abgekürzter Schreibart that.
Jch überschicke sie eingeschlossen. Wo du sie lesen kannst, und dein Herz nicht aus deinen An- gen blutet: so kann die Regung deines Gewissens schwerlich so groß seyn, als du mich zu denken geneigt gemachet hast.
Der
haben; ſelbſt in einen Leben, das wir eben nicht fuͤr ſehr boͤſe halten moͤgen! ‒ ‒ Sollten wir denn nicht billig bey hellem Tage, ehe die dunkeln Stunden kommen, ſo zu leben ſuchen, daß es uns Betrachtungen an die Hand gebe, welche die Angſt der letzten Stunden, wenn ſie hereinbrechen, lindern, und auf die abſcheidende Seele einen Strahl goͤttlicher Gnade, ihren Weg zu einer fuͤrchterlichen Ewigkeit zu erleuchten, hereinlaſſen werden?
Sie waͤre bald in Ohnmacht gefallen: und weil ſie ſich gern niederlegen wollte; ſo ging ich weg, ich darf nicht erſt ſagen mit niedergeſchlage- nem Herzen. Da ich aber in mein neubezognes Zimmer kam, ward mein Herz durch den Anblick des feyerlichen Briefes, den die bewundernswuͤr- dige Fraͤulein vor ſo kurzer Zeit erſt geendigt hat- te, noch mehr geruͤhret. Er ward mir von der Fr. Lovick gezeiget, die ihn fuͤr mich abzuſchreiben hatte: er ſollte mir aber nicht eher, als nach ih- rem Hingange, eingehaͤndigt werden. Dem un- geachtet uͤbertrat ich dieſe Vorſchrift in ſo weit, daß ich die Witwe beredete, mich eine Abſchrift davon nehmen zu laſſen: welches ich denn alſo- bald in abgekuͤrzter Schreibart that.
Jch uͤberſchicke ſie eingeſchloſſen. Wo du ſie leſen kannſt, und dein Herz nicht aus deinen An- gen blutet: ſo kann die Regung deines Gewiſſens ſchwerlich ſo groß ſeyn, als du mich zu denken geneigt gemachet haſt.
Der
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haben; ſelbſt in einen Leben, das wir eben nicht
fuͤr ſehr boͤſe halten moͤgen! ‒ ‒ Sollten wir denn
nicht billig bey hellem Tage, ehe die dunkeln
Stunden kommen, ſo zu leben ſuchen, daß es uns
Betrachtungen an die Hand gebe, welche die
Angſt der letzten Stunden, wenn ſie hereinbrechen,
lindern, und auf die abſcheidende Seele einen
Strahl goͤttlicher Gnade, ihren Weg zu einer
fuͤrchterlichen Ewigkeit zu erleuchten, hereinlaſſen
werden?
Sie waͤre bald in Ohnmacht gefallen: und
weil ſie ſich gern niederlegen wollte; ſo ging ich
weg, ich darf nicht erſt ſagen mit niedergeſchlage-
nem Herzen. Da ich aber in mein neubezognes
Zimmer kam, ward mein Herz durch den Anblick
des feyerlichen Briefes, den die bewundernswuͤr-
dige Fraͤulein vor ſo kurzer Zeit erſt geendigt hat-
te, noch mehr geruͤhret. Er ward mir von der
Fr. Lovick gezeiget, die ihn fuͤr mich abzuſchreiben
hatte: er ſollte mir aber nicht eher, als nach ih-
rem Hingange, eingehaͤndigt werden. Dem un-
geachtet uͤbertrat ich dieſe Vorſchrift in ſo weit,
daß ich die Witwe beredete, mich eine Abſchrift
davon nehmen zu laſſen: welches ich denn alſo-
bald in abgekuͤrzter Schreibart that.
Jch uͤberſchicke ſie eingeſchloſſen. Wo du ſie
leſen kannſt, und dein Herz nicht aus deinen An-
gen blutet: ſo kann die Regung deines Gewiſſens
ſchwerlich ſo groß ſeyn, als du mich zu denken
geneigt gemachet haſt.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/385>, abgerufen am 22.11.2024.
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