Sie glaubte, er könnte es thun, war ihre Ant- wort: denn die Lehne von ihrem Stuhl wäre ge- gen die Thür gekehret.
Er sagte, er wollte sich bemühen, wenn sie er- wachen sollte, alsobald wegzukommen, damit sie über seinen unvermutheten Anblick nicht in Be- stürzung geriethe.
Fr. Smithinn stieg vor uns hinauf und em- pfahl der Fr. Lovick und der Wärterinn, sich nicht zu rühren, wenn wir hineintreten würden. Da- rauf gingen wir leise mit einander hinauf.
Wir sahen die Fräulein in einer reizenden Stellung. Sie war, wie ich euch vorher gemel- det habe, in ihrer jüngferlichen Farbe, weiß, ge- kleidet, und saß in ihrem Lehnstuhl. Auf einem andern Stuhl saß Fr. Lovick ganz nahe bey ihr, und hatte ihren linken Arm um den Hals der Fräulein geschlagen, wodurch sie ihren Kopf stütz- te. Denn die Fräulein, scheint es, hatte es so von ihr verlanget, und gesagt, Fr. Lovick wäre ei- ne Mutter gegen sie gewesen, sie wollte sich also in der Vorstellung vergnügen, als wenn sie in ih- rer Mutter Armen wäre, weil sie fände, daß sie schläfrig wäre, vielleicht zum letzten male.
Eine von den verblüheten Wangen ruhete auf dem Busem der guten Frauen, und von der freundschaftlichen Wärme desselben war sie mit einer schwachen, aber schönen Röthe überzogen: die andre war blasser und eingefallen, als wenn sie schon durch den Tod mit Eis bedeckt wäre. Jh- re Hände, welche so weiß waren als die Lilien, mit
ihren
D d 5
Sie glaubte, er koͤnnte es thun, war ihre Ant- wort: denn die Lehne von ihrem Stuhl waͤre ge- gen die Thuͤr gekehret.
Er ſagte, er wollte ſich bemuͤhen, wenn ſie er- wachen ſollte, alſobald wegzukommen, damit ſie uͤber ſeinen unvermutheten Anblick nicht in Be- ſtuͤrzung geriethe.
Fr. Smithinn ſtieg vor uns hinauf und em- pfahl der Fr. Lovick und der Waͤrterinn, ſich nicht zu ruͤhren, wenn wir hineintreten wuͤrden. Da- rauf gingen wir leiſe mit einander hinauf.
Wir ſahen die Fraͤulein in einer reizenden Stellung. Sie war, wie ich euch vorher gemel- det habe, in ihrer juͤngferlichen Farbe, weiß, ge- kleidet, und ſaß in ihrem Lehnſtuhl. Auf einem andern Stuhl ſaß Fr. Lovick ganz nahe bey ihr, und hatte ihren linken Arm um den Hals der Fraͤulein geſchlagen, wodurch ſie ihren Kopf ſtuͤtz- te. Denn die Fraͤulein, ſcheint es, hatte es ſo von ihr verlanget, und geſagt, Fr. Lovick waͤre ei- ne Mutter gegen ſie geweſen, ſie wollte ſich alſo in der Vorſtellung vergnuͤgen, als wenn ſie in ih- rer Mutter Armen waͤre, weil ſie faͤnde, daß ſie ſchlaͤfrig waͤre, vielleicht zum letzten male.
Eine von den verbluͤheten Wangen ruhete auf dem Buſem der guten Frauen, und von der freundſchaftlichen Waͤrme deſſelben war ſie mit einer ſchwachen, aber ſchoͤnen Roͤthe uͤberzogen: die andre war blaſſer und eingefallen, als wenn ſie ſchon durch den Tod mit Eis bedeckt waͤre. Jh- re Haͤnde, welche ſo weiß waren als die Lilien, mit
ihren
D d 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0431"n="425"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Sie glaubte, er koͤnnte es thun, war ihre Ant-<lb/>
wort: denn die Lehne von ihrem Stuhl waͤre ge-<lb/>
gen die Thuͤr gekehret.</p><lb/><p>Er ſagte, er wollte ſich bemuͤhen, wenn ſie er-<lb/>
wachen ſollte, alſobald wegzukommen, damit ſie<lb/>
uͤber ſeinen unvermutheten Anblick nicht in Be-<lb/>ſtuͤrzung geriethe.</p><lb/><p>Fr. Smithinn ſtieg vor uns hinauf und em-<lb/>
pfahl der Fr. Lovick und der Waͤrterinn, ſich nicht<lb/>
zu ruͤhren, wenn wir hineintreten wuͤrden. Da-<lb/>
rauf gingen wir leiſe mit einander hinauf.</p><lb/><p>Wir ſahen die Fraͤulein in einer reizenden<lb/>
Stellung. Sie war, wie ich euch vorher gemel-<lb/>
det habe, in ihrer juͤngferlichen Farbe, weiß, ge-<lb/>
kleidet, und ſaß in ihrem Lehnſtuhl. Auf einem<lb/>
andern Stuhl ſaß Fr. Lovick ganz nahe bey ihr,<lb/>
und hatte ihren linken Arm um den Hals der<lb/>
Fraͤulein geſchlagen, wodurch ſie ihren Kopf ſtuͤtz-<lb/>
te. Denn die Fraͤulein, ſcheint es, hatte es ſo<lb/>
von ihr verlanget, und geſagt, Fr. Lovick waͤre ei-<lb/>
ne Mutter gegen ſie geweſen, ſie wollte ſich alſo<lb/>
in der Vorſtellung vergnuͤgen, als wenn ſie in ih-<lb/>
rer Mutter Armen waͤre, weil ſie faͤnde, daß ſie<lb/>ſchlaͤfrig waͤre, vielleicht zum letzten male.</p><lb/><p>Eine von den verbluͤheten Wangen ruhete auf<lb/>
dem Buſem der guten Frauen, und von der<lb/>
freundſchaftlichen Waͤrme deſſelben war ſie mit<lb/>
einer ſchwachen, aber ſchoͤnen Roͤthe uͤberzogen:<lb/>
die andre war blaſſer und eingefallen, als wenn ſie<lb/>ſchon durch den Tod mit Eis bedeckt waͤre. Jh-<lb/>
re Haͤnde, welche ſo weiß waren als die Lilien, mit<lb/><fwplace="bottom"type="sig">D d 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">ihren</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[425/0431]
Sie glaubte, er koͤnnte es thun, war ihre Ant-
wort: denn die Lehne von ihrem Stuhl waͤre ge-
gen die Thuͤr gekehret.
Er ſagte, er wollte ſich bemuͤhen, wenn ſie er-
wachen ſollte, alſobald wegzukommen, damit ſie
uͤber ſeinen unvermutheten Anblick nicht in Be-
ſtuͤrzung geriethe.
Fr. Smithinn ſtieg vor uns hinauf und em-
pfahl der Fr. Lovick und der Waͤrterinn, ſich nicht
zu ruͤhren, wenn wir hineintreten wuͤrden. Da-
rauf gingen wir leiſe mit einander hinauf.
Wir ſahen die Fraͤulein in einer reizenden
Stellung. Sie war, wie ich euch vorher gemel-
det habe, in ihrer juͤngferlichen Farbe, weiß, ge-
kleidet, und ſaß in ihrem Lehnſtuhl. Auf einem
andern Stuhl ſaß Fr. Lovick ganz nahe bey ihr,
und hatte ihren linken Arm um den Hals der
Fraͤulein geſchlagen, wodurch ſie ihren Kopf ſtuͤtz-
te. Denn die Fraͤulein, ſcheint es, hatte es ſo
von ihr verlanget, und geſagt, Fr. Lovick waͤre ei-
ne Mutter gegen ſie geweſen, ſie wollte ſich alſo
in der Vorſtellung vergnuͤgen, als wenn ſie in ih-
rer Mutter Armen waͤre, weil ſie faͤnde, daß ſie
ſchlaͤfrig waͤre, vielleicht zum letzten male.
Eine von den verbluͤheten Wangen ruhete auf
dem Buſem der guten Frauen, und von der
freundſchaftlichen Waͤrme deſſelben war ſie mit
einer ſchwachen, aber ſchoͤnen Roͤthe uͤberzogen:
die andre war blaſſer und eingefallen, als wenn ſie
ſchon durch den Tod mit Eis bedeckt waͤre. Jh-
re Haͤnde, welche ſo weiß waren als die Lilien, mit
ihren
D d 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/431>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.