das ganze Haus ist zu Bette: aber niemand von allen; und am wenigsten unter allen, darf ich wohl sagen, ihr Vetter; um zu schlafen.
Um vier Uhr, wie ich in meinem letztern ge- meldet habe, ward ich hinuntergerufen: und weil du an meinen Beschreibungen Gefallen zu haben pflegtest; so will ich dir das traurige Schauspiel, das sich mir zeigte, als ich an das Bette kam, vorstellen.
Der Obrist war der erste, welcher meine Auf- merksamkeit an sich zog. Er lag an der einen Sei- te des Bettes auf den Knieen und hatte die rech- te Hand der Fräulein in seinen beyden Händen. Sein Angesicht bedeckte dieselbe, und er netzte sie mit seinen Thränen: ob sie ihn gleich, wie mir die Weibsleute nachher erzählet haben, in erhabe- nen Ausdrücken, aber mit gebrochener Sprache, getröstet hatte.
An der andern Seite von dem Bette saß die gute Witwe. Jhr Gesicht war von Thränen überschwemmet, und ihr Kopf, in einem höchst untröstbaren Zustande, gegen das Bette, wo das Haupt lieget, gelehnet. So bald sie mich sahe, wandte sie ihr Gesicht zu mir. O Herr Belford, rief sie, mit gefaltenen Händen - - die liebe Fräulein - - und ein schweres Gluchsen erlaubte ihr nichts mehr zu sagen.
Fr. Smithinn lag mit zusammengeschlagenen Händen und aufgehabenen Augen, als wenn sie die einzige Kraft, welche Hülfe schaffen konnte, um Hülfe anflehete, zu den Füßen am Bette auf den
Knieen,
das ganze Haus iſt zu Bette: aber niemand von allen; und am wenigſten unter allen, darf ich wohl ſagen, ihr Vetter; um zu ſchlafen.
Um vier Uhr, wie ich in meinem letztern ge- meldet habe, ward ich hinuntergerufen: und weil du an meinen Beſchreibungen Gefallen zu haben pflegteſt; ſo will ich dir das traurige Schauſpiel, das ſich mir zeigte, als ich an das Bette kam, vorſtellen.
Der Obriſt war der erſte, welcher meine Auf- merkſamkeit an ſich zog. Er lag an der einen Sei- te des Bettes auf den Knieen und hatte die rech- te Hand der Fraͤulein in ſeinen beyden Haͤnden. Sein Angeſicht bedeckte dieſelbe, und er netzte ſie mit ſeinen Thraͤnen: ob ſie ihn gleich, wie mir die Weibsleute nachher erzaͤhlet haben, in erhabe- nen Ausdruͤcken, aber mit gebrochener Sprache, getroͤſtet hatte.
An der andern Seite von dem Bette ſaß die gute Witwe. Jhr Geſicht war von Thraͤnen uͤberſchwemmet, und ihr Kopf, in einem hoͤchſt untroͤſtbaren Zuſtande, gegen das Bette, wo das Haupt lieget, gelehnet. So bald ſie mich ſahe, wandte ſie ihr Geſicht zu mir. O Herr Belford, rief ſie, mit gefaltenen Haͤnden ‒ ‒ die liebe Fraͤulein ‒ ‒ und ein ſchweres Gluchſen erlaubte ihr nichts mehr zu ſagen.
Fr. Smithinn lag mit zuſammengeſchlagenen Haͤnden und aufgehabenen Augen, als wenn ſie die einzige Kraft, welche Huͤlfe ſchaffen konnte, um Huͤlfe anflehete, zu den Fuͤßen am Bette auf den
Knieen,
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das ganze Haus iſt zu Bette: aber niemand von
allen; und am wenigſten unter allen, darf ich wohl
ſagen, ihr Vetter; um zu ſchlafen.
Um vier Uhr, wie ich in meinem letztern ge-
meldet habe, ward ich hinuntergerufen: und weil
du an meinen Beſchreibungen Gefallen zu haben
pflegteſt; ſo will ich dir das traurige Schauſpiel,
das ſich mir zeigte, als ich an das Bette kam,
vorſtellen.
Der Obriſt war der erſte, welcher meine Auf-
merkſamkeit an ſich zog. Er lag an der einen Sei-
te des Bettes auf den Knieen und hatte die rech-
te Hand der Fraͤulein in ſeinen beyden Haͤnden.
Sein Angeſicht bedeckte dieſelbe, und er netzte ſie
mit ſeinen Thraͤnen: ob ſie ihn gleich, wie mir
die Weibsleute nachher erzaͤhlet haben, in erhabe-
nen Ausdruͤcken, aber mit gebrochener Sprache,
getroͤſtet hatte.
An der andern Seite von dem Bette ſaß die
gute Witwe. Jhr Geſicht war von Thraͤnen
uͤberſchwemmet, und ihr Kopf, in einem hoͤchſt
untroͤſtbaren Zuſtande, gegen das Bette, wo das
Haupt lieget, gelehnet. So bald ſie mich ſahe,
wandte ſie ihr Geſicht zu mir. O Herr Belford,
rief ſie, mit gefaltenen Haͤnden ‒ ‒ die liebe
Fraͤulein ‒ ‒ und ein ſchweres Gluchſen erlaubte
ihr nichts mehr zu ſagen.
Fr. Smithinn lag mit zuſammengeſchlagenen
Haͤnden und aufgehabenen Augen, als wenn ſie
die einzige Kraft, welche Huͤlfe ſchaffen konnte, um
Huͤlfe anflehete, zu den Fuͤßen am Bette auf den
Knieen,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/462>, abgerufen am 22.11.2024.
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