Es ist auch nicht zu verwundern: wenn man bedenkt, daß nebst dem mannichfaltigen übeln Ge- ruch, den man allemal in einem verschlossenen Zimmer mit einem Krankenbette finden wird, weil gemeiniglich, wenn der Arzt kommt, die Lust ausgeschlossen wird, der von der Fr. Sinclair um so viel mehr besonders widrig war, da zu dem Ge- ruch von Pflastern, Umschlägen und Salben, der Gestank von gebrannten und ungebrannten star- ken Wassern aller Art hinzukam. Denn alle die Zeit über, die ich da war, rief beständig die eine oder die andere, unter dem Vorwand von Coliken, Schneiden im Leibe, Uebelkeiten, oder Aufwal- lungen, über frischen Vorath von denselbigen. Gleichwohl wird dieß für ein manierliches Haus von der Art gehalten: und alle liederliche Weibs- bilder in demselben lassen es sich theuer bezahlen, und die sie besuchen, sind Leute von Stande.
O Lovelace! was für ein Leben führen die meisten von uns liederlichen Brüdern und Freun- den der so genannten freyen Lebensart! Was für Gesellschaft halten wir! Und was für Gesellschaft schlagen wir um solcher willen aus, oder suchen sie derselben gleich zu machen!
Welches Frauenzimmer, das etwas Bedenk- lichkeit in Ansehung ihrer Person, und eine unbe- fleckte Tugend in Ansehung ihres Gemühs und Betragens besitzet, würde nicht, wenn sie wüßte, was für unflätige Welzbälge die meisten von un- serer Art Leuten an sich selbst sind, und beständig an einem Troge und in einem Stalle um sich ha-
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Es iſt auch nicht zu verwundern: wenn man bedenkt, daß nebſt dem mannichfaltigen uͤbeln Ge- ruch, den man allemal in einem verſchloſſenen Zimmer mit einem Krankenbette finden wird, weil gemeiniglich, wenn der Arzt kommt, die Luſt ausgeſchloſſen wird, der von der Fr. Sinclair um ſo viel mehr beſonders widrig war, da zu dem Ge- ruch von Pflaſtern, Umſchlaͤgen und Salben, der Geſtank von gebrannten und ungebrannten ſtar- ken Waſſern aller Art hinzukam. Denn alle die Zeit uͤber, die ich da war, rief beſtaͤndig die eine oder die andere, unter dem Vorwand von Coliken, Schneiden im Leibe, Uebelkeiten, oder Aufwal- lungen, uͤber friſchen Vorath von denſelbigen. Gleichwohl wird dieß fuͤr ein manierliches Haus von der Art gehalten: und alle liederliche Weibs- bilder in demſelben laſſen es ſich theuer bezahlen, und die ſie beſuchen, ſind Leute von Stande.
O Lovelace! was fuͤr ein Leben fuͤhren die meiſten von uns liederlichen Bruͤdern und Freun- den der ſo genannten freyen Lebensart! Was fuͤr Geſellſchaft halten wir! Und was fuͤr Geſellſchaft ſchlagen wir um ſolcher willen aus, oder ſuchen ſie derſelben gleich zu machen!
Welches Frauenzimmer, das etwas Bedenk- lichkeit in Anſehung ihrer Perſon, und eine unbe- fleckte Tugend in Anſehung ihres Gemuͤhs und Betragens beſitzet, wuͤrde nicht, wenn ſie wuͤßte, was fuͤr unflaͤtige Welzbaͤlge die meiſten von un- ſerer Art Leuten an ſich ſelbſt ſind, und beſtaͤndig an einem Troge und in einem Stalle um ſich ha-
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Es iſt auch nicht zu verwundern: wenn man
bedenkt, daß nebſt dem mannichfaltigen uͤbeln Ge-
ruch, den man allemal in einem verſchloſſenen
Zimmer mit einem Krankenbette finden wird,
weil gemeiniglich, wenn der Arzt kommt, die Luſt
ausgeſchloſſen wird, der von der Fr. Sinclair um
ſo viel mehr beſonders widrig war, da zu dem Ge-
ruch von Pflaſtern, Umſchlaͤgen und Salben, der
Geſtank von gebrannten und ungebrannten ſtar-
ken Waſſern aller Art hinzukam. Denn alle die
Zeit uͤber, die ich da war, rief beſtaͤndig die eine
oder die andere, unter dem Vorwand von Coliken,
Schneiden im Leibe, Uebelkeiten, oder Aufwal-
lungen, uͤber friſchen Vorath von denſelbigen.
Gleichwohl wird dieß fuͤr ein manierliches Haus
von der Art gehalten: und alle liederliche Weibs-
bilder in demſelben laſſen es ſich theuer bezahlen,
und die ſie beſuchen, ſind Leute von Stande.
O Lovelace! was fuͤr ein Leben fuͤhren die
meiſten von uns liederlichen Bruͤdern und Freun-
den der ſo genannten freyen Lebensart! Was fuͤr
Geſellſchaft halten wir! Und was fuͤr Geſellſchaft
ſchlagen wir um ſolcher willen aus, oder ſuchen
ſie derſelben gleich zu machen!
Welches Frauenzimmer, das etwas Bedenk-
lichkeit in Anſehung ihrer Perſon, und eine unbe-
fleckte Tugend in Anſehung ihres Gemuͤhs und
Betragens beſitzet, wuͤrde nicht, wenn ſie wuͤßte,
was fuͤr unflaͤtige Welzbaͤlge die meiſten von un-
ſerer Art Leuten an ſich ſelbſt ſind, und beſtaͤndig
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 560. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/566>, abgerufen am 22.11.2024.
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