Man sagt, Herr Solmes sey in einer entfern- ten Ecke der Kirche, in einem Reitrock eingehül- let, gewesen, und habe zu verschiednen malen Thränen vergossen. Allein ich habe ihn nicht ge- sehen.
Ein anderer Cavallier war als ein Unbekann- ter zugegen und stand in einem Stuhl nahe an dem Eingange zur Gruft. Man würde ihn nicht gemerket haben, wenn er nicht in so große Bewegung gerathen wäre, da er über seinen Stuhl sahe, als der Sarg an seinen letzten Ort versenket wurde. Dieß war der Fräulein Howe würdiger Verehrer, Herr Hickmann.
Meine Vettern Johann und Anton und ihr Enkel Jakob hatten nicht Lust, in die Gruft un- ter ihre verstorbene Voreltern hinunterzusteigen.
Die Fräulein Harlowe war äußerst gerühret. Jhr Gewissen so wohl als ihre Liebe nahm bey dieser Gelegenheit Antheil. Sie wollte mit der Leiche ihrer lieben, ihrer einzigen Schwester hin- untersteigen, sagte sie: aber ihr Bruder wollte es nicht zulassen. Jhr überschwemmtes Auge ver- folgte den Sarg, bis sie nichts mehr davon sehen konnte: und dann warf sie sich auf den Sitz nie- der, und war nahe bey einer Ohnmacht.
Jch begleitete die Leiche hinunter, damit ich nicht allein mich selbst, sondern auch Sie, mein Herr, den Ausrichter ihres Testaments, befriedigen möchte, daß, sie wie sie verordnet hatte, zu den Füßen ihres Großvaters niedergesetzet worden.
Herr
Man ſagt, Herr Solmes ſey in einer entfern- ten Ecke der Kirche, in einem Reitrock eingehuͤl- let, geweſen, und habe zu verſchiednen malen Thraͤnen vergoſſen. Allein ich habe ihn nicht ge- ſehen.
Ein anderer Cavallier war als ein Unbekann- ter zugegen und ſtand in einem Stuhl nahe an dem Eingange zur Gruft. Man wuͤrde ihn nicht gemerket haben, wenn er nicht in ſo große Bewegung gerathen waͤre, da er uͤber ſeinen Stuhl ſahe, als der Sarg an ſeinen letzten Ort verſenket wurde. Dieß war der Fraͤulein Howe wuͤrdiger Verehrer, Herr Hickmann.
Meine Vettern Johann und Anton und ihr Enkel Jakob hatten nicht Luſt, in die Gruft un- ter ihre verſtorbene Voreltern hinunterzuſteigen.
Die Fraͤulein Harlowe war aͤußerſt geruͤhret. Jhr Gewiſſen ſo wohl als ihre Liebe nahm bey dieſer Gelegenheit Antheil. Sie wollte mit der Leiche ihrer lieben, ihrer einzigen Schweſter hin- unterſteigen, ſagte ſie: aber ihr Bruder wollte es nicht zulaſſen. Jhr uͤberſchwemmtes Auge ver- folgte den Sarg, bis ſie nichts mehr davon ſehen konnte: und dann warf ſie ſich auf den Sitz nie- der, und war nahe bey einer Ohnmacht.
Jch begleitete die Leiche hinunter, damit ich nicht allein mich ſelbſt, ſondern auch Sie, mein Herr, den Ausrichter ihres Teſtaments, befriedigen moͤchte, daß, ſie wie ſie verordnet hatte, zu den Fuͤßen ihres Großvaters niedergeſetzet worden.
Herr
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Man ſagt, Herr Solmes ſey in einer entfern-
ten Ecke der Kirche, in einem Reitrock eingehuͤl-
let, geweſen, und habe zu verſchiednen malen
Thraͤnen vergoſſen. Allein ich habe ihn nicht ge-
ſehen.
Ein anderer Cavallier war als ein Unbekann-
ter zugegen und ſtand in einem Stuhl nahe an
dem Eingange zur Gruft. Man wuͤrde ihn
nicht gemerket haben, wenn er nicht in ſo große
Bewegung gerathen waͤre, da er uͤber ſeinen Stuhl
ſahe, als der Sarg an ſeinen letzten Ort verſenket
wurde. Dieß war der Fraͤulein Howe wuͤrdiger
Verehrer, Herr Hickmann.
Meine Vettern Johann und Anton und ihr
Enkel Jakob hatten nicht Luſt, in die Gruft un-
ter ihre verſtorbene Voreltern hinunterzuſteigen.
Die Fraͤulein Harlowe war aͤußerſt geruͤhret.
Jhr Gewiſſen ſo wohl als ihre Liebe nahm bey
dieſer Gelegenheit Antheil. Sie wollte mit der
Leiche ihrer lieben, ihrer einzigen Schweſter hin-
unterſteigen, ſagte ſie: aber ihr Bruder wollte es
nicht zulaſſen. Jhr uͤberſchwemmtes Auge ver-
folgte den Sarg, bis ſie nichts mehr davon ſehen
konnte: und dann warf ſie ſich auf den Sitz nie-
der, und war nahe bey einer Ohnmacht.
Jch begleitete die Leiche hinunter, damit ich
nicht allein mich ſelbſt, ſondern auch Sie, mein Herr,
den Ausrichter ihres Teſtaments, befriedigen
moͤchte, daß, ſie wie ſie verordnet hatte, zu den
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 610. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/616>, abgerufen am 22.11.2024.
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