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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

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"Der Vermeidung des Vergehens, pflegte sie
"zu sagen, käme das Geständniß eines Fehlers
"am nächsten: und sich in einer strafbaren Sache
"entschuldigen zu wollen, wäre das ungezweifelte
"Zeichen eines falschen oder verkehrten Ge-
"müths."

Jedoch eine von ihren Ausdrückungen über
eine ähnliche Sache verdienet angeführt zu wer-
den: da ihr von einer strengen Richterinn ein
Vorwurf gemacht wurde, weil eine Person, der
sie oft das Wort geredet, sich wirklich schändlich
bewiesen hatte. "Sie haben mehr Einsicht ge-
"habt, Madame, waren ihre Worte, als sich ein
"so junges Frauenzimmer, wie ich bin, anmaßen
"kann. Allein ob das Verderben der Menschen
"gleich öfterer, meiner Vermuthung nach, dieje-
"nige Person rechtfertigen mag, die harte Urthei-
"le fället, als diejenige, die vortheilhaft urtheilet:
"so will ich doch meine liebreiche Gesinnung nicht
"fahren lassen. Jnzwischen will ich mich in Zu-
"kunft bemühen, sie so einzurichten, daß sie mit
"der Fürsicht und Klugheit bestehen könne."

Wo Sie der Schönheiten und Annehmlich-
keiten ihrer Feder Erwähnung thun: können Sie
gedenken, daß es ihr allezeit zu einer Verwunde-
rung Ursache gegeben, daß unser Geschlecht gemei-
niglich so abgeneigt vom Schreiben ist, als sich
wirklich zeiget: da die Feder, nächst der Nadel,
unter allen Beschäfftigungen am bequemsten und
geschicktesten für ihre Gemüthsart ist; und dieß
so wohl zum wirklichen Nutzen als zum Zeitver-

treib.
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„Der Vermeidung des Vergehens, pflegte ſie
„zu ſagen, kaͤme das Geſtaͤndniß eines Fehlers
„am naͤchſten: und ſich in einer ſtrafbaren Sache
„entſchuldigen zu wollen, waͤre das ungezweifelte
„Zeichen eines falſchen oder verkehrten Ge-
„muͤths.“

Jedoch eine von ihren Ausdruͤckungen uͤber
eine aͤhnliche Sache verdienet angefuͤhrt zu wer-
den: da ihr von einer ſtrengen Richterinn ein
Vorwurf gemacht wurde, weil eine Perſon, der
ſie oft das Wort geredet, ſich wirklich ſchaͤndlich
bewieſen hatte. „Sie haben mehr Einſicht ge-
„habt, Madame, waren ihre Worte, als ſich ein
„ſo junges Frauenzimmer, wie ich bin, anmaßen
„kann. Allein ob das Verderben der Menſchen
„gleich oͤfterer, meiner Vermuthung nach, dieje-
„nige Perſon rechtfertigen mag, die harte Urthei-
„le faͤllet, als diejenige, die vortheilhaft urtheilet:
„ſo will ich doch meine liebreiche Geſinnung nicht
„fahren laſſen. Jnzwiſchen will ich mich in Zu-
„kunft bemuͤhen, ſie ſo einzurichten, daß ſie mit
„der Fuͤrſicht und Klugheit beſtehen koͤnne.“

Wo Sie der Schoͤnheiten und Annehmlich-
keiten ihrer Feder Erwaͤhnung thun: koͤnnen Sie
gedenken, daß es ihr allezeit zu einer Verwunde-
rung Urſache gegeben, daß unſer Geſchlecht gemei-
niglich ſo abgeneigt vom Schreiben iſt, als ſich
wirklich zeiget: da die Feder, naͤchſt der Nadel,
unter allen Beſchaͤfftigungen am bequemſten und
geſchickteſten fuͤr ihre Gemuͤthsart iſt; und dieß
ſo wohl zum wirklichen Nutzen als zum Zeitver-

treib.
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[809/0815] „Der Vermeidung des Vergehens, pflegte ſie „zu ſagen, kaͤme das Geſtaͤndniß eines Fehlers „am naͤchſten: und ſich in einer ſtrafbaren Sache „entſchuldigen zu wollen, waͤre das ungezweifelte „Zeichen eines falſchen oder verkehrten Ge- „muͤths.“ Jedoch eine von ihren Ausdruͤckungen uͤber eine aͤhnliche Sache verdienet angefuͤhrt zu wer- den: da ihr von einer ſtrengen Richterinn ein Vorwurf gemacht wurde, weil eine Perſon, der ſie oft das Wort geredet, ſich wirklich ſchaͤndlich bewieſen hatte. „Sie haben mehr Einſicht ge- „habt, Madame, waren ihre Worte, als ſich ein „ſo junges Frauenzimmer, wie ich bin, anmaßen „kann. Allein ob das Verderben der Menſchen „gleich oͤfterer, meiner Vermuthung nach, dieje- „nige Perſon rechtfertigen mag, die harte Urthei- „le faͤllet, als diejenige, die vortheilhaft urtheilet: „ſo will ich doch meine liebreiche Geſinnung nicht „fahren laſſen. Jnzwiſchen will ich mich in Zu- „kunft bemuͤhen, ſie ſo einzurichten, daß ſie mit „der Fuͤrſicht und Klugheit beſtehen koͤnne.“ Wo Sie der Schoͤnheiten und Annehmlich- keiten ihrer Feder Erwaͤhnung thun: koͤnnen Sie gedenken, daß es ihr allezeit zu einer Verwunde- rung Urſache gegeben, daß unſer Geſchlecht gemei- niglich ſo abgeneigt vom Schreiben iſt, als ſich wirklich zeiget: da die Feder, naͤchſt der Nadel, unter allen Beſchaͤfftigungen am bequemſten und geſchickteſten fuͤr ihre Gemuͤthsart iſt; und dieß ſo wohl zum wirklichen Nutzen als zum Zeitver- treib. E e e 5

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 809. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/815>, abgerufen am 26.11.2024.